Münster. Auch für die zweite Instanz war der Tod der jungen „Gorch Fock“-Kadettin Jenny Böken ein tragischer Unfall. Den Eltern bleiben Zweifel.

Es war der Tag der Eltern. Seit Jahren versuchen sie, Licht in das Dunkel um ihren noch immer rätselhaften Tod der „Gorch Fock“-Kadettin Jenny Böken zu bringen. In einer Septembernacht vor acht Jahren stürzte die 18-Jährige über Bord des Segelschulschiffes der Bundeswehr „Gorch Fock“ und ertrank. Elf Tage später wurde ihre Leiche aus der Nordsee geborgen.

Seither zweifeln ihre Eltern daran, wovon die Staatsanwaltschaft überzeugt ist: Dass der Tod der jungen Frau aus dem nordrhein-westfälischen Geilenkirchen bei Aachen ein tragischer Unfall war. Nun aber hat das Oberverwaltungsgericht in Münster eine Klage der Eltern auf Entschädigung zurückgewiesen. Nach einem rund zwölfstündigen Prozesstag sah es das Gericht am Mittwochabend als erwiesen an, dass Jenny Böken 2008 nicht unter „besonders lebensgefährlichen“ Umständen gestorben sei. Diese Feststellung wäre aber notwendig gewesen, damit den Eltern aus Geilenkirchen bei Aachen nach dem Soldatenversorgungsgesetz 20 000 Euro zugestanden hätten. (Az.: 1 A 2359/1).

Für Marlis und Uwe Böken dagegen tut sich trotzdem noch immer ein trübes Meer aus Fragen auf: War Jenny gesund genug, um Wachdienst zu schieben? Tragen Dritte Schuld am Tod ihrer Tochter? War die Wetterlage wirklich so ruhig, wie viele Zeugen und nun auch der damalige Kapitän des Schiffes angeben? Mehrere Zeugen waren am Mittwoch aufgerufen, die Geschehnisse auf der „Gorch Fock“ in jener Nacht erneut zu schildern. Doch sie konnten sich kaum erinnern.

Geld ist den Eltern nicht wichtig

Geld ist aber nicht das, was den Eltern wichtig ist. Es ging um ein Zeichen, das mit dem Verfahren in nunmehr zweiter Instanz gesetzt werden sollte: dass sie sich nicht mit den ihrer Ansicht nach ungeklärten Umständen abfinden wollen, unter denen ihre Tochter Jenny mit nur 18 Jahren starb. Die Eltern glauben, dass ihre Tochter mit heftigen Unterleibsschmerzen zu krank gewesen sei, um den Dienst an Deck zu absolvieren, und dass sie bei widrigen Wetterbedingungen nicht gesichert gewesen sei.

Diese Verhandlung, das machte Anwalt Dietz klar, sollte ein weiterer Schritt sein, die Staatsanwaltschaft dazu zu bringen, noch einmal in der Sache Jenny Böken zu ermitteln, um einen Verantwortlichen für ihren Tod zu finden. Und im Sinne der Sache gab Marlis ­Böken bereitwillig, tapfer und zu Herzen gehend Interviews, von ihrem Rollstuhl aus, in dem sie seit einem Jahr sitzt.

Wollen die „Mauer des Schweigens“ einreißen: Mutter Marlies Böken, Vater Uwe Böken (Mitte) und ihr Anwalt Rainer Dietz während des Berufungsverfahrens zum Tod ihrer Tochter Jenny auf der „Gorch Fock“ in Münster.
Wollen die „Mauer des Schweigens“ einreißen: Mutter Marlies Böken, Vater Uwe Böken (Mitte) und ihr Anwalt Rainer Dietz während des Berufungsverfahrens zum Tod ihrer Tochter Jenny auf der „Gorch Fock“ in Münster. © dpa | Friso Gentsch

Familie vom Schicksal gebeutelt

Das Schicksal hat es nicht gut mit der Familie aus Geilenkirchen gemeint, nachdem Jenny, die Einserabiturientin, auf die alle so stolz waren, in jener Nacht vom 3. auf den 4. September 2008, einen Tag vor ihrem 19. Geburtstag, über Bord ging. Die Ehe der beiden Lehrer ging in die Brüche, der Trauer um die Tochter hielt sie nicht stand. 2009 werden Marlis Böken und einer ihrer Söhne bei einem Autounfall schwer verletzt. Der Sohn verliert den Unterarm, Marlis Böken ihr Bein.

Am Mittwoch trat das geschiedene Ehepaar vereint auf, wie es das für Jenny schon 2014 in erster Instanz vor dem Verwaltungsgericht in Aachen gemacht hatte. Damals lehnte das Gericht eine Entschädigung für die Bökens über 40.000 Euro ab. Auch schon damals hieß es: Der Einsatz der Offiziersanwärterin sei zwar lebensgefährlich, aber nicht „besonders lebensgefährlich“ gewesen.

Zeugin kann Tränen nicht zurückhalten

Nun kam das erneute Verfahren, die alten Zeugen, die ihre Erinnerungen an den Unglücksabend schilderten. Da war die heutige Stabsärztin (27), die mit Jenny Böken die sechswöchige Grundausbildung absolvierte und, weil sie am 3. September 2008 krank wurde, ihre Kameradin bat, für sie den nächtlichen Dienst auf der Back im Vorschiff zu übernehmen. Die Aussagen der jungen Frau waren von Emotionen geprägt, einmal begann sie zu weinen. Die Ärztin erinnert sich, dass Jenny Probleme mit der Grundausbildung hatte, für eine Offiziersanwärterin nicht die körperlichen Voraussetzungen mitbrachte. Es sei ein Gesprächsthema unter den Kadetten gewesen, dass Jenny manchmal im Unterricht oder bei anderen Gelegenheiten eingeschlafen sei. Zu krank für den Wachdienst? Nein, daran könne sie sich nicht erinnern.

Ein Foto der auf der „Gorch Fock“ ums Leben gekommenen Soldatin Jenny Böken auf ihrem Grab in Geilenkirchen.
Ein Foto der auf der „Gorch Fock“ ums Leben gekommenen Soldatin Jenny Böken auf ihrem Grab in Geilenkirchen. © dpa | Henning Kaiser

Erkenntnisse zum Tod durch Ertrinken

Über Unterleibsschmerzen gesprochen zu haben, daran kann sich auch eine weitere Soldatin (27) nicht erinnern. Überhaupt sind dieser Zeugin die besonderen Umstände jener Nacht weitestgehend entfallen. „Wenn ich das so damals gesagt habe, wird es wohl stimmen“, war ein ums andere Mal ihre Antwort. Sicher ist sie, dass „der Dienst auf der Back nicht gefährlich war“.

Als Jenny Bökens Leiche im Wasser gefunden wurde, trug sie nur Socken und hatte keinen Parka an. Angeblich soll in ihren Lungen kein Wasser gefunden worden sein, was gegen den Tod durch Ertrinken spricht. Andere Obduktionsergebnisse sprechen dagegen von deutlichen Indizien für einen Ertrinkungstod. Überein stimmten alle Zeugenaussagen am Mittwoch, was das Wetter angeht: Stellvertretend erklärt der zuständige Bordmeteorologe, dass es bei Windstärke 7 klar, beständig und nicht sehr böig gewesen sei. Die genauen Todesumstände blieben auch nach der Verhandlung in Münster ungeklärt.