Washington/Dallas. Der Angriff auf Polizisten in Dallas sollte ein Weckruf sein, der zum Innehalten zwingt. Doch die Politik fällt in alte Muster zurück.

Obama war am Freitag in Warschau – die Nato stärken, bei ihrem Einsatz gegen Bedrohungen von Russland über Nordkorea bis Islamischer Staat. Dabei liegt die wahre Kriegszone ganz woanders. In seiner Abwesenheit hat der uramerikanische Wahnsinn neue Maßstäbe der Grausamkeit gesetzt. Zwei durch Handy-Videos dokumentierten Gewaltexzessen von hoffnungslos überforderten Polizisten gegen Afro-Amerikaner folgte fast wie auf dem Fuße der schlimmste Anschlag auf die Staatsgewalt seit Jahrzehnten. Ausgerechnet in der Stadt, in der Präsident John F. Kennedy 1963 aus dem Hinterhalt erschossen wurde, machten der oder die Täter Jagd auf Polizisten. Fünf „Cops“ sind tot, sieben weitere kamen mit teilweise schweren Verletzungen davon. Das bereits bis in den Zynismus gegen den täglichen Waffen-Irrsinn abgehärtete Land, in dem unbeaufsichtigte Kinder ebenso zum Opfer werden wie ahnungslose Passanten, hält den Atem an. Man fühlt sich an dunkle Zeiten erinnert, als die Rassen nach der Strickart „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ einander an die Kehle gingen.

Mussten für die Polizei-Opfer von Baton Rouge und Falcon Heights, für Alton Sterling und Philando Castile, Beamte in Uniform sterben? Ausgerechnet bei einem Einsatz, der eine friedliche Demonstration gegen eben diese Polizeigewalt gewährleisten sollte? Es sieht so aus. Der mutmaßliche Cop-Killer soll sich in diese Richtung geäußert haben. Aber er ist tot. Man kann, so es bei einem Täter bleibt, nur noch sein Umfeld erhellen.

Attentäter erschießt fünf US-Polizisten

Fassungslosigkeit und Trauer in Dallas: Bei einem Protestmarsch von friedlichen Demonstranten gegen Polizeigewalt sind in der texanischen Großstadt mehrere Polizisten von einem Scharfschützen getötet und verletzt worden.
Fassungslosigkeit und Trauer in Dallas: Bei einem Protestmarsch von friedlichen Demonstranten gegen Polizeigewalt sind in der texanischen Großstadt mehrere Polizisten von einem Scharfschützen getötet und verletzt worden. © dpa | Ralph Lauer
Anlass für den Protestmarsch am Donnerstagabend (Ortszeit) war der Tod von zwei Afro-Amerikanern, die in anderen US-Städten innerhalb von zwei Tagen von Polizisten erschossen worden waren.
Anlass für den Protestmarsch am Donnerstagabend (Ortszeit) war der Tod von zwei Afro-Amerikanern, die in anderen US-Städten innerhalb von zwei Tagen von Polizisten erschossen worden waren. © dpa | Ralph Lauer
Gegen 20.45 Uhr fielen die ersten Schüsse. Zwölf Polizisten wurden getroffen.
Gegen 20.45 Uhr fielen die ersten Schüsse. Zwölf Polizisten wurden getroffen. © dpa | Smiley N. Pool
Stundenlang war die Lage unklar. Ein Mann hatte sich in einem Parkhaus verschanzt, die Innenstadt von...
Stundenlang war die Lage unklar. Ein Mann hatte sich in einem Parkhaus verschanzt, die Innenstadt von... © dpa | Maria R. Olivas
...Dallas war weiträumig abgeriegelt. Während der stundenlangen Verhandlungen mit dem...
...Dallas war weiträumig abgeriegelt. Während der stundenlangen Verhandlungen mit dem... © dpa | Ralph Lauer
...später von der Polizei getöteten Verdächtigen habe der Mann gesagt, er habe Weiße, vor allem weiße Polizisten, töten wollen.
...später von der Polizei getöteten Verdächtigen habe der Mann gesagt, er habe Weiße, vor allem weiße Polizisten, töten wollen. © dpa | Ralph Lauer
Der Verdächtige hat laut Polizei in den Verhandlungen gesagt, er habe in der Stadt mehrere Bomben versteckt. Einsatzkräfte durchsuchten mehrere Blocks im Stadtzentrum, fanden aber keine Sprengsätze.
Der Verdächtige hat laut Polizei in den Verhandlungen gesagt, er habe in der Stadt mehrere Bomben versteckt. Einsatzkräfte durchsuchten mehrere Blocks im Stadtzentrum, fanden aber keine Sprengsätze. © dpa | Ralph Lauer
Die Beamten seien aus dem Hinterhalt angegriffen worden, sagte der Polizeichef von Dallas, David Brown. Einigen sei in den Rücken geschossen worden.
Die Beamten seien aus dem Hinterhalt angegriffen worden, sagte der Polizeichef von Dallas, David Brown. Einigen sei in den Rücken geschossen worden. © dpa | Ralph Lauer
Die Behörden baten die Bevölkerung um Hilfe. „Wir brauchen Ihre Unterstützung, um Sie vor denjenigen zu beschützen, die für diese tragischen Ereignisse verantwortlich sind“, sagte Polizeichef Brown in einem eindringlichen Appell.
Die Behörden baten die Bevölkerung um Hilfe. „Wir brauchen Ihre Unterstützung, um Sie vor denjenigen zu beschützen, die für diese tragischen Ereignisse verantwortlich sind“, sagte Polizeichef Brown in einem eindringlichen Appell. © dpa | Mark Kaplan
Die Polizisten hätten unter Einsatz ihres Lebens für die Sicherheit von Zivilisten gesorgt.
Die Polizisten hätten unter Einsatz ihres Lebens für die Sicherheit von Zivilisten gesorgt. © dpa | Mark Kaplan
Dabei hätten sie kaum eine Chance gehabt, sich vor den Schüssen zu schützen.
Dabei hätten sie kaum eine Chance gehabt, sich vor den Schüssen zu schützen. © dpa | Mark Kaplan
Das erste Opfer, dessen Identität bekannt wurde, war Brent Thompson, ein Polizist, der bei dem Nahverkehrsunternehmen „Dallas Area Rapid Transit“ (DART) arbeitete.
Das erste Opfer, dessen Identität bekannt wurde, war Brent Thompson, ein Polizist, der bei dem Nahverkehrsunternehmen „Dallas Area Rapid Transit“ (DART) arbeitete. © REUTERS | HANDOUT
Drei weitere DART-Polizisten wurden verletzt. Freunde und Kollegen zeigten ihre Trauer vor einem Krankenhaus.
Drei weitere DART-Polizisten wurden verletzt. Freunde und Kollegen zeigten ihre Trauer vor einem Krankenhaus. © dpa | Ralph Lauer
Nach den Worten von US-Präsident Barack Obama war die Bluttat von Dallas ein gezielter Angriff auf Polizisten. Es handele sich um eine „bösartige, kalkulierte und verabscheuungswürdige“ Tat, sagte Obama. Die Polizisten seien dabei gewesen, Menschen zu beschützen, als sie angegriffen worden seien.
Nach den Worten von US-Präsident Barack Obama war die Bluttat von Dallas ein gezielter Angriff auf Polizisten. Es handele sich um eine „bösartige, kalkulierte und verabscheuungswürdige“ Tat, sagte Obama. Die Polizisten seien dabei gewesen, Menschen zu beschützen, als sie angegriffen worden seien. © REUTERS | JONATHAN ERNST
Tödliche Gewalt in den USA: Die Karte zeigt, wo in den Tagen vor dem Angriff auf die Polizisten andere Beamte Afro-Amerikaner bei Kontrollen erschossen hatten.
Tödliche Gewalt in den USA: Die Karte zeigt, wo in den Tagen vor dem Angriff auf die Polizisten andere Beamte Afro-Amerikaner bei Kontrollen erschossen hatten. © dpa-infografik | dpa-infografik GmbH
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Omnipräsenz von Waffen senkt die Hemmschwelle

Das ändert nichts an der amerikanischen Schande, die die Kulisse zu dem jüngsten Exzess bildet. Die Vereinigten Staaten ersticken an Waffen. Bei geschätzt über 300 Millionen Pistolen und Gewehren in Privathaushalten, bei rund 30.000 Waffen-Toten pro Jahr, bei einem hohen Grad von Kriminalität und Verwahrlosung ist es keine Überraschung, dass die Hemmschwelle für den tödlichen Einsatz von Waffen durch die Polizei immer niedriger wird.

Cops müssen damit rechnen, nach einer gewöhnlichen Fahrzeugkontrolle nicht mehr lebend nach Hause zu ihrer Familie zu kommen. Weil der Fahrzeughalter bis an die Zähne bewaffnet ist oder psychisch krank oder voll von Drogen. Umgekehrt gilt, und hier kommt der tief sitzende Rassismus ins Spiel, das Gleiche für Afro-Amerikaner und Latinos, die erschreckend oft bei Bagatell-Kontakten mit der Staatsgewalt ums Leben kommen – viel häufiger als Weiße.

Weniger Waffen, mehr Kampf gegen Rassismus

Dass der Gouverneur von Minnesota den verabscheuungswürdigen Polizeieinsatz gegen Philando Castile öffentlich auf Rassismus zurückführt („bei einem Weißen wäre das nicht passiert“), müsste ein Weckruf sein, der das ganze Land zum Innehalten zwingt. Stattdessen ergeht sich die politische Klasse in Ritualen. Je nach ideologischer Verortung – die Demokraten mehr auf Seiten der Befürworter von strengeren Waffengesetzen, die Republikaner stärker pro Polizei und Waffenlobby NRA – werden die alten Argumentationsgräben befestigt.

Nationale Sicherheit und innerer Frieden werden aber nur dann gelingen, wenn alle Seiten drastisch abrüsten. Wenn Waffen aus dem Alltag verschwinden. Wenn ihr hemdsärmeliger Gebrauch als Ersatz für zivilisierte Methoden der Konfliktbewältigung gemeinschaftlich tabuisiert und der Rassismus aktiv bekämpft wird. Nach Dallas wird das ein kühner Traum bleiben. Der nächste Amoklauf, das nächste Massaker, der nächste aus dem Ruder laufende Polizeieinsatz ist nur einen Wimpernschlag entfernt. Und damit im schlimmsten Fall eine großflächige Explosion der gesellschaftlichen Ungleichgewichte. Wer beschützt Amerika vor sich selbst?