Berlin. 400.000 Drohnen gibt es aktuell in Deutschland. Weil sie gefährlich sein können, sollen die Regeln für den Betrieb verschärft werden.

Der Airbus A321 befand sich Anfang August im Landeanflug auf den Münchener Flughafen Franz-Josef-Strauß, als der Pilot plötzlich Ungewöhnliches an den Tower meldete: In einer Höhe von etwa 1700 Metern, keine zehn Meter neben der rechten Tragfläche, fliege eine 50 Zentimeter große Drohne. Mitarbeiter des Flughafens informierten die Polizei, die umgehend nach Zeugen suchte. Doch die Ermittlungen liefen ins Nichts. Der Airbus war sicher gelandet, der Drohnenpilot blieb unerkannt.

Seit der Kauf einer Drohne für jedermann möglich ist, steigt ihre Zahl am Himmel – und damit auch das Unfallrisiko. Seit Dienstag beraten Wissenschaftler, Politiker und Piloten deshalb drei Tage lang beim Kongress der Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt in Braunschweig, wie sie den Luftraum sicherer machen können. Denn wo mehr Menschen mit dem Flugzeug unterwegs sind und mehr Drohnenpiloten ihre Multikopter steigen lassen, kommt es auch immer häufiger zu gefährlichen Begegnungen.

Unfall – nur eine Frage der Zeit?

Aktuell gibt es in Deutschland nach Schätzungen der Deutschen Flugsicherung (DFS) 400.000 Drohnen. Bis zum Jahr 2020 rechnet die Allianz-Industrieversicherungsgruppe AGCS weltweit mit mindestens 4,7 Millionen. Der Markt für die kommerziell genutzte Drohnentechnologie soll in den kommenden Jahren auf umgerechnet mehr als 110 Milliarden Euro wachsen. „Die bisherigen Beinahezusammenstöße mit Drohnen geben Anlass zur Sorge“, heißt es in einer jetzt veröffentlichten AGCS-Studie über das Risikopotenzial der unbemannten Flugobjekte.

Nach Angaben der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) hat es in Deutschland bisher keinen Zusammenstoß von Flugzeug, Helikopter und Drohne gegeben. Für viele Experten aber ist es nur eine Frage der Zeit, bis es kracht. Im Juli und den ersten beiden Augustwochen jedenfalls meldeten Piloten der DFS neun Störungen im Zusammenhang mit Drohnen. Seit dem vergangenen Jahr würden diese Meldungen registriert, sagt DFS-Sprecherin Kristina Kelek auf Anfrage dieser Zeitung. 2015 seien es 14 gewesen, in diesem Jahr 38 bis zum 6. September.

Kommt der Drohnenführerschein?

„Die unkontrollierte Nutzung der Drohnen ist eine Gefahr“, sagt Dieter Moormann, der an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen (RWTH) das Institut für Flugsystemdynamik leitet. „Die Piloten verlieren die Kontrolle, die Geräte hauen ab und irgendwann kommen sie dann runter, das ist eine Gefahrenstelle“, so Moormann. Fliegen die Piloten innerhalb ihrer Sichtweite, gebe es durchaus gute Regeln. „Wir brauchen deshalb nicht mehr davon, sondern wir müssen dafür sorgen, dass die Regeln beim Nutzer ankommen“, so Moormann.

Darüber, wie das am besten gehen könnte, streiten die Experten. Die DFS fordert einen Drohnenführerschein und die Registrierung der Geräte. „Weiß ich als Drohnenpilot, dass ich einem Hubschrauber ausweichen muss? Weiß ich, ob ich über Menschenansammlungen fliegen darf?“, fragt DFS-Sprecherin Kelek. „Das alles würde man lernen, wenn man den Führerschein macht.“

Auch Dobrindt redet mit

Auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) will die Nutzung von zivilen Drohnen neu regeln. Er sieht ein wachsendes Risikopotenzial. Alle Geräte ab einem Gewicht von 500 Gramm sollen künftig kennzeichnungspflichtig werden, um bei Missbrauch oder Unfällen den Verursacher identifizieren zu können, teilt das Ministerium mit. Die maximale Flughöhe für private Geräte werden auf 100 Meter begrenzt, die Drohne müsse immer in Sichtweite sein. Private Flüge über militärische Anlagen, Menschenansammlungen, Katastrophengebiete, Kraftwerke sowie Autobahnen oder Eisenbahnlinien werden verboten.

Für die gewerbliche Nutzung hingegen sollen auch Flüge außerhalb der Sichtweite erlaubt sein. Der gewerbliche „Pilot“ braucht den Plänen zufolge aber künftig wohl einen offiziellen Drohnenführerschein, wofür er eine Prüfung ablegen muss. „Die Lizenz wird durch das Luftfahrt-Bundesamt erteilt. Aktuell wird an der Änderung entsprechender Rechtsvorschriften gearbeitet“, so das Ministerium.

Modellflieger verstehen Hysterie nicht

Beim Deutschen Modellfliegerverband sieht man Dobrindts Vorstoß kritisch. Man fürchtet um die Zukunft des Hobbys. „Das Gesetz verbietet eh schon vieles, man müsste die Verstöße aber auch mal bestrafen“, sagt Geschäftsführer Frank Weigand. Eine Drohnenkennzeichenpflicht wie am Auto hält er für vernünftig, das Thema Unfallgefahr aber werde „hochgepusht“. „Objektiv an den Zahlen gemessen ist das doch reiner Popanz“, sagt er. Weigand vermutet hinter der geschürten Hysterie einen Plan, den Luftraum für autonome Drohnen von Wirtschaftsunternehmen frei zu machen – Drohnen, die Pakete oder Medikamente transportieren sollen.

Unterstützung erfährt Weigand in Bezug auf die Unfallzahlen mit Modellfliegern vonseiten der BFU. Dessen Sprecher Jens Friedemann spricht von „statistisch verschwindend geringen Zahlen“. Trotzdem würde sich das BFU mit dem Thema Drohnen beschäftigen. „Die Probleme sind, dass man sie nicht auf dem Radar sieht und dass man, falls etwas schiefgeht, den Piloten nicht ausfindig machen kann“, so Friedemann.

„Ich glaube nicht an die Pizzalieferung per Drohne“

Im Bereich außerhalb der Sichtweite, wo vor allem kommerzielle Drohnen unterwegs wären, gibt es bisher tatsächlich keine gängigen Regeln, sagt Dieter Moormann. Der RWTH-Forscher untersucht, wie die Warenlieferung in Zukunft per Drohne funktionieren kann. „Ich glaube nicht an die Pizzalieferung per Drohne“, sagt Moormann, aber für Hilfseinsätze bei Naturkatastrophen oder beim Transport von Gewebeproben von einem Krankenhaus zum nächsten seien die Systeme wichtig. Deshalb sei es geboten, bei dem Thema verantwortlich zu handeln. „Was tun wir? Wie tun wir es? Und wie schaffen wir Akzeptanz?“

Obwohl die rechtliche Lage noch so unklar ist, testen Handels- und Logistikunternehmen längst im großen Stil, wie sich Waren per Flugroboter ausliefern lassen. In der Branche gilt die Drohne als Versprechen für die Zukunft. Amazon zum Beispiel hat bereits einen Dienst namens „Prime Air“ angekündigt. Innerhalb von 30 Minuten nach Bestellung soll ein Kunde sein Paket auf der Türschwelle vorfinden. Die Waren dürften aber nicht mehr als 2,26 Kilogramm wiegen. In den USA fliegen die Prototypen der Auslieferungsdrohnen bereits. Und auch Großbritannien hat dem Internetriesen vor wenigen Wochen die Erlaubnis für Tests erteilt.

Lieferdrohnen werden erprobt

Auch in Deutschland werden Lieferdrohnen bereits erprobt: Die Post-Tochter DHL testete von Januar bis März eine eigene Paketdrohne in Oberbayern. Das Gerät lieferte in 130 Flügen vollautomatisch Pakete bei einer modifizierten Packstation ab – auch das Be- und Entladen geschah maschinell. Für den computergesteuerten Einsatz des Fluggeräts hatte die Post extra eine Sondergenehmigung beantragen müssen und erhalten.

Die Allianz-Industrieversicherungsgruppe geht angesichts des erwartbaren „Aufstiegs der Drohnen“ mit ihren Schlussfolgerungen sehr weit: Sie fordert einen weltweiten Standard zur Registrierung von Pilot und Gerät, vergleichbar mit dem System für bemannte Flugzeuge oder Autos. Außerdem plädiert sie für Regeln zu Wartung und Pilotentraining. Anders seien die Risiken nicht abzufedern. Selbst eine sehr kleine Drohne könne Schäden in Millionenhöhe verursachen – etwa wenn sie das Triebwerk eines Flugzeugs beschädigt oder auf einen Lastwagen stürzt und so einen Unfall verursacht. (mit dpa)