Washington. Die Tragödie von Dallas ruft Erinnerungen an vorige Attentate wach. Doch Amerika dürfte weiter an seinem Waffenrecht festhalten. Warum?

In Washington hat die Tragödie von Dallas böse Erinnerungen wach gerufen. Zehn Menschen starben, drei überlebten schwer verletzt, als der ehemalige Armee-Scharfschütze John Allen Muhammad im Oktober 2002 drei Wochen lang die Metropol-Region rund um die Hauptstadt in Angst und Schrecken hielt.

Gemeinsam mit seinem 17 Jahre alten Komplizen Lee Boyd Malvo, der ihm ergeben war, legt der Afro-Amerikaner aus dem Kofferraum eines umgebauten Pkw mit Präzisionsgewehren an Tankstellen und Einkaufszentren wahllos auf Passanten an. Er wurde dafür 2009 hingerichtet.

Damals ging eine Debatte los, die im Lichte der Gräueltaten von Texas wie die 100. Wiederholung eines unergiebigen nationalen Selbstgesprächs wirkt: Ist die weltweit beispiellos hochgerüstete amerikanische Zivil-Gesellschaft, in der es vielerorts leichter ist, an eine kriegsähnliche, semi-automatische Schnellfeuerwaffe zu kommen als an eine Lizenz zum Angeln, selbst schuld an den immer wiederkehrenden Massenmorden? Und welche Rolle, John Allen Muhammad war ein militanter Muslim und Afro-Amerikaner, spielt dabei die ewige Rassenfrage?

Selbst Trump hält sich zurück

Wie sehr mit diesen Frage an einem Pulverfass hantiert wird, zeigte am Freitag die ungewöhnliche Zurückhaltung des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Der New Yorker Bau-Milliardär hatte sich im Wahlkampf mehrfach demonstrativ an die Seite der Polizei gestellt, wenn die politische Linke und Mitte nach tödlichen Zugriffen lautstark Reformen in den Sicherheitsbehörden forderte.

Attentäter erschießt fünf US-Polizisten

Fassungslosigkeit und Trauer in Dallas: Bei einem Protestmarsch von friedlichen Demonstranten gegen Polizeigewalt sind in der texanischen Großstadt mehrere Polizisten von einem Scharfschützen getötet und verletzt worden.
Fassungslosigkeit und Trauer in Dallas: Bei einem Protestmarsch von friedlichen Demonstranten gegen Polizeigewalt sind in der texanischen Großstadt mehrere Polizisten von einem Scharfschützen getötet und verletzt worden. © dpa | Ralph Lauer
Anlass für den Protestmarsch am Donnerstagabend (Ortszeit) war der Tod von zwei Afro-Amerikanern, die in anderen US-Städten innerhalb von zwei Tagen von Polizisten erschossen worden waren.
Anlass für den Protestmarsch am Donnerstagabend (Ortszeit) war der Tod von zwei Afro-Amerikanern, die in anderen US-Städten innerhalb von zwei Tagen von Polizisten erschossen worden waren. © dpa | Ralph Lauer
Gegen 20.45 Uhr fielen die ersten Schüsse. Zwölf Polizisten wurden getroffen.
Gegen 20.45 Uhr fielen die ersten Schüsse. Zwölf Polizisten wurden getroffen. © dpa | Smiley N. Pool
Stundenlang war die Lage unklar. Ein Mann hatte sich in einem Parkhaus verschanzt, die Innenstadt von...
Stundenlang war die Lage unklar. Ein Mann hatte sich in einem Parkhaus verschanzt, die Innenstadt von... © dpa | Maria R. Olivas
...Dallas war weiträumig abgeriegelt. Während der stundenlangen Verhandlungen mit dem...
...Dallas war weiträumig abgeriegelt. Während der stundenlangen Verhandlungen mit dem... © dpa | Ralph Lauer
...später von der Polizei getöteten Verdächtigen habe der Mann gesagt, er habe Weiße, vor allem weiße Polizisten, töten wollen.
...später von der Polizei getöteten Verdächtigen habe der Mann gesagt, er habe Weiße, vor allem weiße Polizisten, töten wollen. © dpa | Ralph Lauer
Der Verdächtige hat laut Polizei in den Verhandlungen gesagt, er habe in der Stadt mehrere Bomben versteckt. Einsatzkräfte durchsuchten mehrere Blocks im Stadtzentrum, fanden aber keine Sprengsätze.
Der Verdächtige hat laut Polizei in den Verhandlungen gesagt, er habe in der Stadt mehrere Bomben versteckt. Einsatzkräfte durchsuchten mehrere Blocks im Stadtzentrum, fanden aber keine Sprengsätze. © dpa | Ralph Lauer
Die Beamten seien aus dem Hinterhalt angegriffen worden, sagte der Polizeichef von Dallas, David Brown. Einigen sei in den Rücken geschossen worden.
Die Beamten seien aus dem Hinterhalt angegriffen worden, sagte der Polizeichef von Dallas, David Brown. Einigen sei in den Rücken geschossen worden. © dpa | Ralph Lauer
Die Behörden baten die Bevölkerung um Hilfe. „Wir brauchen Ihre Unterstützung, um Sie vor denjenigen zu beschützen, die für diese tragischen Ereignisse verantwortlich sind“, sagte Polizeichef Brown in einem eindringlichen Appell.
Die Behörden baten die Bevölkerung um Hilfe. „Wir brauchen Ihre Unterstützung, um Sie vor denjenigen zu beschützen, die für diese tragischen Ereignisse verantwortlich sind“, sagte Polizeichef Brown in einem eindringlichen Appell. © dpa | Mark Kaplan
Die Polizisten hätten unter Einsatz ihres Lebens für die Sicherheit von Zivilisten gesorgt.
Die Polizisten hätten unter Einsatz ihres Lebens für die Sicherheit von Zivilisten gesorgt. © dpa | Mark Kaplan
Dabei hätten sie kaum eine Chance gehabt, sich vor den Schüssen zu schützen.
Dabei hätten sie kaum eine Chance gehabt, sich vor den Schüssen zu schützen. © dpa | Mark Kaplan
Das erste Opfer, dessen Identität bekannt wurde, war Brent Thompson, ein Polizist, der bei dem Nahverkehrsunternehmen „Dallas Area Rapid Transit“ (DART) arbeitete.
Das erste Opfer, dessen Identität bekannt wurde, war Brent Thompson, ein Polizist, der bei dem Nahverkehrsunternehmen „Dallas Area Rapid Transit“ (DART) arbeitete. © REUTERS | HANDOUT
Drei weitere DART-Polizisten wurden verletzt. Freunde und Kollegen zeigten ihre Trauer vor einem Krankenhaus.
Drei weitere DART-Polizisten wurden verletzt. Freunde und Kollegen zeigten ihre Trauer vor einem Krankenhaus. © dpa | Ralph Lauer
Nach den Worten von US-Präsident Barack Obama war die Bluttat von Dallas ein gezielter Angriff auf Polizisten. Es handele sich um eine „bösartige, kalkulierte und verabscheuungswürdige“ Tat, sagte Obama. Die Polizisten seien dabei gewesen, Menschen zu beschützen, als sie angegriffen worden seien.
Nach den Worten von US-Präsident Barack Obama war die Bluttat von Dallas ein gezielter Angriff auf Polizisten. Es handele sich um eine „bösartige, kalkulierte und verabscheuungswürdige“ Tat, sagte Obama. Die Polizisten seien dabei gewesen, Menschen zu beschützen, als sie angegriffen worden seien. © REUTERS | JONATHAN ERNST
Tödliche Gewalt in den USA: Die Karte zeigt, wo in den Tagen vor dem Angriff auf die Polizisten andere Beamte Afro-Amerikaner bei Kontrollen erschossen hatten.
Tödliche Gewalt in den USA: Die Karte zeigt, wo in den Tagen vor dem Angriff auf die Polizisten andere Beamte Afro-Amerikaner bei Kontrollen erschossen hatten. © dpa-infografik | dpa-infografik GmbH
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Bis Freitagmorgen versagte sich Trump Schuldzuweisungen und begnügte sich auf seinem Lieblingskommunikationskanal Twitter mit kondolierenden Worten für die Angehörigen und Familien der Opfer. Seine demokratische Rivalin Hillary Clinton äußerte sich ähnlich. „Ich trauere um die Polizisten, die während ihrer heiligen Pflicht, friedliche Demonstranten zu schützen, erschossen wurden.“

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Auch Präsident Obama versuchte schon – vor Dallas – den Spagat. Unmittelbar vor den ersten Schüssen in Texas wertete er die jüngsten Todesfälle in Baton Rouge und St. Paul, die über die sozialen Medien millionenfache Verbreitung und Kommentierung fanden, als Ausdruck von Diskriminierung von Schwarzen. Er forderte die Nation auf, gemeinsam zu trauern und nach Rezepten gegen die Misere zu suchen. Im gleichen Atemzug stellte Obama heraus, wie riskant und aufopferungsvoll der Job für Polizisten heutzutage sei. Und dass der überwältigende Teil der Ordnungshüter einen bewundernswerten Job mache.

Recht auf Waffen in Verfassung verankert

Obama weiß, dass es die Rezepte längst gibt. Er versucht sie seit acht Jahren ins Werk zu setzen – ohne Erfolg. Wann immer seine Regierung nach Waffen-Tragödien den Versuch unternommen hat, den Zugang zu Schießwerkzeugen zu erschweren, schlug ihm die ganze Wucht von Volkes Mehrheits-Wille, Republikanern und der Waffen-Lobby NRA entgegen. Gemeinsam steht dieses Trio in einem Land, dessen Historie durch Indianerkriege und Rassenkrawalle konstitutionell gewalttätig war, für den Schutz der Verfassung. Dort ist im zweiten Zusatzartikel verbrieft, dass „das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden darf.“ Mit diesem einen Satz machte die Waffen-Lobby bisher jeden Versuch zunichte, die Sicherheitsüberprüfungen vor dem Kauf zu intensivieren.

Das Resultat nach amtlichen Zahlen: Mehr als 300 Millionen Schusswaffen sind im Privatbesitz. Die florierenden Waffenschmieden des Landes produzieren im Jahr etwa vier Millionen Pistolen, rund 800.000 Revolver sowie über drei Millionen Gewehre, wie die Behörde für Alkohol, Tabak und Feuerwaffen (ATF) sagt. Kommt es nach Tragödien wie Dallas zu politischen Fingerübungen, doch an den gesetzlichen Schrauben zu drehen, stellt sich sofort der Gegen-Reflex ein: Amerikaner stürmen die Geschäfte der 140.000 lizensierten Waffenhändler. So wird es auch nach Dallas sein, sagen Waffen-Experten. „Die Angst vor Terroranschlägen und großen Gewalttaten ist für die Waffenindustrie wie ein warmer Sommer-Regen.“