Viernheim. Nach der Geiselnahme wollen die Menschen in Viernheim zur Normalität zurückkehren. Aber noch wird über die Hintergründe spekuliert.

Kein Flatterband mehr. Nichts ist länger abgesperrt. Nach der Geiselnahme in einem Kino im südhessischen Viernheim wollen die Menschen wieder zur Normalität zurück. Doch die ist am Tag nach dem Einsatz der Polizei-Spezialkräfte, die den 19 Jahre alten Täter erschossen, am Kino und im angrenzenden Einkaufszentrum noch nicht wieder eingekehrt.

„Filme erst wieder am Samstag“, sagt der Mann an der Kinokasse. Das Einkaufszentrum, das auch der Vermieter des Kinos ist, hat die Zahl der Sicherheitskräfte auch wegen eines Bauernmarktes dort auf dem Gelände um fünf auf sieben erhöht, wie Center-Manager Patrick Steidl sagt. Die Polizei sei auch noch präsent. Wer eine Gruppe aus drei Beamten nach dem Grund ihrer Streife fragt, bekommt zur Antwort: nicht wegen der Geiselnahme. „Hauptsächlich wegen Taschendieben.“

Der maskierte Geiselnehmer hatte am Donnerstag bei Sommerhitze in dem Kinocenter 18 Menschen – unter ihnen Kinder – als Geiseln genommen und sie bedroht. Seine Pistole und sein Gewehr waren Schreckschusswaffen, seine Handgranaten Attrappen. Als es laut Polizei zu „einer Bedrohungssituation“ kam, wurde er erschossen. Kein terroristischer Hintergrund erkennbar, sagt die Staatsanwaltschaft Darmstadt. Auch kein politischer.

Der Alltag kehrt wieder ein

Der Kriminalpsychologe Rudolf Egg äußert die Vermutung, es könnte sich um einen provozierten Suizid des 19-Jährigen gehandelt haben. „Wir können das weder bestätigen noch dementieren“, sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nina Reininger. „Wir haben auch noch nicht alle Informationen.“ Unklar sei auch noch, ob der Mann verwirrt gewesen sei, wie Sicherheitskreise zunächst gesagt hatten.

Mario Meyer, Verkäufer an einem Honigstand, kehrt zur Normalität zurück.
Mario Meyer, Verkäufer an einem Honigstand, kehrt zur Normalität zurück. © dpa | Andreas Arnold

Der Bauernmarkt ist auch diesen Freitag, genau gegenüber dem Kino und damit vor einem Eingang des Einkaufszentrums. „Gut, dass ich gestern nicht da war“, sagt Mario Mayer, der für eine Imkerei aus dem nahen Seeheim-Jugenheim an einem Stand steht und Honig verkauft. Schockiert sei er aber nicht. „Ich wäre hier stehen geblieben“, bekundet der 48-Jährige. „Wenn mich eine Kugel trifft, dann trifft sie mich halt. So einfach ist das.“

Woher nimmt er diese Meinung? „Wenn Sie über die Straße gehen, können Sie überfahren werden. Wenn Sie die Treppe runtergehen, können Sie runterfallen. Außerdem weiß man nie, wo diese Verrückten rumrennen.“ Es seien zwar an diesem Freitag weniger Leute auf dem Markt. Das liege aber sicher eher an der brütenden Hitze als an der Geiselnahme.

„Die Geiselnahme ist erledigt“

Gelassen gibt sich auch Roland Hess, der neben dem Honigstand an einem Tisch sitzt und Zeitung liest. Das Kino-Drama ist die große Geschichte auf Seite eins. Der 62-Jährige aus dem nahen Weinheim gibt sich entspannt auf die Frage, warum er einen Tag nach der Geiselnahme auf den Bauernmarkt gekommen ist. „Warum nicht? Das ist doch vorbei.“ So sieht es auch eine Frau, die zum Markt eilt. „Das hält mich nicht davon ab“, sagt sie. „Die Geiselnahme ist erledigt, die ist vorbei. Außerdem kann man sein Leben nicht danach einrichten.“

Eine Mutter wollte mit ihrer kleinen Tochter sogar wieder ins Kino. „Da mache ich mir keinen Druck und keine Angst“, sagt die Frau. „Das kann überall passieren.“ (dpa)