Marseille. Sie filmten ihren Gewaltexzess auch noch minutenlang: Jetzt wird es aber offenbar eng für einige der russischen Hooligans bei der EM.

Ein Video aus dem Pulk der russischen Hooligans zeigt, wie skrupellos und wie gewaltsuchend die Anhänger am Samstag durch Marseille zogen. Einer der Schläger hatte eine GoPro an seiner Hose, die Video-Bilder zeigen den Streifzug der brutalen Randalierer aus deren Perspektive. Es sind erschreckende Bilder – und belastende Bilder, die der französischen Polizei die Arbeit erleichtern könnten. Kaum einer der russischen Hooligans machte sich die Mühe, sein Gesicht zu verbergen.

Kein Volkslauf: Russische Hooligans jagen Engländer durch Marseille: Eine Szene aus dem Video, das ein russischer Anhänger mit einer GoPro selbst aufgenommen hat.
Kein Volkslauf: Russische Hooligans jagen Engländer durch Marseille: Eine Szene aus dem Video, das ein russischer Anhänger mit einer GoPro selbst aufgenommen hat. © Screenshot/Youtube | Screenshot/Youtube

Und die Polizei geht nun offenbar gezielt gegen sie vor. Sie startete nach Angaben der Präfektur in der Nähe von Cannes eine Razzia gegen mutmaßliche Hooligans. Die Operation sei in der Stadt Mandelieu erfolgt, nachdem 29 russische Teilnehmer der Fan-Krawalle von Marseille namentlich ausfindig gemacht worden seien.

Die Polizei hat offenbar zudem einen Bus mit russischen Schlachtenbummlern gestoppt. Bereitschaftspolizisten umstellten das Fahrzeug in Cannes auf dem Weg nach Lille, wo die russische Mannschaft ihr nächstes Spiel bei der Fußball-Europameisterschaft bestreitet. Das erklärte Alexander Schprygin der Nachrichtenagentur Reuters. Schprygin ist Gründer und Sprecher der Russischen Fan-Vereinigung, Bilder zeigen ihn beim Hitlergruß. Der britische „Guardian“ schreibt ihm die Aussage zu, er wolle „nur slawische Gesichter in der russischen Nationalmannschaft“ sehen.

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Die Hooligans können sich offenbar Unterstützung bis in höchste Stellen sicher sein. Schprygin gehört auch zur russischen Delegation und ist ein Vertrauter des Fußball-Funktionärs und Vize-Parlamentspräsidenten Igor Lebedew, der am Wochenende getwittert hatte: „Ich kann nichts Schlimmes an kämpfenden Fans finden. Eher im Gegenteil. Bravo Jungs. Macht weiter so!“ Die Hooligans hätten „die Ehre ihres Landes verteidigt“. Russland soll den französischen Behörden 40 mögliche Gewalttäter gemeldet haben, die Schweiz dagegen 800.

Erst am Dienstag kurz vor dem Urteil der Disziplinarkommission der Uefa eagierte die russische Führung und nannte die Ausschreitungen von Fans bei der EM „völlig inakzeptabel“. Kremlsprecher Dmitri Peskow rief die russischen Fußballtouristen auf, sich strikt an geltende Gesetze zu halten. Auch die russischen Sportfunktionäre sollten mäßigend auf die Fans einwirken, forderte er. Nach der Entscheidung der Disziplinarkommission ist das auch dringend nötig. Ab sofort spielt Russland bis zum Ende der Europameisterschaft auf Bewährung. Sollte es wieder zu Krawallen der russischen Fans im Stadion kommen, wird die russische Nationalmannschaft vom Turnier ausgeschlossen.

35 Verletzte bei den Krawallen

Der russische Anhänger eilt einem anderen Hool zu Hilfe, der von Engländern verletzt worden war
Der russische Anhänger eilt einem anderen Hool zu Hilfe, der von Engländern verletzt worden war © Screenshot/Youtube | Screenshot/Youtube

Frankreichs Sportminister Patrick Kanner hatte noch am Montag einen „bedauerlichen Mangel an Zusammenarbeit“ Russlands kritisiert. Moskau hätte die Beteiligten niemals passieren lassen dürfen, sagte Kanner zu AFP. Bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen wurden 35 Menschen verletzt, vier davon schwer, ein weiterer Mensch schwebte in Lebensgefahr.

Den fast 50 Reisenden im Bus droht nun die Abschiebung, sagte Schprygin, der sich über die Behandlung beklagte. Er behauptete, die Insassen im Bus seien an der Randale in Marseille nicht beteiligt gewesen und twitterte das Foto eines 66-Jährigen. Der herbeigerufene russische Konsul habe die geplante Erstürmung des Busses verhindert. Die französischen Behörden äußerten sich zunächst nicht zu dem Vorfall.

Für manche der Russen könnte die EM damit vorbei sein. Mit den Übergriffen in Marseille rühmten sie sich. „Auf eine solche Chance habe ich zehn Jahre gewartet. 120 Russen haben 2000 Engländer in die Flucht geschlagen, und die ganze Welt hat es gesehen“, sagte ein gewaltbereiter Anhänger.

Hooligan mit Sonnenhut auch auf Film

In dem Video ist auch der Holligen mit blauem Sonnenhut zu sehen, der durch Fotros von Krawallen in der Stadt und anschließend im Stadion bereits durch alle Medien ging.
In dem Video ist auch der Holligen mit blauem Sonnenhut zu sehen, der durch Fotros von Krawallen in der Stadt und anschließend im Stadion bereits durch alle Medien ging. © Screenshot/Youtube | Screenshot/Youtube

So lesen sich auch Kommentare unter dem Video, das unsere Redaktion bewusst nicht verlinkt. Dort werden auch die Tritte von mehreren Russen gegen bereits am Boden liegende Gegner mit perverser Logik verteidigt. Die Engländer hätten unfair gekämpft, mit Flaschen geworfen und seien dafür „bestraft“ worden.

Der Hooligan mit der Action-Kamera ist selbst zweimal dabei zu beobachten, wie er auf dem Boden liegende Menschen eintritt. Das mehrfach geschnittene Video zeigt auch, dass die Russen offenbar durch Marseille streiften auf der Suche nach Opfern. Dann rennt die Gruppe los, verfolgt Engländer. Darunter waren nach übereinstimmenden Medienberichten viele englische Fußballfans, die keine Neigung zu Gewalt haben. Ein Hooligan, der mit AFP sprach, sagte auch noch, seine Kameraden seien alle in verschiedenen Kampfsportarten trainiert und nüchtern gewesen. Zudem sei man im Schnitt jünger als die Engländer, „die jede Menge Bier trinken“.

Das Magazin 11freunde.de zitiert Pavel Klymenko, als Mitarbeiter des Netzwerkes FARE jahrelanger Beobachter der internationalen Hooligan-Szene, bei den Russen habe es sich um „Hooligans in Vollzeit“ gehandelt. Sie seien nur darauf aus gewesen, Engländer zu verprügeln. Der Kreml stellt das etwas anders dar und sagt, man könne „auch nur an unsere Fans appellieren, nicht auf Provokationen zu reagieren“.

Oben die Russen, unten die Engländer – und beide Seiten provozieren sich.
Oben die Russen, unten die Engländer – und beide Seiten provozieren sich. © Screenshot/Youtube | Screenshot/Youtube

Klymenko bestätigt dagegen die Berichte, wonach die Aggressionen vor allem von den Russen ausgegangen seien. In dem Video sieht man allerdings auch, dass sich englische Hooligans vor den Russen aufbauen, sich die Lager gegenüberstehen und gegenseitig herausfordern.

Ein offenbar von englischen Fans aufgenommenes Video zeigt, wie in einer schmalen Gasse minutenlang Stühle hin- und herfliegen. Zu sehen ist auch, wie sich die beiden Lager mit Leuchtfackeln bewerfen. Ein Engländer sagt in dem Video, man sei überfallen worden. Zu sehen ist hier in einer Szene auch, dass einige französischen Polizisten anwesend sind, aber nur am Rand in das Geschehen eingreifen.

Eine Szene aus dem Video der russischen Hooligans beim Gewaltexzess in Marseille.
Eine Szene aus dem Video der russischen Hooligans beim Gewaltexzess in Marseille. © Screenshot/Youtube | Screenshot/Youtube

Gefasst hatte die Polizei dagegen Gewalttäter aus anderen Nationen. Am Montag erhielten sechs Engländer, zwei Franzosen und ein Österreicher Haftstrafen zwischen einem Monat und einem Jahr, ein weiterer Franzose kam mit einer Bewährungsstrafe davon. Bei den Übergriffen hatte die französische Polizei keinen einzigen russischen Hooligan festnehmen können. Sie seien ja unauffällig gekleidet gewesen und sofort wieder in der Menge untergetaucht.

Filmer ist auf Foto zu sehen

Über die unauffällige Kleidung gehen aber die Meinungen auseinander. Englische Fans spotten über die Shorts auf den Videoaufnahmen der GoPro – und haben den Filmer auch ausfindig gemacht. Die Szene auf einem Foto findet sich in dem Video aus dessen Perspektive genau wieder.

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Die Gruppe russischer Hooligans setzt sich nach FARE-Erkenntnissen aus unterschiedlichen Fangruppen zusammen, vorrangig Anhänger von Lokomotive Moskau und Zenit St. Petersburg, aber auch Rubin Kasan und weitere kleinere Mannschaften. Brice Robin, Staatsanwalt der südfranzösischen Stadt, hatte gesagt, es seien mindestens 150 „perfekt vorbereitete“ russische Hooligans gewesen. (mit Reuters und dpa)