Vancouver. Seit 170 Jahren liegt das Wrack der Polarexpedition von Sir John Franklin in der Arktis. Nun wurde die HMS Terror von Kanadiern entdeckt.

Es ist ein warmer Sommer in der Arktis. Das Meereis hat sich aufgrund des Klimawandels so weit zurückgezogen, dass Schiffe die legendäre Nordwestpassage dieser Tage ohne größere Probleme durchqueren können.

Auch die Besatzung des kanadischen Forschungsschiffs „Martin Bergmann“ ist derzeit im Polarmeer unterwegs – und normalerweise hätte die Welt davon kaum Notiz genommen. Doch nun stehen die zehn Besatzungsmitglieder und ihr knapp 20 Meter langer, ehemaliger Fischkutter in den weltweiten Schlagzeilen. Denn der Mannschaft gelang offenbar, was zahllosen Expeditionen fast 170 Jahre lang versagt geblieben war: Die Männer und Frauen fanden im Eismeer das lange verschollene Wrack der „Terror“, eines von zwei Schiffen des berühmten britischen Polarforschers Sir John Franklin.

„Stolz und perfekt konserviert“

„Wir haben die ‚Terror‘ in 24 Meter Meerestiefe gefunden. Sie ruht dort stolz und perfekt konserviert in den eisigen Gewässern der Nordwestpassage“, erklärte ein Sprecher der Crew der gemeinnützigen Stiftung Arctic Research Foundation am Montag auf einem Video, das auch Unterwasseraufnahmen des Franklin-Wracks zeigen soll: unter anderem von der Schiffsglocke, dem Rumpf und dem Steuerrad.

Franklin war im Mai 1845 mit seinen eisverstärkten Schiffen „Terror“ und „Erebus“ in England in See gestochen, um im Auftrag von Königin Victoria als erster Weißer den 6000 Kilometer langen, strategisch wichtigen Seeweg von Europa nach Asien zu finden, der durch die polare Inselwelt des heutigen Kanada führt. Nach nur einem Winter waren Franklins Schiffe jedoch im Packeis stecken geblieben und später gesunken. Der Kapitän und seine gesamte Besatzung kamen dabei um.

Mission hatte riesigen Stellenwert

In der Geschichte der polaren Seefahrt war es eine der größten Tragödien überhaupt, denn Franklins hoch dekorierte Expedition hatte zur damaligen Zeit einen riesigen Stellenwert, vergleichbar in etwa mit der „Apollo“-Mission zum Mond mehr als ein Jahrhundert später. Suchtrupps der Königin hatten nach dem Verschwinden der Schiffe daher noch elf Jahre lang nach dem Kapitän suchen lassen.

© Arctic Research Foundation | Arctic Research Foundation

In der Neuzeit hatten diverse Forschergruppen die Suche fortgesetzt, zunächst unter amerikanischer, später unter kanadischer Federführung. Einen ersten Erfolg gab es vor zwei Jahren, als Unterwasserarchäologen an der Südflanke der Nordwestpassage nahe der O’Reilly-Insel auf die „Erebus“ gestoßen waren, aus dem sie mittlerweile Dutzende Artefakte geborgen haben.

Die dreimastige „Terror“ aber galt weiter als verschollen – offenbar bis jetzt. Nach einem Bericht des britischen „Guardian“ liegt das Wrack beinahe aufrecht und unversehrt auf dem Meeresgrund in einer Bucht nahe der King-William-Insel etwa 60 Seemeilen nördlich der „Erebus“. Die Regierung in Kanada, deren Experten an dem Fund nicht unmittelbar beteiligt waren, zeigte sich „begeistert“.

Tipp kam von den Ureinwohnern

Sollten sich die ersten Daten verfestigen, muss ein Teil der Geschichte womöglich umgeschrieben werden. Denn Fundort und Zustand des Wracks legen laut seiner Finder nahe, dass die „Terror“ nicht, wie oft vermutet, vom Polareis zermalmt wurde. Vielmehr wurde das Schiff von der verzweifelten Besatzung offenbar winterfest verschlossen und verlassen, bevor es später sank. Womöglich benutzte die durch Hungertod und Kälte bereits dezimierte Mannschaft dann das zweite Schiff „Erebus“ zu einem letzten Rettungsversuch. Als auch das nicht klappte, sollen Teile der Besatzung laut Aufzeichnungen nahe der Fundstelle beim Versuch umgekommen sein, sich zu Fuß in Sicherheit zu bringen.

Wie schon beim Fund der „Erebus“ vor zwei Jahren kam auch diesmal der entscheidende Tipp von den Inuitureinwohnern. Laut kanadischer Medien hatte ein Jäger aus der Arktisgemeinde Gjoa Haven bei einer Ausfahrt mit dem Motorschlitten im Winter in der fraglichen Bucht ein mysteriöses, aus dem Eis ragendes Holzstück gefunden, das einem Schiffsmast glich. Als die Forscher die Stelle jetzt im Sommer aufsuchten, fanden sie nach mehr als eineinhalb Jahrhunderten die „Terror“ – die Sensation war perfekt.