Toronto. Jeremy Irons ist mit einem neuen Film zurück im Kino. Im Gespräch erzählt der Schauspieler von seiner Karriere und dem Reiz der Gefahr.

Eine filterlose Zigarette in der Hand, ein leicht verträumtes Lächeln im Gesicht und der Klang eines sonoren Baritons – von der ersten Sekunde an strahlt Jeremy Irons eine fast meditative Entspannung aus. Dass der 67-jährige Brite zunehmend in der Rolle des weisen Mentors besetzt wird – so wie in seinem aktuellen Film „Die Poesie des Unendlichen“ (ab 12. Mai im Kino) – wirkt da nur logisch.

In Ihrem neuen Film spielen Sie einen bekannten Mathematikprofessor. Da können Sie sich die erste Frage schon denken . . .

Jeremy Irons: Ob ich etwas für Mathematik übrig habe?

Richtig.

Irons: Und die Antwort ist Nein. Wobei das eher für meine Schulzeit galt. Ich war nie besonders gut in dem Fach, fand es langweilig. Ich las dann aber für den Film den Essay „Apologie eines Mathematikers“, den dieser Mann, Godfrey Harold Hardy, verfasst hatte. Und ich habe begriffen, wie aufregend das Ganze sein kann. Reine Mathematik ist etwas Fließendes, Organisches – wie ein Gemälde. Und nicht alle ihrer Gleichungen gehen auf.

Der Film heißt ja „Die Poesie des Unendlichen“. Für manche Leute ist das Unendliche gleichbedeutend mit Gott. Glauben Sie an ihn?

Irons: Das wäre jetzt die Frage, was wir unter Gott verstehen. Für mich liegen Gott und die Unendlichkeit in uns. Aber das lässt sich nicht beschreiben. Deshalb gibt es ja so viele Versuche, es in Worte zu fassen. Und diese Versuche sind alle erstaunlich ähnlich, ob die Lehren von Jesus, von Buddha oder Mohammed sind. Sie sind Versuche, den Geist in uns in die richtige Richtung zu leiten – denn dieser Geist ist Gott und gleichzeitig der Teufel, die bei jeder Entscheidung miteinander kämpfen.

Und was ist der Himmel?

Irons: Lassen Sie es mich so sagen: Es gibt auch kein ewiges Leben in dem Sinne, dass wir alle auf Wolken dahinschweben. Das Leben nach dem Tod besteht aus dem, was wir hinterlassen. Ich gebe Ihnen Energie, Sie mir, wir nehmen die Energie des anderen auf. Und diese Energie kann nie zerstört werden, sie bleibt zurück. Wenn wir nun etwas Gutes auf der Welt hinterlassen haben, dann könnte man dazu sagen: „Wir sind im Himmel.“ Und wenn die Welt durch uns schlechter geworden ist, dann sind wir in der Hölle gelandet.

Aber wie viel haben Sie bislang auf dieser Welt hinterlassen?

Irons: Sehr wenig. Ich bin ja nur ein Filmschauspieler. Wir sind alle nur wie Kinder, die eine Geschichte nachspielen. Einmal habe ich mich für eine Vereinigung engagiert, die Gefängnishäftlingen Yoga und Meditation beibringt. Ich glaube, dieses Vermächtnis ist viel wichtiger als meine Arbeit fürs Kino. Was mich ebenfalls lange überdauern wird, das ist der verfallene Burgturm im Süden von Irland, den ich in vielen Jahren restauriert habe. Nicht zu vergessen meine Kinder, sie sind auch ein wichtiger Teil meines Vermächtnisses.

Ihr ältester Sohn Max ist auch Schauspieler geworden. Was halten Sie davon?

Irons: Als er mir das sagte, war ich sehr zwiespältig. Das Problem ist, dass seine Eltern beide in dem Beruf erfolgreich sind, und er könnte erwarten, dass es bei ihm genauso läuft. Aber für die meisten Schauspieler gilt das nicht. Andererseits bin ich sehr davon angetan, dass er eine echte Leidenschaft für etwas aufbringt und genau weiß, wo er im Leben hinwill. Das gilt auch für meinen älteren Sohn Sam, der Fotograf ist. Es gibt so viele talentierte Leute, die keinerlei Orientierung haben.

Gibt es denn andere Gemeinsamkeiten zwischen Ihnen?

Irons: Ich würde sagen, eine gewisse Sehnsucht nach Einsamkeit. Er kommt mit sich alleine gut klar; das gilt auch für mich.

Wo finden Sie die?

Irons: Dafür ist das Motorradfahren wunderbar geeignet. Das ist mir im Zweifelsfall sogar lieber als die Schauspielerei. Denn damit ist auch ein enormes Freiheitsgefühl verbunden. Bei der Arbeit muss ich mich nach festem Terminplan richten. Wenn ich dann am Flughafen von Heathrow ankomme, dann hole ich mir mein Motorrad.

Und Ihre Frau hat nichts dagegen, wenn Sie sich in solche Gefahren begeben?

Irons: Sie weiß, dass ich gerne interessante Sachen mache. Das Leben ist zu kurz, da darfst du nichts verpassen. Dafür hat sie volles Verständnis.

Sie scheinen in einem ziemlichen Luxus zu leben – mit Segelboot, Pferden, Autos und Burg.

Irons: Aber ich hätte nichts dagegen, mich davon zu trennen, vor allem jetzt, da ich älter werde. Wie ich schon sagte, ich wäre gerne frei wie ein Vogel. Ich sehe, wie mein Vater langsam seine Besitztümer abstößt. Das ist sehr gesund.