Washington/Orlando. Er sei aufbrausend gewesen, psychisch labil: Das sagt die Ehefrau des Täters von Orlando. Was wusste sie noch über die Terror-Pläne?

Mitwisserschaft kann im US-Bundesstaat Florida bei Mord schon im Einzelfall langjährige Haftstrafen nach sich ziehen. Bei Noor Zahi Salman, so haben Strafrechtler ausgerechnet, könnten es theoretisch sogar mehrere hundert Jahre werden, wenn es zu Prozess und Urteil kommt. Ihr Ehemann Omar Mateen hat im Nachtklub „Pulse“ in Orlando 49 Menschen erschossen, über 50 wurden teils schwer verletzt.

Weil der Attentäter bei dem Massaker starb und seine Motivlage weiter unklar ist, konzentrieren sich die Ermittler auf die 30-Jährige. Nicht nur am Rande. „Sie steht definitiv im Zentrum des Interesses, sie wusste offenbar einiges“, sagt US-Senator Angus King, Mitglied des Geheimdienstausschusses des Senats in Washington.

Salman war Chauffeurin ihres Mannes

Salman soll, wie Fahnder dem TV-Sender NBC steckten, von den Anschlagsplänen ihres Gatten gewusst haben – ohne aber rechtzeitig die Polizei zu alarmieren. Nach Recherchen des in Sicherheitskreisen blendend vernetzten NBC-Journalisten Pete Williams hat Salman in Gesprächen mit der Bundespolizei FBI bereits eingeräumt, dass sie Omar Mateen am 9. Juni, wenige Tage vor der Tat, zu einem Waffenhändler gefahren hat; dort kaufte Mateen Munition.

Als Chauffeurin betätigte sie sich auch, als Mateen den Schauplatz der Tragödie von Sonntagnacht, den bei Homosexuellen beliebten Nachtklub „Pulse“, vor einiger Zeit aufsuchen wollte. Ihr Mann, wird Salman zitiert, wollte die Lokalität „auskundschaften“. Alternativ soll sie ihn zu einem Einkaufszentrum gefahren haben, der zum Vergnügungszentrum Disney World gehört.

Anruf bei der Polizei

Die aus Kalifornien stammende Salman soll gegenüber den Ermittlern gesagt haben, dass sie eine leise Ahnung von einem bevorstehen Gewaltausbruch gehabt habe und den als aufbrausend und psychisch instabil bekannt gewesenen Wachmann „davon abhalten wollte“. Warum sie nicht umgehend die Polizei oder die Eltern des Täters alarmiert hat? Die Antwort darauf steht aus.

Das FBI will wissen, ob Salman in die Mord-Pläne eingeweiht war, ob sie die wahren Tatmotive kennt, die medial derzeit noch zwischen radikal-islamistisch motiviertem Hass und homosexuellen Identitätsproblemen changieren.

Mateen hatte noch während des Amoklaufs die Polizei angerufen und seine Treue zum Terror-Netzwerk „Islamischer Staat“ (IS) und seine Solidarität zu den islamistischen Bombenlegern des Marathonlaufs von Boston 2013 bekannt. Weil er zuvor auch mit dem IS rivalisierende Gruppen wie Hisbollah oder Al-Nusra verbal unterstützte, haben die Fahnder Zweifel, ob Mateen tatsächlich ein indoktrinierter Islamist war oder seinen Massenmord „nur mit diesem Etikett adeln wollte“.

Hintergrund: Mehrere Zeugen sagten inzwischen aus, dass Mateen homosexuell war und im Nachtklub „Pulse“ über Jahre Stammgast. Sein muslimischer Hintergrund, seine strenge Familie, vor allem der Vater, allgemeiner Verdruss und eine gehörige Portion Selbsthass könnten nach dieser Theorie die Bluttat wenigstens zum Teil ausgelöst haben.

Mateen und Salman lernten sich im Netz kennen

Um den Druck auf die Witwe des Täters zu erhöhen, erwägen die Behörden kurzfristig eine Anklage wegen Beihilfe. Eine Jury vor Gericht sollte dazu im Laufe des Mittwochs eine Entscheidung vorbereiten. Weil Salman dann aber die Aussage verweigern und somit die Ermittlungen substanziell erschweren könnte, versuchen die FBI-Profiler zunächst durch gutes Zureden die Bereitschaft zur Zusammenarbeit herzustellen.

Noor Zahi Salman, den Papieren nach US-Amerikanerin mit palästinensischen Wurzeln, wuchs behütet in Rodeo, im Nordosten von San Francisco auf. Sie kleidete sich früh säkular, ohne Schleier oder Kopfbedeckung. Nachbarn beschreiben die 30-Jährige als nicht besonders „smart“. Ihr Leben sei unspektakulär verlaufen. Dann kam die erste Ehe, eingestielt von ihren tief religiösen Eltern in den palästinensischen Autonomiegebieten. Mit ihrem Mann lebte sie damals in Chicago. Die Verbindung stotterte früh. Sie war Amerikanerin, er kam aus der anderen Welt des Nahen Osten. Die Trennung war die Folge.

Omar Mateen lernte sie über eine Partnerbörse im Internet kennen. Die beiden heirateten im September 2011; drei Monate, nachdem sich Mateen von seiner ersten Frau Sitora Yusufiy, einer gebürtigen Usbekin, hatte scheiden lassen. Von der Westküste aus nahm Mateen seine zweite Frau mit nach Fort Pierce in Florida. Dort wurde der inzwischen dreieinhalbjährige Sohn geboren.

Obama besucht Orlando

Nachbarn der erschütterten Mutter Salmans berichteten Zeitungen in San Francisco, dass die hübsche, dunkelhaarige Frau auch mit der zweiten Ehe keinen guten Griff getan habe. Mateen habe sich despotisch verhalten, ihr lange Zeit das Autofahren untersagt wie auch einen engeren Kontakt zu ihren Eltern. Um ihren todkranken Vater noch rechtzeitig vor dessen Tod zu sehen, soll sich Salman auf eigene Faust ins Flugzeug an die Westküste gesetzt haben. In Fort Pierce, 170 Kilometer südlich von Orlando, trat Salman kaum öffentlich in Erscheinung. Bis Dienstag verschanzte sie sich mit ihrem Kind im Haus der Eltern von Omar Mateen. Inzwischen hält sie sich an einem geheim gehaltenen Ort auf.

Unterdessen geht in Orlando die Trauerarbeit nach einem der folgenschwersten Massaker in der Geschichte Amerikas weiter. Am Donnerstag wird Präsident Obama vor Ort erwartet. Wie der Leiter der Islamischen Gesellschaft von Zentral-Florida, Imam Muhammad Musri, im Gespräch mit dieser Redaktion sagte, ist das eine „wichtiges Zeichen der Ermutigung“. Muslime würden derzeit mit Hass-Mails und Einschüchterungen überschüttet.

Am 23. Juli planen muslimische Verbände in Washington darum eine große Demonstration, zu der bis zu 50.000 Besucher erwartet werden. Anfeindungen sind aber nicht nur Muslime ausgesetzt. Landesweit sind Schwulen- und Lesbenverbände sprachlos vor Wut über einen Baptisten-Prediger im kalifornischen Sacramento. Pastor Roger Jimenez titulierte die Opfer von Orlando als „Sexualverbrecher“ und sagte wörtlich: „Ich glaube, Orlando ist nun ein wenig sicherer. Die Tragödie ist, dass nicht mehr von ihnen gestorben sind.“