Die Sommerpause ist vorbei, der „Tatort“ meldet sich zurück: Den Auftakt machen am Sonntag die Kommissare Ballauf und Schenk aus Köln.
Die einzige Zeugin spricht kein Wort. Wie könnte sie auch? Sie ist acht, hat mit ansehen müssen, wie ihre Mutter und ihr kleiner Bruder in der Nacht umgebracht wurden, und ihr Leben nur gerettet, weil sie sich im Haus versteckte. Ein Kind wird getötet: Der „Tatort“ kehrt mit emotionaler Wucht aus der Sommerpause zurück, daran lassen Autor Norbert Ehry und Regisseurin Dagmar Seume von der ersten Szene an keinen Zweifel – „Durchgedreht“ wird auch für die alten Kölner Hasen Ballauf und Schenk ein aufwühlender Fall.
Das Storygerüst des „Tatort“-Routiniers Ehry ist dabei eher klassisch und konventionell als wagemutig angelegt. Elegant verstreut er ein paar Spuren, die Polizisten und Betrachter erst einmal eine Weile auf Trab halten und die Dinge ins Rollen bringen.
Familiendrama im neuen Kölner „Tatort“
Der Mann der Ermordeten (Alexander Beyer) war zwar nach eigenen Angaben auf Dienstreise. Aber dass es mit seiner Ehe nicht zum besten stand, wird schon bald offensichtlich. Sein Bruder (Christian Erdmann) war der Schwägerin womöglich nicht nur freundschaftlich zugetan, der wirtschaftlich angeschlagene Schwager (Stephan Szász) empört, weil er und seine Frau (Nicola Schlösser) von ihr bei einem Grundstücksgeschäft hereingelegt wurden. Und dann gibt es zwei Burschen, die allen Grund haben, den Ehemann der Getöteten ins Herz zu treffen, denn der ist Steuerfahnder mit Leib und Seele: ein zynischer Journalist (Peter Benedict), dem er auf der Spur war, und ein pleite gegangener Bauunternehmer (Max Herbrechtler).
Der Fall ist wie gemacht für die Kölner Kommissare
Der Fall ist wie gemacht, um Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär), die diesmal in jeder Szene gemeinsam ermitteln, in ihre alten Rollenmuster fallen zu lassen: Schenk mit dem Verständnis des alternden Familienvaters, Ballauf mit der Pose des ewigen Einzelgängers. Der Konflikt fließt so beiläufig ein, dass er eher belebt als stört. Für Leichtigkeit indes ist kein Platz in dieser Tragödie, die beiden Altgedienten sind mit heiligem Ernst bei der Sache.
Regisseurin Dagmar Seume interessiert sich weniger für die Handlungselemente selbst, als für die Kraft des Dramas an sich, für die melancholischen Stimmungen, die sich bleiern über das Geschehen legen: das stumme Kind, der Vater, ein Verlierertyp, den Alexander Beyer so bärenstark hinlegt, dass man nie genau weiß, ob er aus Reue oder aus Verzweiflung weint, die Familie, die nun endgültig zerbricht, Männer, deren Welt gerade zerstört wird. Martin Tingvall hat schwerblütige Musik dazu komponiert, die für Augenblicke am Kitsch entlangschrammt, aber mehr ist, als jene unambitionierte Untermalung, die in ihrer Beliebigkeit lästig wird und so viele Fernsehfilme verklebt.
Zeit, damit die Bilder wirken können
Seume nimmt sich Zeit für ihre Bilder, um sie wirken zu lassen, was nicht immer gelingt, aber doch sehr oft. Wie Witwer und Bruder Stirn an Stirn um die Wahrheit ringen, das packt. Ein Kind, das seine Albträume in wilden Zeichnungen zu Papier bringt, ist weniger originell.
Mit schönen Montagen, die zwei Zeitebenen miteinander verknüpfen, schafft Dagmar Seume einen nicht abreißenden Erzählfluss. Es wäre mutiger gewesen, wäre sie der Stille im Stil treu geblieben. Die Zuspitzung im Finale samt Auflösung ist ein Kniefall vor der Erwartungshaltung eines Krimipublikums, das Turbulenzen liebt. Schade.
Fazit: Kraftvolle „Tatort“-Rückkehr aus der Sommerpause mit kleinen Schwächen.
ARD, Sonntag, 20.15 Uhr