Dippoldiswalde. Wie starb der Asylbewerber Oury Jalloh? Experten streben nun neue Untersuchungen an und stellen die Umstände des Todes erneut nach.

30 Sensoren sollen neue Erkenntnisse zu dem Tod des Asylbewerbers Oury Jallo im Januar 2005 bringen. Die Messtechnik wird bei einem Versuch in Dippoldiswalde eingesetzt, in dem der Tod des Mannes nachgestellt wird.

Halb aufgerichtet hängt der Dummy auf einer Matratze, die braune Cordhose und das schwarze T-Shirt sind ausgestopft mit hitzebeständiger Mineralwolle. Belegt ist die Puppe mit Schweinshaut und Fett, umwickelt mit Alufolie. Kabel führen zu den Sensoren, die die Temperatur im Raum messen. Am Institut für Brand- und Löschforschung im sächsischen Dippoldiswalde wird der Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh nachgestellt. Der Afrikaner verbrannte im Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle. Was genau geschah, steht noch immer nicht fest.

„Wir starten nochmals bei Null“

„Wir starten nochmals bei Null und lassen bewusst alle bisherigen Gutachten beiseite“, sagt der Sachverständige Kurt Zollinger vom Forensischen Institut Zürich, der von der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau beauftragt wurde, den Brand nachzustellen. Geklärt werden soll mit dem Versuch am Donnerstag vor allem der zeitliche Ablauf – und ob er mit Zeugenaussagen übereinstimmt. „Es geht nicht darum zu klären, wie gezündet wurde oder wer gezündet hat. Zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt“, sagt Institutsleiter Thorsten Prein.

Die zentrale Frage, ob der an Händen und Füßen gefesselte Asylbewerber das Feuer selbst gelegt haben kann oder ob jemand Fremdes Hand anlegte, bleibt damit vorerst ungeklärt. Das stößt bei der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ auf heftige Kritik. Nach Dippoldiswalde gereiste Vertreter sprechen von einer „ganz schlechten Show.“ Ein Freund Jallohs trägt ein schwarzes T-Shirt, darauf steht: „Das war Mord!“

Initiative kritisiert Versuch

In der sechsten Etage des Brandinstituts laufen letzte Vorbereitungen für den Versuch, ein Beamer überträgt die Bilder in einen separaten Raum. Gegen 11.30 Uhr zündet ein Mann mit Schutzanzug und Maske die beschädigte Matratze mit einem Feuerzeug an. Erst züngeln die Flammen langsam neben dem Dummy empor, rasch schlagen sie höher. Nur drei Minuten später raucht und qualmt es so heftig, dass nichts mehr zu sehen ist. 36 Minuten später sind die Flammen gelöscht. So, wie es im Protokoll von 2005 steht.

Die Daten des Versuches werden mit den Zeugenaussagen in Gerichtsakten abgeglichen. „Dann werden die Schlüsse gezogen, ob das den Tatsachen entspricht oder nicht.“

Die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ kritisiert den Versuchsaufbau als abweichend von den Tatsachen. Prein hält dagegen: Das Szenario basiere auf den wenigen gesicherten Daten, eine 100-prozentige Realität könne man nicht herstellen.

War Brandbeschleuniger im Spiel?

Lange noch hängt der Rauch in dem Versuchsraum in der Luft und beißt in der Nase. Matratze und Dummy sind nicht komplett abgebrannt. Nadine Saeed von der Oury-Jalloh-Initiative zeigt auf ihrem Laptop ein Original-Bild aus der Zelle – und ist überzeugt: „Das, was wir sehen, ist nicht das, was in der Zelle passiert ist.“ Sie tippt auf den verkohlten Körper Jallohs und weist auf die zerstörte Matratze. Für die Initiative, die bereits 2013 Anzeige wegen Mordes gegen Unbekannt erstattete, ein weiterer Beweis, dass ein Brandbeschleuniger zum Einsatz gekommen sein muss. Nun müsse die Staatsanwaltschaft nach den Tätern suchen, so Saeed.

In zwei langen Gerichtsprozessen fanden Behörden und Gerichte bisher allerdings keine Hinweise auf ein Tötungsdelikt. Der Einzige, der bislang in dem Fall juristisch zur Verantwortung gezogen wurde, ist der damalige Dienstgruppenleiter. Der Polizist hatte zugegeben, mindestens zweimal einen Feueralarm ausgeschaltet zu haben. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt.

„Die Ermittlungen sind fortzuführen“, sagt Olaf Braun von der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau. Er räumt ein, dass der Fall kompliziert ist. „Weil wir keinen Täter haben und Zeugen, die uns zur eigentlichen Tat nichts sagen konnten.“ Er hofft, dass das neue Gutachten Hinweise bringt – und zumindest ein wenig Licht ins Dunkel. (dpa)