New York . Noch immer hoffen Opfer-Angehörige des Germanwings-Absturzes auf Antworten zu drängenden Fragen. Vor Gericht soll es Antworten geben.

16 Monate ist es her, dass Andreas Lubitz eine Maschine der Fluglinie Germanwings absichtlich gegen eine Bergwand in den französischen Alpen steuerte: So tötete er die 149 Insassen und sich selbst. Für viele Angehörige ist der Absturz noch lange nicht verarbeitet. Zumindest vor Gericht erhoffen sie sich einige Antworten auf die Frage: Warum durfte der psychisch kranke Lubitz als Copilot überhaupt im Cockpit eines Passagierjets sitzen? Deshalb verklagen einige von ihnen die Flugschule im US-Bundesstaat Arizona, die der Copilot während seiner Ausbildung zeitweise besucht hat.

Am kommenden Montag werden Marc Moller und seine Kollegen, Anwälte der New Yorker Kanzlei Kreindler & Kreindler, einen weiteren Schritt gehen, um diese Frage zu beantworten. Die Anwälte vertreten insgesamt 80 Familien und Einzelpersonen, die bei dem Absturz ihre Angehörigen verloren haben. In den USA erhoffen sich die Angehörigen unter anderem höhere Zahlungen. Bisher hatte Lufthansa den Angehörigen 25.000 Euro Schmerzensgeld pro Opfer plus 10.000 Euro an den jeweiligen Angehörigen. Für materielle Schäden hätte die Fluggesellschaft pauschal zusätzlich 50.000 Euro gezahlt. In den USA könnten den Angehörigen Summen in Millionen-Höhe zugesprochen werden.

Anwalt will Einstellung des Verfahrens verhindern

Marc Moller antwortet kommende Woche auf ein Gesuch der Gegenpartei: die Anwälte einer Lufthansa-Flugschule im US-Bundesstaat Arizona. Diese fordern die Einstellung des Verfahrens.

Im Gespräch mit unserer Redaktion berichtet der Anwalt bereits jetzt darüber, wie das Verfahren weitergehen könnte. In ihrer Anklageschrift vom 13. April argumentieren die erfahrenen Luftfahrtsrechtsanwälte: Die Flugschule Airline Training Center Arizona (ATCA) hätte von der psychischen Erkrankung des späteren Germanwings-Piloten Andreas Lubitz wissen müssen. Dadurch, dass die ATCA Lubitz ausgebildet hat, habe sie eine Mitschuld daran, dass Lubitz in suizidaler Absicht eine Maschine der Lufthansa-Tochter Germanwings gegen eine Bergwand in den französischen Alpen gelenkt hatte und so alle Insassen tötete. Nach dem Absturz war bekannt geworden, dass Lubitz bereits 2009 seinem Ausbildungsbetrieb Lufthansa seine psychischen Probleme mitgeteilt hatte. Im Sommer 2010 trat er dann einen Lehrgang in Arizona an.

Argumentation der Gegenseite sei „frühreif“

Die Flugschule argumentiert nun: Wir wussten von nichts! Und wir hätten gar nichts wissen können! Marc Moller findet für den Einspruch gegen die Klage von 80 Opfer-Angehörigen deutliche Worte: „Das ist frühreif“, sagt der New Yorker Anwalt. Für ihn es ist nicht nachvollziehbar, dass die ATCA nichts von Lubitz‘ Krankheit gewusst habe. Als vollständige Tochter der Lufthansa könne die Flugschule nicht sagen, dass sie selbst keine Meldung über die Krankheit erhalten habe. Moller versteht die US-amerikanische Flugschule wie viele Beobachter als Abteilung der deutschen Fluglinie. „Es ist eindeutig, dass die Flugschüler später bei der Lufthansa oder ihren Töchtern landen werden“, so Moller. „In Infobroschüren und im Internet hat Lufthansa immer damit geworben, dass die Ausbildung bei der ATCA eine Erfahrung auf dem Weg der Pilotenausbildung sei.“

Der Germanwings-Absturz – eine Chronik

Katastrophe in den französischen Alpen: Eine Germanwings-Maschine auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf stürzte am 24. März 2015 in der Nähe von Seyne-les-Alpes ab und zerschellte im Gebirge. Alle 150 Menschen an Bord des Airbus A320 kamen ums Leben.
Katastrophe in den französischen Alpen: Eine Germanwings-Maschine auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf stürzte am 24. März 2015 in der Nähe von Seyne-les-Alpes ab und zerschellte im Gebirge. Alle 150 Menschen an Bord des Airbus A320 kamen ums Leben. © REUTERS | REUTERS / EMMANUEL FOUDROT
Am Tag nach der Katastrophe gedachten Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande und Spaniens Premierminister Marian Rajoy in Seyne-les-Alpes der Opfer. 72 der Opfer kamen aus Deutschland, darunter...
Am Tag nach der Katastrophe gedachten Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande und Spaniens Premierminister Marian Rajoy in Seyne-les-Alpes der Opfer. 72 der Opfer kamen aus Deutschland, darunter... © REUTERS | POOL
...16 Schülerinnen und Schüler und zwei Lehrerinnen einer Schule im nordrhein-westfälischen Haltern am See, die auf der Rückreise von einem Schüleraustausch waren. Die ganze Stadt stand unter Schock, ...
...16 Schülerinnen und Schüler und zwei Lehrerinnen einer Schule im nordrhein-westfälischen Haltern am See, die auf der Rückreise von einem Schüleraustausch waren. Die ganze Stadt stand unter Schock, ... © dpa | Marcel Kusch
... die Schülerinnen und Schüler des Joseph-König-Gymnasiums trauerten um die Toten.
... die Schülerinnen und Schüler des Joseph-König-Gymnasiums trauerten um die Toten. © dpa | Marcel Kusch
Auch 51 Spanier starben, weitere Opfer kamen aus Argentinien, den USA, Kasachstan, Australien, Großbritannien, dem Iran, Kolumbien, Venezuela, Japan, Dänemark, Belgien, Marokko, Mexiko, den Niederlanden und von der Elfenbeinküste.
Auch 51 Spanier starben, weitere Opfer kamen aus Argentinien, den USA, Kasachstan, Australien, Großbritannien, dem Iran, Kolumbien, Venezuela, Japan, Dänemark, Belgien, Marokko, Mexiko, den Niederlanden und von der Elfenbeinküste. © dpa | Diego Crespo / Spanish Govt. / H
Hunderte Helfer bargen über Wochen die sterblichen Überreste der Absturzopfer, untersuchten und sicherten die Wrackteile.
Hunderte Helfer bargen über Wochen die sterblichen Überreste der Absturzopfer, untersuchten und sicherten die Wrackteile. © REUTERS | REUTERS / GONZALO FUENTES
Zwei Tage nach dem Absturz nährte die Auswertung des Stimmenrekorders den Verdacht, dass Andreas Lubitz, Copilot auf dem Flug, den Airbus mit Absicht zum Absturz brachte. Nach und nach wurde klar, dass Lubitz das Cockpit abgeschlossen hatte, als der Pilot es kurz verlassen hatte, und ihn anschließend nicht mehr herein ließ.
Zwei Tage nach dem Absturz nährte die Auswertung des Stimmenrekorders den Verdacht, dass Andreas Lubitz, Copilot auf dem Flug, den Airbus mit Absicht zum Absturz brachte. Nach und nach wurde klar, dass Lubitz das Cockpit abgeschlossen hatte, als der Pilot es kurz verlassen hatte, und ihn anschließend nicht mehr herein ließ. © dpa | Guillaume Horcajuelo
Am 27. März berichteten Ermittler von zerrissenen Krankschreibungen des Copiloten. Auch für den Tag des Absturzes hatten sie eine Krankschreibung gefunden.
Am 27. März berichteten Ermittler von zerrissenen Krankschreibungen des Copiloten. Auch für den Tag des Absturzes hatten sie eine Krankschreibung gefunden. © Reuters | REUTERS / GONZALO FUENTES
Am 30. März, sechs Tage nach dem Absturz, wurde offiziell mitgeteilt, dass Andreas Lubitz (hier ein Bild bei einem Halbmarathon im Jahr 2009) vor Jahren als suizidgefährdet eingestuft worden und in Psychotherapie gewesen war.
Am 30. März, sechs Tage nach dem Absturz, wurde offiziell mitgeteilt, dass Andreas Lubitz (hier ein Bild bei einem Halbmarathon im Jahr 2009) vor Jahren als suizidgefährdet eingestuft worden und in Psychotherapie gewesen war. © REUTERS | REUTERS / STRINGER
Laut Lufthansa, zu der die Fluglinie Germanwings gehört, wusste die Verkehrsfliegerschule während der Ausbildung des Copiloten von seiner früheren Depression.
Laut Lufthansa, zu der die Fluglinie Germanwings gehört, wusste die Verkehrsfliegerschule während der Ausbildung des Copiloten von seiner früheren Depression. © REUTERS | REUTERS / EMMANUEL FOUDROT
Lufthansa-Chef Carsten Spohr (r.) and Germanwings-Manager Thomas Winkelmann legten am 1. April an einer Gedenkstätte für die Absturzopfer im Dorf Le Vernet Blumen nieder.
Lufthansa-Chef Carsten Spohr (r.) and Germanwings-Manager Thomas Winkelmann legten am 1. April an einer Gedenkstätte für die Absturzopfer im Dorf Le Vernet Blumen nieder. © REUTERS | REUTERS / JEAN-PAUL PELISSIER
Einsatzkräfte fanden am 2. April auch den Flugdatenschreiber des zerschellten Flugzeugs. Einen Tag später ergab die Analyse der Daten, dass Andreas Lubitz den Airbus bewusst in den Sinkflug gebracht hatte.
Einsatzkräfte fanden am 2. April auch den Flugdatenschreiber des zerschellten Flugzeugs. Einen Tag später ergab die Analyse der Daten, dass Andreas Lubitz den Airbus bewusst in den Sinkflug gebracht hatte. © dpa | Duclet Stephane
Laut Staatsanwaltschaft Düsseldorf hatte sich Lubitz im Internet über Wege der Selbsttötung und den Schutz von Cockpit-Türen informiert.
Laut Staatsanwaltschaft Düsseldorf hatte sich Lubitz im Internet über Wege der Selbsttötung und den Schutz von Cockpit-Türen informiert. © REUTERS | REUTERS / RALPH ORLOWSKI
Deutschland vereint im Schmerz: Bei einer Trauerfeier im Kölner Dom gedachten am 17. April Angehörige, Bürger und die Staatsspitze der Opfer des Germanwings-Absturzes. Die Erschütterung war auch dreieinhalb Wochen nach der Katastrophe ...
Deutschland vereint im Schmerz: Bei einer Trauerfeier im Kölner Dom gedachten am 17. April Angehörige, Bürger und die Staatsspitze der Opfer des Germanwings-Absturzes. Die Erschütterung war auch dreieinhalb Wochen nach der Katastrophe ... © dpa | Oliver Berg
...noch greifbar. „Es ist etwas zerstört worden, das in dieser Welt nicht mehr geheilt werden kann“, sagte Bundespräsident Joachim Gauck. Bei der zentralen Trauerfeier mit insgesamt 1400 Gästen versuchten Vertreter von Kirchen und Politik, den etwa 500 Angehörigen Trost zu spenden.
...noch greifbar. „Es ist etwas zerstört worden, das in dieser Welt nicht mehr geheilt werden kann“, sagte Bundespräsident Joachim Gauck. Bei der zentralen Trauerfeier mit insgesamt 1400 Gästen versuchten Vertreter von Kirchen und Politik, den etwa 500 Angehörigen Trost zu spenden. © dpa | Oliver Berg
Knapp vier Wochen nach dem Absturz hatten die Helfer alle Wrackteile geborgen. Die Lufthansa hatte eine Spezialfirma mit den Aufräumarbeiten beauftragt. Die Überreste des Flugzeugs wurden per Hubschrauber abtransportiert und zunächst in einer Halle in Seyne-les-Alpes gelagert. Am 26. Mai 2015 kamen ...
Knapp vier Wochen nach dem Absturz hatten die Helfer alle Wrackteile geborgen. Die Lufthansa hatte eine Spezialfirma mit den Aufräumarbeiten beauftragt. Die Überreste des Flugzeugs wurden per Hubschrauber abtransportiert und zunächst in einer Halle in Seyne-les-Alpes gelagert. Am 26. Mai 2015 kamen ... © REUTERS | REUTERS / ROBERT PRATTA
... Angehörige zu einer Gedenkfeier nach Le Vernet in der Nähe der Absturzstelle. Flaggen repräsentierten einige der Nationalitäten der Opfer.
... Angehörige zu einer Gedenkfeier nach Le Vernet in der Nähe der Absturzstelle. Flaggen repräsentierten einige der Nationalitäten der Opfer. © REUTERS | REUTERS / ROBERT PRATTA
Elf Wochen nach dem Absturz von Flug U49525 wurden die 18 Opfer aus Haltern am See mit einer Kolonne weißer ...
Elf Wochen nach dem Absturz von Flug U49525 wurden die 18 Opfer aus Haltern am See mit einer Kolonne weißer ... © dpa | Rolf Vennenbernd
... Leichenwagen in ihre Heimatstadt gebracht.
... Leichenwagen in ihre Heimatstadt gebracht. © dpa | Marcel Kusch
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Die Rechtsanwaltskanzlei Steptoe & Johnson als Gegenseite argumentiert bisher nicht damit, dass zu jedem Zeitpunkt eine ärztliche Schweigepflicht galt. Doch auch dieses Argument hätte bei Marc Moller keinen Bestand: „Wenn ich von einem Problem weiß, muss ich es lösen“. Die Flugschule und letztendlich der Konzern Lufthansa hätten stärker nachfragen müssen, warum Lubitz seine Ausbildung wegen einer psychischen Krankheit sogar kurzzeitig unterbrochen habe. Das wäre laut Moller gar nicht so schwer gewesen, da die amerikanische Flugaufsichtsbehörde FAA informiert war.

Lufthansa-Anwälte halten US-Gerichte für nicht zuständig

Das Hauptargument der Flugschule gegen diese Anschuldigungen lässt sich verkürzt zusammenfassen: Wir hatten keine Verpflichtung, nachzuforschen! Zudem argumentieren die Anwälte von Lufthansa, dass die Ausbildung in Arizona nur eine Episode auf dem Weg von Andreas Lubitz zum Piloten gewesen sei. Seine weitere Ausbildung, auch die Flugerlaubnis für Passagiermaschinen, habe er in Deutschland erhalten. Gerichtsprozesse seien deshalb, wenn überhaupt, nur in Europa möglich.

Der Anwalt der Opfer-Angehörigen, Marc Moller, ist jedoch optimistisch, dass es in den USA zu einem Prozess kommen wird. Allein schon, weil es bisher keine vergleichbaren Fälle gebe, soll seiner Meinung nach ein Präzedenzfall geschaffen werden. „Am kommenden Montag legen wir unsere Antwort auf den Einspruch der Gegenseite vor. Wir werden darin deutlich machen, dass es in den USA nötig ist, Gegenbeweise mit Fakten zu liefern“, so Moller. Denn die habe er in dem Einspruch nicht erkennen können. Eine schriftliche Anfrage unserer Redaktion bei der Anwaltskanzlei Steptoe & Johnson blieb bis Mittwochabend unbeantwortet.

Wie es im Verfahren weitergeht

Nach dem Schreiben der Anwaltskanzlei Kreindler & Kreindler wird die Verteidigung der Lufthansa noch einmal antworten können. Dann wäre es schon möglich, dass es vor Gericht zu mündlichen Verhandlungen kommt. Dies wäre frühestens Ende August möglich.

Im Strafverfahren zu den Ursachen des Germanwings-Absturzes hat es Ende Juni eine Anhörung der Nebenkläger gegeben. Das Strafverfahren in Frankreich läuft dabei unabhängig von Zivilverfahren wie denen in den USA, in denen es um Schadenersatzforderungen geht.