Orlando . Es ist der Tag nach der schlimmsten Bluttat eines Einzelschützen in der US-Geschichte: 50 Menschen starben – darunter auch der Schütze.
50 Tote, mindestens 53 Verletzte: das Attentat am frühen Sonntagmorgen in dem vor allem bei Homosexuellen beliebten Nachtclub „Pulse“ in Orlando/Florida ist nicht nur die folgenschwerste Schusswaffen-Tragödie in Amerika seit einem halben Jahrhundert. Die Sicherheitsbehörden unter Führung der Bundespolizei FBI schließen einen radikal-islamischen Hintergrund ausdrücklich nicht aus.
Als Täter wurde nach übereinstimmenden Medienberichten ein 29-jähriger Amerikaner mit afghanischen Wurzeln identifiziert, der bei der Aktion von Sicherheitskräften erschossen wurde. Sein Motiv? Offiziell noch unbekannt. Nach Angaben des Vaters von Omar Mateen, der 1986 in New York zur Welt kam, sei sein Sohn schwulenfeindlich gewesen.
Amerika trauert um die Opfer von Orlando
Obama spricht von heimtückischem Anschlag
Präsident Barack Barack Obama und Vizepräsident Joe Biden drückten den Hinterbliebenen der Opfer ihre Anteilnahme über den „heimtückischen Anschlag“ aus. Sie wurden ab dem frühen Morgen über die Lage laufend informiert. Das Massaker von Orlando war nach Angaben von Barack Obama ein „Akt des Terrorismus und ein Akt des Hasses“. Er sagte dem Bürgermeister von Orlando jegliche Hilfe zu. Obama richtete sich auch an alle schwulen und lesbischen Bürger und machte deutlich, dass es gegen diese Menschen keinen Hass geben dürfe.
Für Orlandos Bürgermeister Buddy Dyer war das Massaker die zweite Hiobsbotschaft binnen 48 Stunden. Am Freitag hatte ein 27-jähriger die durch die Casting-Show bekannte Sängerin Christina Grimmie (22) bei einer Autogrammstunde in einem Einkaufszentrum der 250.000-Einwohner Stadt erschossen.
Zur allwöchentlichen „Latin Night“ mit drei DJs und großer Einlage mit der Showtänzerin Kenya Michaels hielten sich laut Orlandos Polizeichef John Mina zur Tatzeit rund 300 Gäste im über Floridas Grenzen hinaus bekannten „Pulse“ an der belebten South Orange Avenue auf.
Dann geschah nach vorläufigen offiziellen Berichten das: Ein mit einem halbautomatischen Gewehr vom Typ AR-15 und einer Pistole bewaffneter Mann eröffnete gegen 2 Uhr im Eingangsbereich das Feuer. Ein Polizist, der außer Dienst war und dort im Nebenberuf als Sicherheitskraft eingesetzt war, verfolgte den Schützen ins Innere und schoss; ohne Erfolg. Der Täter verschanzte sich, es kam zu einer „Geiselnahmen-Situation“. Ob die Behörden einen Krisen-Verhandler einsetzten, war zunächst nicht bekannt.
Polizei sprengte sich den Weg frei
Gegen 5 Uhr entschloss sich die Polizei zur Stürmung. Dabei wurden Rammfahrzeuge und Blendgranaten eingesetzt, um den Täter abzulenken. Neun Polizisten waren an der direkten Auseinandersetzung mit dem Täter beteiligt, der an Ort und Stelle erschossen wurde. Ein Beamter wurde verletzt, ein Kevlar-Helm rettete ihm das Leben. Mindestens 30 Gäste seien durch den Zugriff der Polizei in Sicherheit gebracht worden, sagte Mina.
Für die Gäste des Clubs kam der Alptraum, dessen historische Dimension erst im Laufe des Sonntags bei vielen Amerikanern ins Bewusstsein einsickerte, völlig unerwartet. „Die Party war voll im Gange“, berichtete Christoph Hansen, der im „Adonis Room“ mit Freunden feierte. „Plötzlich hörte ich 20, 40, 50 Schüsse“, sagte er. Menschen seien reihenweise zu Boden gegangen. Andere versuchten sich in Deckung zu bringen und stolperten dabei über schwer verletzte Opfer. Die Club-Leitung zog via soziale Medien panisch die Reißleine: „Verlasst das Haus - und rennt!“.
Augenzeugen berichteten gegenüber der Lokalzeitung „Orlando Sentinel“ von „chaotischen Zuständen“. Dutzende Verletzte wurden aus dem Lokal getragen. Weil nicht genügend Notarztwagen zur Verfügung standen, improvisierten die Einsatzkräfte. Auf Videobildern war zu sehen, wie Polizisten mindestens einen Schwerverletzten auf die Ladefläche eines Pick-Up-Transporters hievten. Vor dem nur drei Straßenblocks entfernten Krankenhaus „Regional Medical Center“ stauten sich die Verletzten-Transporte.
Angehörige, alarmiert über Facebook, waren über Stunden im Ungewissen. „Mein Sohn hat Bauchschüsse, hat mir seine Freundin auf Facebook geschrieben“, sagte eine Mutter dem Sender CNN, „ich weiß nicht, ob er noch lebt.“ In einem anderen Fall schrieb ein junger Mann eine SMS an seine Mutter: „Er kommt.“ Und kurz danach: „Er hat uns, er ist hier drin bei uns.“
Amerika hielt für einen Augenblick den Atem an, als am Sonntag gegen 11 Uhr die Opferzahl bekannt wurde: 50 Tote. Bisher führten das Massaker an der Universität Virginia Tech 2007 (32 Opfer) und die Schul-Tragödie in Newtown 2012 mit 26 Toten die „Liste der Schande“ an, wie Waffen-Gegner regelmäßig formulieren.
Bei dem Täter handelte es sich um den 29 Jahre alten Omar Mateen aus dem knapp zwei Autostunden südlich von Orlando entfernt gelegenen Port St. Lucie. Laut Polizeichef Mina war er „sehr gut organisiert“ und „sehr gut vorbereitet“. Die von ihm benutzten Waffen seien legal gewesen, da Mateen als Sicherheitskraft gearbeitet habe. Ob er Sprengsätze am Körper trug, wird noch untersucht. Es sei ein „verdächtiger Gegenstand“ gefunden worden.
Attentäter bekannte sich selbst zum IS
Ob Omar Mateen auf eigene Faust gehandelt hat, ob er mental gestört war, ob es ein so genanntes „Hass-Verbrechen“ (Hate Crime) aus Homophobie war oder ein von dschihadistischen Terror-Netzwerken wie dem „Islamischen Staat“ inspiriertes Verbrechen war, könne zu Stunde „überhaupt noch nicht“ gesagt werden, betonten die unter Ermittler unter Leitung von FBI-Agent Ronald Hopper. In Internetforen bejubelten islamistische Kreise die Tat. Mateens Vater sagte in einer Stellungnahme, sein Sohn habe vor zwei Monaten gesehen, wie sich zwei Männer in Miami küssten. Möglicherweise sei dies der Auslöser für den Amoklauf gewesen.
Am Sonntagmittag (Ortszeit) wurde bekannt, dass Mateen dem FBI als IS-Unterstützer bekannt war, laut CNN soll er zum Zeitpunkt des Attentates auch den Notruf gewählt haben und sich zum IS bekannt haben. Das FBI hatte den Attentäter im Jahr 2013 bereits zu möglichen Terroraktivitäten befragt, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Direkte Kontakte zu Führungsmitgliedern der Terrormiliz Islamischer Staat habe es wohl nicht gegeben. Die Behörden betonten jedoch, dass dies nicht automatisch bedeute, dass dies auch das Motiv für die Tat gewesen sei. Die IS-nahe Agentur „Amaq“ berichtete, dass sich die Terrormiliz zu dem Anschlag bekannt habe.
Sollte sich die islamistische Komponente bestätigen, müsse von einem „amerikanischen Bataclan“ gesprochen werden, schrieben Nutzer des Kurzmitteilungsdienstes Twitter. In der Pariser Konzerthalle hatten islamistische Terroristen im November vergangenen Jahres 90 Menschen getötet.
Wird der Anschlag zum Thema im Wahlkampf?
Beobachter gingen für diesen Fall von einer Neuauflage der vom republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump initiierten Anti-Islam-Debatte auf. Seit dem Amoklauf eines islamistischen Ehepaares in San Bernardino/Kalifornien, bei dem im Dezember vergangenen Jahres 16 Menschen starben, drängt Trump auf einen vorübergehenden Einreisestopp für Muslime.
Der Führer der Islamischen Gemeinde Zentral-Floridas, Imam Muhammed Musri, warnte vor laufenden Fernsehkameras davor, die „furchtbare Tragödie“ voreilig zu politisieren. „Wir alle trauern, unsere Herzen sind gebrochen.“ Aber Vorverurteilungen seien schädlich.
Die politische Riege Amerikas verhielt sich größtenteils zunächst vorsichtig und versagte sich klare Schuldzuweisungen. Nur Trump preschte vor: Er forderte US-Präsident Barack Obama zum Rücktritt auf, weil dieser in seiner Stellungnahme nicht die Worte „radikaler Islamismus“ benutzte. Trump selbst geriet unter Beschuss, weil er zunächst kein Wort für die Hinterbliebenen übrig hatte.
Notstand in Orlando ausgerufen
Hillary Clinton hat die Tat als einen „Akt des Terrors“ bezeichnet. Nun müssten die Anstrengungen verdoppelt werden, die USA vor Bedrohungen aus dem In- und Ausland zu schützen, sagte die Ex-Außenministerin, die die Nachfolge von Präsident Barack Obama antreten will.
Der demokratische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders lenkte das Augenmerk auf die Debatte um den freien Verkauf von Schnellfeuergewehren. „Wir müssen alles tun, damit diese Waffen nicht in die Hände von Kriminellen oder psychisch Kranken geraten.“ Allein in diesem Jahr kamen bereits fast 6000 Menschen in Amerika durch Schusswaffen ums Leben.
Die Behörden betonten, dass es keine Hinweise auf weitere Anschläge gebe. Trotzdem wurde in Orlando der Notstand ausgerufen. Die Wirtschaftsverbände dort sind besorgt. Die 250.000 Einwohner-Stadt gehört mit über 65 Millionen Besuchern im Jahr zu Amerikas Top-Tourismus-Zielen, vor allem die Adresse Disney und Seaworld sorgen für gewaltige Einnahmen. Seit gestern wird Orlando nicht mehr mit unbeschwertem Vergnügen in Verbindung gebracht. Sondern mit einer der schlimmsten Tragödien in der Geschichte Amerikas.
Politiker in aller Welt verurteilen Attentat
Staats- und Regierungschefs sowie Politiker aus alle Welt haben sich nach dem Anschlag zu Wort gemeldet. Bundespräsident Joachim Gauck hat in einem Kondolenzschreiben an US-Präsident Barack Obama nach dem Massaker von Orlando sein Beileid ausgedrückt. „Die Nachricht von den vielen Opfern des menschenverachtenden Mordanschlags in Orlando hat mich tief erschüttert. Kaum zu ermessen ist die Tragweite einer solchen Tat, menschlich wie politisch“, schrieb Gauck laut Mitteilung des Präsidialamts an Obama. Auch Kanzlerin Angela Merkel zeigte sich bestürzt: „Unser Herz ist schwer, dass der Hass und die Bösartigkeit eines einzelnen Menschen über 50 Leben gekostet hat“, sagte Merkel am Montag am Rande der deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen in Peking.
Die britische Königin Elizabeth ließ twittern, ihr Mann Philip und sie seien „schockiert“ von den Vorgängen in Orlando. Papst Franziskus äußerte „Entsetzen und Schmerz über diese Manifestation sinnlosen Hasses“, wie aus einer Mitteilung des Vatikan hervorgeht. Der russische Präsident Wladimir Putin sprach von einem „barbarischen Verbrechen“. Russland teile Schmerz und Trauer, betonte der Kremlchef in einem in Moskau veröffentlichten Telegramm.
UN-Generalsekretär Ban Ki-moon verurteilte die Tat. Er drückte Angehörigen und Hinterbliebenen der Opfer sein Beileid aus. Frankreichs Präsident Francois Hollande verurteilte mit Abscheu das Blutbad. Er sicherte die volle Unterstützung Frankreichs und der Franzosen für die Regierung und die US-Amerikaner in dieser schweren Bewährungsprobe zu.