Orlando. Immer mehr Hinweise deuten darauf hin, dass Omar Mateen nicht mit seiner eigenen sexuellen Identität zurecht kam. War er selbst schwul?

War der Massenmörder von Orlando weniger von dschihadistisch inspirierten Hassgefühlen geleitet als viel mehr von Problemen mit der eigenen sexuellen Identität? Kurzum: War Omar Mateen, der Mann, der in Orlandos beliebter Homo-Diskothek „Pulse“ 49 Menschen erschoss und danach von der Polizei getötet wurde, selbst schwul?

In der traditionsreichsten Anlaufstelle Orlandos für Homosexuelle, „The Center“ genannt, verzieht Carl Clay das Gesicht. Der 43-jährige ehemalige Baptisten-Pfarrer sitzt mit Namensschild an einem der vielen Tische, an denen Mitglieder der auf rund 100.000 Köpfe geschätzten LGBT-Gemeinde Orlandos (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) in diesen Tagen Trost und Zuspruch suchen, „um das Trauma irgendwie zu verarbeiten“.

Clay, ein ehemaliger Musiker, kennt das Gerücht, das Mateen mehrfach vor dem Massaker Gast im „Pulse“ war und auch auf den unter Schwulen beliebten Kontakt-Apps „Jack’d“ und „Grindr“ sehr aktiv gewesen sein soll. „Vom Hörensagen“, betont Clay, „solange das FBI das nicht bestätigt, verschwende ich daran nicht so viele Gedanken.“

Omar Mateen führte kompliziertes Doppelleben

Von einer Bestätigung ist die Bundespolizei drei Tage nach der schockierende Bluttat naturgemäß noch entfernt. „Aber auch in die Richtung wird mit Hochdruck ermittelt“. Sollte sich die Spur erhärten, wäre die voreilige Schuldzuweisung etwa des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, der allein den radikalen Islam und damit den religiös grundierten Terrorismus in Orlando am Werk sieht, als Rohrkrepierer entlarvt.

Seddique Mateen bezeichnete seinen Sohn als Schwulenhasser.
Seddique Mateen bezeichnete seinen Sohn als Schwulenhasser. © REUTERS | STAFF

Zahlreich sind inzwischen die Hinweise, dass der von seinem afghanischen Vater, dem bizarren TV-Moderator Seddiqui Mateen, als Schwulen-Hasser identifizierte Massenmörder ein Doppelleben geführt haben könnte. Omar Mateen war zweimal verheiratet und hatte einen dreijährigen Sohn. Seddiqui Mateen, sein Vater, geriet am Dienstag wegen eines vor drei Jahren bei der Sparkasse Düsseldorf existierenden Spendenkontos, über das die „Rheinische Post“ berichtet, in die Schlagzeilen. Das Bundeskriminalamt überprüft, ob es Verbindungen zu dem Attentat von Orlando gibt. Seddiqui Mateen gibt sich in den USA als afghanischer Präsident im Wartestand aus, bekundete Sympathie für die Taliban und rief zum Sturz der amtierenden Regierung in Kabul auf. US-Sicherheitskreise halten den Mann für „nicht ganz dicht“.

Ein früherer Studienkollege des Täters, der offen schwul lebt, berichtete unterdessen, dass Omar Mateen vor zehn Jahren während ihrer gemeinsamen Zeit am Indian River Community College eine romantische Beziehung mit ihm habe eingehen wollen. „Wir waren ein paar Mal in Schwulen-Bars, aber ich wollte keine Beziehung damals, weil ich mich noch nicht geoutet hatte.“ Auch Mateens Ex-Frau Sitora Yusufiy sagte in einem Interview mit brasilianischen Medien, ihr Ex-Mann haben „schwule Tendenzen“ gehabt.

Mateen war öfter Gast im „Pulse“

Gegenüber Orlandos führender Lokalzeitung, dem „Sentinel“, bekundeten davon unabhängig vier Zeugen, dass Mateen über einen Zeitraum von fast drei Jahren immer wieder Gast im „Pulse“ gewesen sei. „Manchmal ging er in die Ecke und saß und trank allein, andere Male war er so besoffen, dass er laut und aggressiv wurde“, berichteten die langjährigen „Pulse“-Gänger Ty Smith und Chris Callen, die dort als Drag Queens auftraten. Jim Horn, ein anderer Gast des Clubs, stellte über Mateen nüchtern fest: „Er wollte hier Kerle abschleppen.“ Oft habe sich Mateen so bis zum Anschlag betrunken, dass er nur mit Hilfe von Bar-Personal zum Ausgang eskortiert werden konnte. Als angeblich tief gläubigem Muslim war Mateen der Alkoholgenuss verboten.

Hunderte Menschen trauerten am Montagabend um die Opfer des Massakers in Orlando.
Hunderte Menschen trauerten am Montagabend um die Opfer des Massakers in Orlando. © dpa | John Taggart

Bei der beeindruckenden Trauerandacht unter freiem Himmel vor dem Dr.-Phillips-Center-Kulturzentrum in der City von Orlando am Montagabend waren die Informationen über Mateens mögliche Orientierung zwischen Stille und Tränen immer wieder Gesprächsthema. „Die Vorstellung, dass ein mental und psychisch ungefestigter Mann, dem die Religion das Schwulsein verbietet, sich mit einer Gewaltorgie aus seinem sexuellen Identitäts-Dilemma befreien wollte, ist nicht völlig von der Hand zu weisen.“ Dass Omar Mateen sich während des Amoklaufs bei der Polizei telefonisch zum Islamischen Staat (IS) bekannte, wäre – falls sich der Verdacht bewahrheitet – dann nur eine Art Camouflage gewesen.