Berlin. Facebook bietet Suizidgefährdeten neue Wege zur Hilfe. Eine gute Idee, finden Experten. Wenn da nicht ein ärgerlicher Nachteil wäre.

Es war ein Hilferuf per Facebook: „Ich habe eine Überdosis genommen. Es gibt keinen anderen Weg, um Respekt zu bekommen.“ Der Absender dieser erschütternden Sätze war die irische Pop-Sängerin Sinead O’Connor. Über Facebook ließ die 48-Jährige ihre Fans auch wissen, weshalb sie ihre Situation für ausweglos hielt: Ihre Familie habe sie verstoßen. „Sie würden wochenlang nicht wissen, dass ich tot bin, wenn ich sie jetzt nicht informieren würde“, so die Musikerin. Der verzweifelte Post Ende vergangenen Jahres rettete O’Connor wohl in letzter Minute: Die von Fans alarmierte Polizei machte die Musikerin, die sich unter falschem Namen in einem Hotel einquartiert hatte, ausfindig. Sinead O’Connor hatte Glück. Sie lebt.

Mit weltweit mehr als 1,6 Milliarden Nutzern, die regelmäßig mehr oder weniger Persönliches in die Internet-Welt hinausschicken, will Facebook nun nicht mehr allein auf Glück bauen, sondern mehr und direkter Einfluss nehmen bei der Hilfe für suizidgefährdete Nutzer. Seit vergangenen Dienstag stellt das globale soziale Netzwerk neue Funktionen online, mit denen Facebook-Nutzer leichter und schneller ihren Freunden helfen können sollen, wenn diese Postings veröffentlichen, die auf eine Suizidgefahr hindeuten.

Präventions-Team soll sich um Betroffene kümmern

Ab sofort erhielten „ Menschen, die besorgniserregende Inhalte teilen, zusätzliche Optionen“, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung von Facebook-Sicherheitschefin Antigone Davis und Produktmanagerin Vanessa Callison-Burch. Und weiter: „Wenn du jemanden kennst, der gerade in einer persönlichen Krise steckt, ist es wichtig, sofort den örtlichen Notruf zu wählen. Informationen dazu, wie du dir selbst oder einem Freund helfen kannst, findest du in unserem Hilfebereich.“

Das Warn-Tool, das es seit 2015 bereits in den USA, Australien und Großbritannien gibt, besteht aus einem Drop-Down-Menü, mit dessen Hilfe Nutzer ihnen bedenklich erscheinende Postings markieren können. Diese markierten Nachrichten sollen dann direkt bei einem „Suizid-Präventions-Team“ von Facebook landen, das rund um die Uhr erreichbar sei und weltweit mehrere 100 Mitarbeiter umfasse. In Fällen, in denen Unterstützung nötig sei, würden die Facebook-Nutzer per Meldung kontaktiert. Dabei würden die Nummern lokaler Hilfsangebote übermittelt, in Deutschland zum Beispiel die der Telefonseelsorge.

„Die Initiative von Facebook ist sinnvoll. Bei den meisten Menschen, die sich mit Suizidgedanken tragen, besteht eine Chance zur Umkehr, wenn sie Hilfe angeboten bekommen“, glaubt Ruth Belzner, Vorsitzende der Evangelischen Konferenz für Telefonseelsorge. Die erfahrene Diplompsychologin kennt sich aus mit Hilferufen suizidgefährdeter Menschen, wie sie immer wieder auch in den sozialen Netzwerken auftauchen. Bei den bundesweit 105 Telefon-Seelsorgestellen, die zu ihrem Netzwerk gehören, gehen pro Jahr rund zwei Millionen Anrufe ein – darunter auch viele von Selbstmordkandidaten. Deshalb haben sich die Verantwortlichen für das Projekt bei Facebook auch bei Belzner informiert, als sie die neuen Tools entwickelten. Belzner: „Sie haben sich unsere Expertise zunutze gemacht.“

Der Weg zur Hilfe ist umständlich und verwirrend

Allerdings gibt es ein ziemliches Manko: Der Weg, den ein Facebook-Nutzer gehen muss, um einen potenziell suzidialen Post zu melden, ist umständlich, verwirrend und nicht logisch.

Zuerst klickt man auf den grauen Pfeil am rechten oberen Rand des Posts. Dann geht es weiter über „Beitrag melden“. Im nächsten Menü-Fenster („Was ist los?“) muss man dann „Es sollte meiner Meinung nach nicht auf Facebook sein“ anklicken. Von Suizidgefahr ist noch keine Rede. Erst darauf öffnet sich ein weiteres Fenster („Was ist daran falsch?“), wo es gilt, die Rubrik „Es ist bedrohlich, gewalttätig oder suizidal“ zu wählen. Darauf wiederum erscheint das Fenster „Wähle eine Art aus...“, und man entscheidet sich für den Punkt „Selbstverletzung oder Suizid“. Erst dann erscheinen schließlich unter „Was du tun kannst“ die Möglichkeiten der Hilfe. Komplizierter geht’s kaum.

Dabei ist gerade niederschwellige Hilfe wichtig. Denn die Zahlen sind erschreckend. „In Deutschland sterben deutlich mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Mord und Totschlag, illegale Drogen und Aids zusammen“, heißt es bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS). Im Durchschnitt alle 52 Minuten nimmt sich in Deutschland ein Mensch das Leben. Im Jahr 2013 etwa waren es laut einer Statistik der DGS 10.076 Fälle. Weit über 100.000 Menschen begingen demnach im gleichen Zeitraum einen Suizidversuch.

„Facebook tut, was es tun kann“

„Unsere Erfahrung zeigt, dass viele Suizidgefährdete glücklich sind, wenn ihre Signale wahrgenommen werden“, weiß die Psychologin Belzner. Doch wie intensiv kann sich ein globales Netzwerk von der Größe Facebooks überhaupt mit potenziellen Selbstmördern beschäftigen? „Das Unternehmen tut das, was es tun kann“, so Belzner, „Hilfe anbieten, auf eine Anlaufstelle hinweisen. Eben zeigen, dass sich jemand kümmert. Das ist schon etwas. Mehr würde ich von Facebook auch gar nicht erwarten.“

Das sieht auch Thomas Jarzombek so. Der Christdemokrat ist digitalpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag und hat schon früher solch ein Angebot von Facebook eingefordert. „Es ist besser, Menschen mit Suizidgedanken kann per Mausklick geholfen werden, als etwa über den Umweg einer Hotline“, findet Jarzombek. Auch der CDU-Politiker sagt, man dürfe von Facebook „keine perfekten Lösungen erwarten. Aber wenn da ein Unternehmen seinen Beitrag zu niedrigschwelliger Hilfe leistet, dann ist das zu unterstützen“.