Berlin. Die Terrormiliz IS hat dazu aufgerufen, Attentate mit einfachen Mitteln zu begehen. Mit Messern oder Autos sollen sie Angst verbreiten.

Es dauert ein paar Stunden, bis die Nachricht durch das Internet schnellt. Die Terrormiliz „Islamischer Staate“ reklamiert das Attentat in Würzburg für sich, nennt den 17 Jahre alten Angreifer Riaz A. einen ihrer „Kämpfer“, spricht von einer „Operation“.

Stunden später veröffentlicht die IS-Nachrichtenagentur „Amaq“ ein Video, auf dem der Teenager zu sehen sein soll, selbst aufgenommen in einer Wohnung in Deutschland fuchtelt er mit einem Messer, lobt gezielt den IS. In seinem Zimmer bei einer Pflegefamilie fanden Polizisten eine gemalte Fahne des IS.

Der Angreifer fühlte sich offenbar zugehörig zum globalen Dschihad, war beeinflusst und fasziniert von deren Propaganda. Wie beim Attentäter von Nizza sprechen erste Erkenntnisse der Ermittler dafür, dass der Junge sich schnell radikalisiert hatte.

17-Jähriger verübt Axt-Attacke im Zug

Ein 17-jähriger Flüchtling aus Afghanistan hat in einem Regionalzug Fahrgäste mit Axt und Messer attackiert. Der Zug hatte das Ziel Würzburg fast erreicht, als der Täter losschlug.
Ein 17-jähriger Flüchtling aus Afghanistan hat in einem Regionalzug Fahrgäste mit Axt und Messer attackiert. Der Zug hatte das Ziel Würzburg fast erreicht, als der Täter losschlug. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand
Vier Menschen wurden schwer verletzt, ein weiterer leicht. Außerdem erlitten 14 Reisende einen Schock.
Vier Menschen wurden schwer verletzt, ein weiterer leicht. Außerdem erlitten 14 Reisende einen Schock. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand
Als der Zug per Notbremse stoppte, sprang der Täter aus dem Zug und flüchtete. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei, das zufällig in der Nähe war, nahm die Verfolgung auf.
Als der Zug per Notbremse stoppte, sprang der Täter aus dem Zug und flüchtete. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei, das zufällig in der Nähe war, nahm die Verfolgung auf. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand
Als der Jugendliche auch auf die Einsatzkräfte losgegangen sei, erschossen die Beamten den jungen Mann.
Als der Jugendliche auch auf die Einsatzkräfte losgegangen sei, erschossen die Beamten den jungen Mann. © REUTERS | KAI PFAFFENBACH
Wegen des Einsatzes wurde die Bahnstrecke zwischen Ochsenfurt und Würzburg zeitweise gesperrt. Der 17-jährige Täter kam ohne seine Eltern nach Deutschland. Zunächst hat er in einer Einrichtung in Ochsenfurt gelebt, danach bei einer Pflegefamilie.
Wegen des Einsatzes wurde die Bahnstrecke zwischen Ochsenfurt und Würzburg zeitweise gesperrt. Der 17-jährige Täter kam ohne seine Eltern nach Deutschland. Zunächst hat er in einer Einrichtung in Ochsenfurt gelebt, danach bei einer Pflegefamilie. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand
Nach einer Aussage soll der Täter einen islamischen Ausruf gemacht haben, kurz bevor er von der Polizei erschossen wurde. In einem Internetvideo bekannte sich der Täter zur Terrormiliz Islamischer Staat.
Nach einer Aussage soll der Täter einen islamischen Ausruf gemacht haben, kurz bevor er von der Polizei erschossen wurde. In einem Internetvideo bekannte sich der Täter zur Terrormiliz Islamischer Staat. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand
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Bis das Video aufgetaucht war, gab es keinen Hinweis auf eine Verbindung zum IS oder anderer radikaler Organisationen. Wahrscheinlicher scheint auch jetzt noch: Der Täter war ein Einzelgänger. Er griff als „Einsamer Wolf“ an, als „Solo-Terrorist“.

Kampf gegen die angeblich „Ungläubigen“

Der IS konnte dessen Gewalttat für seine Propaganda adoptieren. Die Gruppe belegt damit, dass ihr weltweiter Aufruf zum individuellen Kampf gegen die „Ungläubigen“ Erfolg hat. Nur wie kam „Amaq“ an das Video? Wie schon beim Anschlag in Nizza bleibt diffus, ob und wie eng der Angreifer Kontakt zu Terrornetzwerken hatte.

Doch für Terrorismus braucht es keine Ausbildung im Terrorcamp, keine organisierte Zelle von Eingeschworenen. Es reicht das Internet. Der IS rief genauso wie andere terroristische Gruppen wie Al-Kaida seine Sympathisanten auf, Angriffe auch ohne Kontakte zu Netzwerken auszuüben: mit Messern, mit Äxten, mit selbst gebastelten Bomben, mit einem Fahrzeug.

Deutschland ist eines der Ziele des IS-Terrorismus

Im IS-Propagandamagazin „Dabiq“ schreibt die Organisation: „Jeder Muslim soll sein Haus verlassen, einen Kreuzzügler finden und ihn töten.“ Der Tenor: Es ist egal, wie groß der Angriff ist, wie viele Menschen sterben und ob mit einem Messer oder einer Bombe – Hauptsache der IS-Anhänger in westlichen Staaten wird als Dschihadist aktiv.

Deutschland ist eines der Ziele. Auch in der Ausgabe Nummer 14 des Al-Kaida-Magazins „Inspire“ gibt die Terrorgruppe Anweisungen für den „Einsamen Wolf“; eine Anleitung zum Bombenbauen inklusive. Es ist eine Einladung zum „Jedermann-Dschihad“.

„Einzeltäter, die sich vorrangig in den eigenen vier Wänden radikalisieren und kaum erkennbare Spuren in der Realwelt hinterlassen, sind für die Sicherheitsbehörden sehr schwer auf den Schirm zu bekommen“, sagt Markus Schäffert vom bayerischen Verfassungsschutz dieser Redaktion. Die Strategie kommt schon bei den Anarchisten des 19. Jahrhunderts zum Einsatz. In den USA der 1980er Jahre erlebt der „führerlose Widerstand“ in der Propaganda der Neonazis eine Hochphase.

Waffen oder Sprengstoff zu beschaffen, ist aufwändig

Der norwegische Rechtsextremist Anders Breivik handelte so, und seit Jahren kämpfen radikale Palästinenser auf diese Weise gegen Israel. Mitarbeiter der EU besuchten nun das Land und wollten lernen, wie Behörden Einzeltäter schneller erkennen. Netzwerke dagegen hinterlassen Spuren, allein für die Kommunikation untereinander.

Wer eine Waffe kauft oder gar Sprengstoff, muss in kriminelle Milieus abtauchen. Das Risiko, entdeckt zu werden, steigt. Eine Axt, ein Messer oder ein Mietwagen sind leicht zu besorgen. Niemand braucht für einen Angriff damit eine Ausbildung am Gewehr oder Wissen für den Bombenbau.

Einfache Antworten für Gescheiterte und Vereinsamte

Die Zahl möglicher Attentäter ist riesig – sofern sich ein Mensch radikalisieren lässt. Daher wirkt die Propaganda von Extremisten vor allem bei Frustrierten, Narzissten, Ausgegrenzten, psychisch labilen Charakteren. Der Soziologe Ramon Spaaij hat Dutzende „Einsame Wölfe“ untersucht. Er fand heraus: Diese Attentäter haben eine höhere Neigung „mental krank zu sein“, häufiger leiden sie unter psychischen oder sozialen Problemen.

Auch Studien deutscher Sicherheitsbehörden bestätigen das. Neigungen, die Sozialarbeiter und Ärzte auch bei vielen jungen Flüchtlingen feststellen – zumal wenn sie unbegleitet nach Europa geflohen sind und eine dramatische Flucht erlebten. Sie leben hier in einem „sozialen Vakuum“, wie der Verfassungsschutz in Bayern feststellt.

Das nutzen Islamisten, bieten einfache Antworten für Gescheiterte und Vereinsamte. Die Behörde stellte mehrfach Anwerbeversuche in Asylheimen fest. Sie zielen auf Menschen ab wie Riaz A.. Bisher war er der Polizei nicht bekannt. Klar ist: Der Teenager entschloss sich nun, Terrorist zu sein. Und der IS inszeniert ihn zu einem seiner Märtyrer.