Düsseldorf. Notgedrungener Gefangenen-Transport in Münster: 500 Häftlinge müssen verteilt werden, weil das Gefängnis akut einsturzgefährdet ist.

So viele Verurteilte außerhalb der Gefängnismauern hat Peter Brock in 36 Jahren Strafvollzug noch nicht gesehen. Der Landesvorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten reagiert am Donnerstag entsetzt, als das Land den wohl größten Gefangenen-Transport in der jüngeren Geschichte der NRW-Justiz startete. Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Münster, ein maroder Bau aus dem Jahr 1853, muss bis zum Freitag wegen akuter Einsturzgefahr geräumt werden. Busse verteilen binnen 48 Stunden mehr als 500 Häftlinge auf andere Gefängnisse.

„Das ist eine Katastrophe mit Ansage und eine Extremsituation für unsere Bediensteten“, schimpfte Brock. Das Münsteraner Gefängnis gilt schon lange als höchst baufällig. Der landeseigene Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) sucht seit drei Jahren vergeblich ein Grundstück für ein komplett neues Hafthaus. „Ich sehe ein massives Versagen des BLB“, kritisierte Brock.

Pendelverkehr bringt Häftlinge in andere Anstalten

Der Liegenschaftsbetrieb hatte dem Justizministerium offenbar signalisiert, dass der Weiterbetrieb der ältesten Anstalt des Landes vorerst nicht gefährdet ist. Gutachter hatten die Statik überprüft, in den Gewölbedecken waren Sensoren installiert worden, um eine mögliche Einsturzgefahr frühzeitig per Computer erkennen zu können. Umso überraschter war man in Düsseldorf, als der BLB am Mittwoch doch die fristlose Kündigung aussprach und die Räumung innerhalb von zwei Tagen anordnete. Ein neues Gutachten hatte die Gefahren in der vergangenen Woche anders bewertet.

Ein Pendelverkehr mit 20 Bustouren brachte bereits am Donnerstag mehrere Hundert Gefangene in zwei ehemalige Zweiganstalten nach Coesfeld und Krefeld. Beide waren ebenso wie die JVA Mönchengladbach eigentlich 2015 zur Schließung vorgesehen. Als Reserve für Engpässe hatte der BLB sie jedoch Anfang des Jahres wieder betriebsbereit gemacht. Eine unvermittelte Evakuierung wie in Münster war für Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) lange jedoch ein völlig unrealistisches Szenario. Der Umzug von 500 Häftlingen sei eine „logistische Meisterleistung“ der Bediensteten, sagte er am Freitag. Die Häftlinge mussten in Windeseile ihre persönlichen Sachen in Kisten packen – nicht mehr als zehn Kilogramm pro Person.

FDP hält Notfall-Räumung für eine Farce

CDU und FDP warfen dem Justizminister Planungsversagen und mangelhafte Absprachen mit dem BLB vor. Seit Jahren sei bekannt, dass der Uralt-Knast in Münster ersetzt werden müsse. „Die Notfall-Räumung des Gefängnisses ist eine Farce“, rügte FDP-Rechtsexperte Dirk Wedel.

Kutschaty wollte das nicht auf sich sitzen lassen und schob die Verantwortung für das Debakel weiter: „Ich erwarte vom BLB und der Stadt Münster, dass nun endlich mit Nachdruck ein geeignetes Grundstück, notfalls auch außerhalb Münsters, für den Neubau der JVA gefunden wird.“ Für den SPD-Mann kommt die bundesweit beachtete Blitz-Räumung zur Unzeit. Gerade erst hatte sich die Landesregierung zu einem 900 Millionen-Euro-Investitionsprogramm für den Strafvollzug durchgerungen. Es ist das größte JVA-Paket seit Jahrzehnten, das nun von den Münsteraner Vorgängen überlagert wird.

„Wir haben in den anderen NRW-Haftanstalten ausreichend Haftplätze, um die Gefangenen dort unterbringen können“, erklärt Kutschaty zu der aktuellen Großverlegung. Überhaupt macht er seit Wochen eine andere Rechnung auf. Die Zahl der Inhaftierten sei in den vergangenen zehn Jahren um 2000 auf nun etwa 15.500 zurückgegangen, die Zahl der Haftplätze jedoch stabil geblieben. Nicht die Quantität sei in NRW das Problem, sondern die Qualität der zumeist in die Jahre gekommenen Einrichtungen. „Jeder, der einen Haftplatz benötigt, bekommt ihn bei uns auch“, lautet das Credo des Justizministers.