Orlando. Wer war Omar Mateen? Seine Ex-Frau nennt ihn „mental instabil“. Gäste des „Pulse“ berichten, er habe den Schwulenclub mehrfach besucht.
Keine zehn Jahre ist es her, da sah die Zukunft für Omar Mateen nach amerikanischen Standards bilderbuchmäßig aus. Der in New York geborene Sohn afghanischer Eltern machte seinen Abschluss in Strafrechtspflege-Technologie und wollte Polizist werden. In Sportstudios stählte er seinen Körper. Im Jahr darauf nahm ihn die weltgrößte Sicherheitsfirma G4S unter Vertrag. Wiederum zwei Jahre später führte er seine bildhübsche Frau Sitora Yusufiy, eine Einwanderin aus Usbekistan, vor den Traualtar. Integration in den „American way of life“, wie sie nicht schöner aussehen könnte. Der Papierform nach.
Omar Mateen, der von der Polizei erschossene Massenmörder von Orlando, muss irgendwann vom Kurs abgekommen sein. 49 Tote gehen auf sein Konto. Wie und wann genau die Verirrung stattfand, das herauszufinden fällt den Ermittlern so kurz nach der Tragödie in dem Nachtclub „Pulse“ noch schwer. Eine Spurensuche.
Ex-Frau nennt Mateen „psychisch krank“
Sonntagabend, kurz vor Mitternacht. Schwulen-Bar „Stonewall“, zehn Minuten vom Tatort in Orlando entfernt. Keith Vega (37) und Andrew Sybert (27) steht der Alptraum ins Gesicht geschrieben. Sie haben „mehrere Freunde“ bei dem Massaker verloren, einige kämpfen noch ums Überleben. Ob der Täter religiös motiviert war oder eher homophob, das interessiert die beiden homosexuellen Männer nicht so sehr. „Wer will das trennen. Klar ist, dass er unfassbar viel Hass in sich trug. Und den hat er an uns ausgelassen.“
Syed Shafeeq Rahman, der Imam des Islamischen Zentrums, in das Mateen drei bis viermal in der Woche zum Beten kam, beschreibt Omar Mateen dagegen als einen „stillen, friedlichen und unauffälligen Mann“, der nach den religiösen Riten so gut wie nie das Gespräch zu seinen Glaubensbrüdern gesucht habe. „Er war in sich gekehrt“.
Amerika trauert um die Opfer von Orlando
Charakterisierungen, die Sitora Yusufiy die Tränen in die Augen treiben. Die heute in Colorado lebende Ex-Frau nennt Mateen „psychisch krank“ und „mental instabil“. Bereits kurz nach der Heirat habe er sie geschlagen und mit Wutausbrüchen die Beziehung zerstört. Yusufiy schaltete ihre Eltern ein. Sie holten ihre Tochter schon nach vier Monaten aus der kaputten Ehe heraus. Ende 2011, als die Scheidung durch war, fuhr Mateen zur Pilgerfahrt mehre Wochen nach Saudi-Arabien.
Hat Mateen – der erneut heiratete und die 30-jährige Noor Zahi Salman und einen drei Jahre alten Sohn hinterlässt – den Knacks nicht verwunden? Hat er sich in Mekka womöglich radikalisiert? Mario Dias, der neue Partner von Yusufiy, glaubt: „Omar Mateen war geistig gestört.“
Behörden überprüften Mateen bereits 2013
David Gilroy, ein ehemaliger Arbeitskollege bei der Firma G4S, geht noch weiter. Gegenüber US-Medien bezeichnete er Mateen als beinharten Hetzer und Rassisten, der am Arbeitsplatz vor allem gegen Schwarze und Homosexuelle regelmäßig mit Beleidigungen Front gemacht und ständig damit geprahlt habe, irgendwann Leute zu erschießen. „Er war einfach immer wütend, wütend auf die ganze Welt.“ Weil der Arbeitgeber dem tatenlos zugesehen habe, will Gilroy gekündigt haben. G4S war zu den Vorwürfen nicht zu erreichen.
Aus der Kontroverse mit Gilroy erwuchs laut FBI der erste behördliche Kontakt. Experten der Bundespolizei nahmen Mateen 2013 intensiv unter die Lupe – ohne Ergebnis. „Wir konnten die ihm zugeschriebenen Äußerungen nicht zweifelsfrei klären“, sagt Agent Ron Hopper.
Auch im zweiten Fall ein Jahr später blieb ein Hausbesuch bei Mateen, der 170 Kilometer südlich von Orlando in Fort Pierce und Port St. Lucie lebte, ohne Konsequenzen. Damals standen mögliche Verbindungen zu dem ersten US-Selbstmordattentäter Moner Mohammad Abusalha im Fokus, der sich in Syrien in die Luft gesprengt hatte und vorher in Vero Beach ganz in der Nähe Mateens lebte. „Sie waren aber nur geringfügiger Natur“, sagt das FBI und verzichtete darauf, Mateen unter engmaschige Beobachtung zu nehmen. Ob das FBI den früheren Arbeitgeber über die Ermittlungen in Kenntnis gesetzt hat, ist nicht geklärt. Weil Mateen polizeilich somit als unbedenklich galt, löste es auch keinen Argwohn aus, als er vor kurzem die beiden Tatwaffen, ein Schnellfeuergewehr vom Typ AR-15 und eine Glock-Pistole, legal erwarb.
Vater vermutet Schwulenhass als Auslöser
Nach Informationen von Adam Schiff, Wortführer der Demokraten im Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses, gibt es bis heute keine verlässlichen Hinweise darauf, dass Omar Mateen vor dem Massaker in Orlando Kontakte mit Vertretern radikaler Netzwerke hatte. Sein Anruf bei der Polizei, als er sich während seines Amoklaufs im Nachtclub „Pulse“ zum Islamischen Staat (IS) bekannte, könnte nach Meinung von Terror-Experten „ein Akt plakativer Trittbrettfahrerei gewesen sein“. Der IS nannte Mateen gestern demonstrativ einen „Soldaten des Kalifats“ und beanspruchte damit die ideelle Urheberschaft des Anschlags.
Dass sein Sohn aber mit den islamistischen Brandstifter um IS-Kalif Abu Bakr al-Baghdadi überhaupt nichts zu tun gehabt habe, davon ist Omars Vater Seddique Mateen immer noch überzeugt. Der Moderator einer dubiosen US-Fernseh-Talkshow, in der es ihm regelmäßig darum geht, handelnde Akteure der afghanischen Regierung zu verunglimpfen, sich selbst als Präsidentschaftsanwärter zu verkaufen und Sympathien für die Taliban zu bekunden, vermutet, dass Schwulenhass der Auslöser für den Massenmord seines Sohnes war. „Ich habe das nicht kommen sehen, hätte ich es gewusst, hätte ich ihn gestoppt.“
Politische Umtriebe des Vaters muten bizarr an
Omar habe im Beisein seines kleinen Sohnes in Miami ein küssendes Homosexuellen-Paar gesehen, das habe ihn „sehr wütend“ gemacht, erzählte Seddique Mateen US-Medien. Mit Religion habe das nichts zu tun. Dass der IS Homosexuelle unter ausdrücklichem Bezug auf den Koran offiziell als unrein bezeichnet und in grausamen Show-Videos zur Strafe von Hochhäusern werfen ließ, ließ der Vater des Massenmörders unerwähnt. Mateen senior entschuldigte sich in einem Video für die Taten seines Sohnes („ich habe einen Knoten im Hals“) und kündigte an, den Angehörigen in Orlando persönlich sein Beileid auszusprechen.
Ein Unterfangen mit Haken. In einem Facebook-Eintrag schrieb der Versicherungsunternehmer am Tag der Tat unverklausuliert, was er von den Opfern seines Sohnes hält. „Gott selbst wird jene bestrafen, die mit Homosexualität zu tun haben.“
Am Montagabend (Ortszeit) berichtete der „Orlando Sentinel“, dass mehrere Stammgäste des „Pulse“ Omar Mateen dort schon vor dem Massaker mehrfach gesehen hatten. Demnach sagte ein Gast, er habe den 29-Jährigen mindestens ein Dutzend mal dort gesehen. Manchmal habe er still in einer Ecke gesessen und etwas getrunken, andere Male sei er betrunken auch laut und aggressiv geworden. Ein weiterer Gast berichtete, Mateen sei „über Jahre“ ins „Pulse“ gekommen. Der „Los Angeles Times“ sagte ein anderer Gast des Clubs, er habe über ein Jahr immer mal wieder über eine Dating-App für Schwule mit Mateen gechattet. Getroffen habe er ihn nicht – bis Sonntagabend.