Krefeld/München. Die Attentäter von München und Ansbach waren in Behandlung. Experten warnen vor einem Generalverdacht gegen Kranke.

Nach den jüngsten Gewalttaten von offenbar psychisch kranken Tätern warnen Psychiater vor einer Vorverurteilung von Patienten. Die meisten Gewaltverbrechen würden von Menschen verübt, die nicht unter einer psychischen Störung litten, sagte die Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Psychiater in Krefeld, Christa Roth-Sackenheim, dem Evangelischen Pressedienst. Vorfälle wie der Amoklauf von München und der Selbstmordanschlag in Ansbach sowie die Berichterstattung darüber verstärkten Vorurteile.

„Die meisten Laien unterscheiden ja nicht, welche psychischen Erkrankungen vorliegen können, sondern gehen oft allgemein davon aus, dass man psychische Beschwerden durch Willensanstrengung überwinden kann“, sagte die Ärztin. Dass die jüngsten Gewalttaten mit den psychischen Erkrankungen der Tatverdächtigen ursächlich in Zusammenhang stehen könnten, hält die Expertin nicht für wahrscheinlich.

Frühe Hilfe in der Jugend nötig

„Insbesondere bei Depressionen würde man das eher nicht vermuten, da depressive Menschen sich eher zurückziehen als anderen etwas anzutun“, erklärte Roth-Sackenheim. Anders könne das bei einer akuten Psychose sein, bei der Betroffene den Bezug zur Realität verlieren. „Stimmen im Kopf können zum Beispiel dann sagen, dass alle anderen einem etwas antun wollen und man sich verteidigen müsse“, erläuterte die Psychiaterin. Dass eine solche Erkrankung etwa bei dem Münchner Amok-Täter vorlag, sei aber unwahrscheinlich.

Selbstmordattentat in Ansbach

Selbstmordanschlag im fränkischen Ansbach: Bei der Detonation eines Sprengsatzes starb am Sonntagabend der mutmaßliche Täter, mehrere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.
Selbstmordanschlag im fränkischen Ansbach: Bei der Detonation eines Sprengsatzes starb am Sonntagabend der mutmaßliche Täter, mehrere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. © REUTERS | MICHAELA REHLE
Der 27-jährige mutmaßliche Selbstmordattentäter hatte vor einer Gaststätte in der Innenstadt in der Nähe des Eingangs zu einem Open-Air-Musikfestival eine Bombe mit scharfkantigen Metallteilen gezündet.
Der 27-jährige mutmaßliche Selbstmordattentäter hatte vor einer Gaststätte in der Innenstadt in der Nähe des Eingangs zu einem Open-Air-Musikfestival eine Bombe mit scharfkantigen Metallteilen gezündet. © dpa | Daniel Karmann
Die komplette Altstadt von Ansbach, das etwa 40.000 Einwohner hat, war am späten Abend abgeriegelt worden.
Die komplette Altstadt von Ansbach, das etwa 40.000 Einwohner hat, war am späten Abend abgeriegelt worden. © REUTERS | MICHAELA REHLE
Anwohner konnten zunächst nicht zurück in ihre Häuser.
Anwohner konnten zunächst nicht zurück in ihre Häuser. © REUTERS | MICHAELA REHLE
Schwerbewaffnete Polizisten bewachten nach der Tat die Zufahrtsstraße zur Altstadt. Die Explosion sorgte für einen Großeinsatz der Polizei, die mit 200 Kräften anrückte.
Schwerbewaffnete Polizisten bewachten nach der Tat die Zufahrtsstraße zur Altstadt. Die Explosion sorgte für einen Großeinsatz der Polizei, die mit 200 Kräften anrückte. © dpa | Daniel Karmann
Feuerwehr und Rettungsdienste waren mit 350 Kräften im Einsatz.
Feuerwehr und Rettungsdienste waren mit 350 Kräften im Einsatz. © dpa | Daniel Karmann
Noch in der Nacht begann die Spurensicherung.
Noch in der Nacht begann die Spurensicherung. © REUTERS | MICHAELA REHLE
Bei einer Explosion habe es eine hohe Streuung gegeben, hieß es bei der Polizei. Jedes kleinste Teilchen könne zur Aufklärung beitragen.
Bei einer Explosion habe es eine hohe Streuung gegeben, hieß es bei der Polizei. Jedes kleinste Teilchen könne zur Aufklärung beitragen. © REUTERS | MICHAELA REHLE
Ein Mitarbeiter der Spurensicherung untersucht den Rucksack des mutmaßlichen Täters.
Ein Mitarbeiter der Spurensicherung untersucht den Rucksack des mutmaßlichen Täters. © dpa | Daniel Karmann
In dem Rucksack war der Sprengsatz versteckt.
In dem Rucksack war der Sprengsatz versteckt. © dpa | Daniel Karmann
Der Selbstmord-Attentäter von Ansbach hat sich nach Angaben von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zur Extremistengruppe Islamischer Staat (IS) bekannt. Das gehe aus der Auswertung des Handys des Syrers hervor. „Es ist auf dem Handy eine entsprechende Anschlagsdrohung des Täters selbst als Video festgestellt worden.“
Der Selbstmord-Attentäter von Ansbach hat sich nach Angaben von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zur Extremistengruppe Islamischer Staat (IS) bekannt. Das gehe aus der Auswertung des Handys des Syrers hervor. „Es ist auf dem Handy eine entsprechende Anschlagsdrohung des Täters selbst als Video festgestellt worden.“ © REUTERS | MICHAELA REHLE
Fast zeitgleich äußerte sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Berlin: „Ein Bezug zum internationalen Terrorismus des sogenannten Islamischen Staates ist aus meiner Sicht ebenso wenig auszuschließen wie das Vorliegen einer besonderen Labilität dieser Persönlichkeit oder eine Kombination von beidem.“
Fast zeitgleich äußerte sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Berlin: „Ein Bezug zum internationalen Terrorismus des sogenannten Islamischen Staates ist aus meiner Sicht ebenso wenig auszuschließen wie das Vorliegen einer besonderen Labilität dieser Persönlichkeit oder eine Kombination von beidem.“ © dpa | Michael Kappeler
Der Minister mahnte zugleich zur Besonnenheit und warnte vor einem Generalverdacht gegen Flüchtlinge. Die ganz große Mehrheit komme nach Deutschland, um hier in Frieden zu leben. „Das muss sauber getrennt werden“.
Der Minister mahnte zugleich zur Besonnenheit und warnte vor einem Generalverdacht gegen Flüchtlinge. Die ganz große Mehrheit komme nach Deutschland, um hier in Frieden zu leben. „Das muss sauber getrennt werden“. © dpa | Michael Kappeler
Mitarbeiter der Spurensicherung ermittelten am Montag in dem Ansbacher Flüchtlingsheim, in dem der mutmaßliche Täter wohnte. Der Syrer ist nach Behördenangaben vor zwei Jahren nach Deutschland gekommen und hatte einen Asylantrag gestellt. Dieser wurde vor einem Jahr abgelehnt, ...
Mitarbeiter der Spurensicherung ermittelten am Montag in dem Ansbacher Flüchtlingsheim, in dem der mutmaßliche Täter wohnte. Der Syrer ist nach Behördenangaben vor zwei Jahren nach Deutschland gekommen und hatte einen Asylantrag gestellt. Dieser wurde vor einem Jahr abgelehnt, ... © dpa | Daniel Karmann
... der 27-Jährige Flüchtling war seitdem geduldet. Hintergrund: Deutschland schiebt zurzeit keine Menschen nach Syrien ab, weil in dem Land Bürgerkrieg herrscht. Der Täter war wiederholt strafrechtlich aufgefallen. Unter anderem hatte die Polizei ...
... der 27-Jährige Flüchtling war seitdem geduldet. Hintergrund: Deutschland schiebt zurzeit keine Menschen nach Syrien ab, weil in dem Land Bürgerkrieg herrscht. Der Täter war wiederholt strafrechtlich aufgefallen. Unter anderem hatte die Polizei ... © REUTERS | MICHAELA REHLE
... wegen eines Drogendelikts mit ihm zu tun. Er befand sich in psychiatrischer Behandlung und soll bereits zweimal versucht haben, sich das Leben zu nehmen.
... wegen eines Drogendelikts mit ihm zu tun. Er befand sich in psychiatrischer Behandlung und soll bereits zweimal versucht haben, sich das Leben zu nehmen. © dpa | Daniel Karmann
Eine Woche der Gewalt in Bayern: Würzburg, München und Ansbach wurden innerhalb weniger Tage Ziele von Gewalttaten.
Eine Woche der Gewalt in Bayern: Würzburg, München und Ansbach wurden innerhalb weniger Tage Ziele von Gewalttaten. © dpa-infografik | dpa-infografik GmbH
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Um einer möglichen Gewaltbereitschaft von psychisch Kranken vorzubeugen, muss nach Angaben der Medizinerin die Behandlung der Grundkrankheit wie einer Psychose oder Suchterkrankung im Vordergrund stehen. Zur Prävention seien frühe Hilfen in der Jugend und das Ermöglichen von gesellschaftlicher Teilhabe wichtig. „Wie bei allen anderen Erkrankungen auch sind die Heilungschancen besser, wenn man sein Krankheitsbild gut kennt, damit gut umgehen kann, sich rechtzeitig Hilfe holt und von der Familie und Umgebung unterstützt wird“, erklärte Roth-Sackenheim. Erfreulicherweise seien psychische Erkrankungen heute weniger ein Tabu als noch vor einigen Jahren.

Expertin gegen Lockerung der Schweigepflicht

Forderungen nach einer Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht als Konsequenz aus den jüngsten Gewalttaten wies die Expertin zurück. Bereits heute könnten Ärzte die Schweigepflicht brechen, wenn sie von einer Eigen- oder Fremdgefährdung ausgingen.

Der Amoklauf in München im Juli 2016

In München (Bayern) war die Polizei am 22. Juli 2016 mit einem Großaufgebot im Einsatz. Der 18-Jähriger David S. tötete neun Menschen und richtete später sich selbst.
In München (Bayern) war die Polizei am 22. Juli 2016 mit einem Großaufgebot im Einsatz. Der 18-Jähriger David S. tötete neun Menschen und richtete später sich selbst. © dpa | Matthias Balk
Die ersten Schüsse fielen am frühen Abend in einem Schnellrestaurant.
Die ersten Schüsse fielen am frühen Abend in einem Schnellrestaurant. © REUTERS | © Michael Dalder / Reuters
Anschließend schoss der Täter in dem Olympia-Einkaufszentrum aus seiner Pistole und ergriff die Flucht.
Anschließend schoss der Täter in dem Olympia-Einkaufszentrum aus seiner Pistole und ergriff die Flucht. © Getty Images | Joerg Koch
Seine Leiche wurde später etwa einen Kilometer vom Einkaufszentrum entfernt in einer Nebenstraße gefunden. Dort wurde auch eine Pistole sichergestellt. Der Täter David S. war Deutsch-Iraner und wurde in der bayerischen Landeshauptstadt geboren.
Seine Leiche wurde später etwa einen Kilometer vom Einkaufszentrum entfernt in einer Nebenstraße gefunden. Dort wurde auch eine Pistole sichergestellt. Der Täter David S. war Deutsch-Iraner und wurde in der bayerischen Landeshauptstadt geboren. © dpa | Felix Hörhager
Zwischenzeitlich hieß es, die Polizei fahnde nach drei Personen mit Schusswaffen.
Zwischenzeitlich hieß es, die Polizei fahnde nach drei Personen mit Schusswaffen. © dpa | Felix Hörhager
Die Polizei evakuierte das Einkaufszentrum.
Die Polizei evakuierte das Einkaufszentrum. © Getty Images | Joerg Koch
Sie hatte es mit einer unübersichtlichen Lage zu tun.
Sie hatte es mit einer unübersichtlichen Lage zu tun. © dpa | Felix Hörhager
Aus der ganzen Stadt wurden Einsatzkräfte herbeigerufen.
Aus der ganzen Stadt wurden Einsatzkräfte herbeigerufen. © DrMorbid/Twitter | DrMorbid/Twitter
Der Öffentliche Nahverkehr wurde am Abend komplett eingestellt.
Der Öffentliche Nahverkehr wurde am Abend komplett eingestellt. © dpa | Lukas Schulze
Im Umfeld des Einkaufszentrums reihten sich Polizei- und Feuerwehrwagen aneinander.
Im Umfeld des Einkaufszentrums reihten sich Polizei- und Feuerwehrwagen aneinander. © dpa | Matthias Balk
Auf dem Smartphone-Warnsystem Katwarn war München lila markiert. Die Landeshauptstadt hatte den „Sonderfall“ wegen einer „Amoklage“ ausgerufen.
Auf dem Smartphone-Warnsystem Katwarn war München lila markiert. Die Landeshauptstadt hatte den „Sonderfall“ wegen einer „Amoklage“ ausgerufen. © dpa | Stephan Jansen
Die Bürger wurden aufgefordert, ihre Wohnungen nicht zu verlassen. „Zu Ihrer Sicherheit Plätze & Straßen meiden; Täter flüchtig; Bahn & Busverkehr eingestellt; Radio und Fernseher einschalten“, hieß es in der Mitteilung des behördlichen Warnsystems.
Die Bürger wurden aufgefordert, ihre Wohnungen nicht zu verlassen. „Zu Ihrer Sicherheit Plätze & Straßen meiden; Täter flüchtig; Bahn & Busverkehr eingestellt; Radio und Fernseher einschalten“, hieß es in der Mitteilung des behördlichen Warnsystems. © dpa | Stephan Jansen
Über Twitter verbreiteten Zeugen Bilder. Hier eines vom Beginn des Einsatzes.
Über Twitter verbreiteten Zeugen Bilder. Hier eines vom Beginn des Einsatzes. © Timm Kraeft | Timm Kraeft
Auch der Münchener Hauptbahnhof wurde von der Polizei bewacht.
Auch der Münchener Hauptbahnhof wurde von der Polizei bewacht. © dpa | Andreas Gebert
Züge fuhren den Bahnhof am Abend nicht mehr an.
Züge fuhren den Bahnhof am Abend nicht mehr an. © dpa | Andreas Gebert
In der Nacht durchsuchten Ermittler die Wohnung des Amokläufers in der Münchner Maxvorstadt. Er wohnte noch bei seinen Eltern.
In der Nacht durchsuchten Ermittler die Wohnung des Amokläufers in der Münchner Maxvorstadt. Er wohnte noch bei seinen Eltern. © REUTERS | MICHAEL DALDER
Das mehrstöckige Wohnhaus wurde weiträumig abgesperrt, Ermittler trugen Kartons aus dem Haus.
Das mehrstöckige Wohnhaus wurde weiträumig abgesperrt, Ermittler trugen Kartons aus dem Haus. © REUTERS | MICHAEL DALDER
Die Menschen trauerten um die neun Todesopfer und hatten Blumen nahe des Einkaufszentrums niedergelegt.
Die Menschen trauerten um die neun Todesopfer und hatten Blumen nahe des Einkaufszentrums niedergelegt. © REUTERS | © Michael Dalder / Reuters
Der Verkäufer der Waffe für den Amoklauf hat am 28. August 2017 gestanden und sich bei den Angehörigen der Opfer entschuldigt. Er habe alle Waffenkäufe über das Darknet angebahnt, aber alle Käufer auch persönlich getroffen, um sich einen Eindruck von ihnen zu verschaffen. Hätte er einen Hinweis gehabt, dass David S. „eine so grauenvolle Tat begehen würde“, hätte er ihm die Waffe niemals verkauft.
Der Verkäufer der Waffe für den Amoklauf hat am 28. August 2017 gestanden und sich bei den Angehörigen der Opfer entschuldigt. Er habe alle Waffenkäufe über das Darknet angebahnt, aber alle Käufer auch persönlich getroffen, um sich einen Eindruck von ihnen zu verschaffen. Hätte er einen Hinweis gehabt, dass David S. „eine so grauenvolle Tat begehen würde“, hätte er ihm die Waffe niemals verkauft. © dpa | Sven Hoppe
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Der Amokläufer von München, der am Freitag neun Menschen tötete und sich anschließend selbst erschoss, wurde laut Staatsanwaltschaft wegen sozialer Phobien und Depressionen psychiatrisch behandelt. Der mutmaßliche Selbstmordattentäter von Ansbach, der sich am Sonntag in die Luft sprengte und zwölf Menschen zum Teil schwer verletzte, war nach Angaben der Behörden wegen mehrerer Selbstmordversuche ebenfalls seit längerem in psychiatrischer Behandlung.

Warnung auch vor Generalverdacht gegen Flüchtlinge

Ebenfalls unangebracht ist nach den Gewalttaten der vergangenen Wochen nach Aussage der Bundesregierung eine pauschale Vorverurteilung von Flüchtlingen. Innenminister Thomas de Maizière sagte unserer Redaktion: „Wir dürfen Flüchtlinge nicht unter Generalverdacht stellen, auch wenn es in einzelnen Fällen Ermittlungsverfahren gibt.“ Die allermeisten Hinweise auf mögliche Terroristen unter Asylbewerbern hätten sich bisher als unwahr herausgestellt.

Sowohl die Bluttat in einem Regionalzug bei Würzburg als auch die Bombenexplosion in Ansbach wurden nach bisherigen Erkenntnissen von Tätern begangen, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen waren. Aktuell gebe es laut Bundesinnenministerium nach mehr als 400 Hinweise aus dem Umfeld von Flüchtlingen – etwa aus Unterkünften – 59 laufende Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Entwicklung in terroristische Strukturen. Eine belastbare Zahl über die Radikalisierung gebe es nicht. (epd/dpa/gau)