Miami. Ein Baby fällt mit dem Gesicht zuerst ins Wasser, Erwachsene schauen zu: Das Video wirkt herzlos, der Hintergrund ist herzzerreißend.

Zweieinhalb Jahre war Jake alt, als er sich in den Ferien abends durch den Hinterausgang schlich und im Wasser des Flusses versank. Für Jake kam jede Hilfe zu spät. Seine jüngere Schwester Josie könnte sich heute vielleicht an der Wasseroberfläche halten – dank eines rüde erscheinenden Überlebenskurses. Ein „Toter Mann“-Training soll Babyleben retten. Ein Video davon finden die einen erstaunlich und faszinierend, andere Eltern gruselt es vor allem dabei, wie Josie allein mit dem Wasser kämpft. So gespalten sind auch die Reaktionen deutscher Experten.

In dem Film ist zu sehen, wie die damals sechs Monate alte Josie im Pool auf einer Stufe sitzend Richtung tieferes Wasser gelockt wird. Sie kippt dann mit dem Gesicht vornüber, taucht mit dem ganzen Körper unter, niemand hilft ihr. Aber schon nach fünf Sekunden ist sie aufgetaucht und stabilisiert sich mit dem Gesicht nach oben an der Oberfläche. Fast 90 Sekunden lang treibt der Säugling dann so auf dem Wasser, ehe ein Erwachsener nach Josie greift.

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Nachdem das schon einige Monate alte Video Anfang Mai von einem Nutzer neu hochgeladen wurde und große Popularität erreicht hat, reist Josies Mutter Keri Morrison aktuell von Talkshow zu Talkshow: Sie soll erklären, was ihr angesichts der Bilder im Netz auch viele Anfeindungen einbringt. Unter den Videos gibt es auf Facebook zwar viele Ermutigungen, aber Keri Morrison wird auch verrückt genannt und heftig beschimpft. Darf man einen Säugling im Wasser so sich selbst überlassen, selbst wenn man daneben steht?

Jake mochte das Wasser. Der Junge ist am 30. November 2013 ertrunken. Seine Eltern kämpfen heute dafür, dass schon Babys lernen, auf dem Wasser zu treiben.
Jake mochte das Wasser. Der Junge ist am 30. November 2013 ertrunken. Seine Eltern kämpfen heute dafür, dass schon Babys lernen, auf dem Wasser zu treiben. © FMG | Live like Jake

Es ist wenig überraschend, dass die Morrisons vom „schlimmsten Alptraum für Eltern“ sprechen, wenn es um Jakes Tod geht. Um das zu verarbeiten, haben sie eine Stiftung gegründet, „Live like Jake“, die gegen den Ertrinkungstod von Kindern kämpfen soll. Sie sind auf die „Infant Swimming Resource“ gestoßen, oft ISR abgekürzt. Die Stiftung der Morrisons unterstützt das spezielle Programm, mit dem Babys dazu gebracht werden sollen, sich mit dem Kopf nach oben treibend an der Wasseroberfläche zu halten, bis Hilfe da ist. Die Stiftung zahlt finanzschwachen Familien die Kurse, die Familie Morrison selbst ist Botschafter für die Methode.

Video nach dreiwöchigem Kurs entstanden

Das Video, das nun so viel Kritik auslöst, zeigt genau diese Methode. Hinter Josie liege bei diesen Bildern ein dreiwöchiger Kurs, sagt ihre Mutter. ISR-Trainer bieten ihn für Kinder im Alter zwischen sechs Monaten und einem Jahr an. Dann haben sie in der Regel bereits den Schutzreflex verloren, der sie eigentlich davon abhält, unter Wasser zu atmen.

In der Beschreibung der Kurse heißt es, dass die Kinder dabei allmählich lernen, sich im Wasser zu drehen und sich mit kleinen Bewegungen an der Oberfläche zu halten. Verfechter der ISR-Methode bilden eine verschworene Gemeinschaft. Sie verweisen auf viele Kinder, die so bereits gelernt haben sollen, auf dem Wasser zu treiben. „Infant Swim“, das USA-weit Kurse vermittelt, präsentiert in einem Zusammenschnitt etliche Babys bei erfolgreichen Rollen.

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Auf breite Anerkennung wartet die bereits in den 1970er-Jahren entwickelte Methode aber immer noch. Kontakte oder Partner gebe es zwar in ein paar Länder, heißt es von der „Live like Jake“-Stiftung auf Nachfrage unserer Redaktion. Deutschland ist nicht darunter. Und wenn es nach der Meinung des Sprechers der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft DLRG geht, dann ist das auch gut so.

„Das geht gar nicht“, sagt Achim Wiese. Er nennt es „abnormal“, dieses Verhalten einem Säugling beibringen zu wollen. „Selbst wenn es funktionieren sollte, vermittelt es eine trügerische Sicherheit.“ Wichtigste Botschaft an Eltern müsse sein, ihre Kinder in der Nähe von Gewässern keinesfalls unbeaufsichtigt zu lassen.

Schwimmmeister-Bund: „Sieht professionell aus“

Peter Harzheim, Präsident des Bundes Deutscher Schwimmmeister, ist von dem Video durchaus beeindruckt. Die Szene deute auf sehr professionelles Training hin, „und das muss über mehrere Wochen gegangen sein“. Sein erstes Urteil: „Wenn so auch nur einem Kind das Leben gerettet werde – wieso nicht?“ Ihn irritiert aber, dass ihm die Methode noch nie begegnet ist. „Ich kenne niemanden, der das anbietet. Wenn es keinen Haken gibt, sollte es doch bekannter sein.“ Er wisse auch nicht, wie das dem Baby vermittelt worden sei. „Eines ist sicher: Quälerei darf es für die Kinder nicht sein.“ Für ihn ist aus dem Grund vorstellbar, dass das Programm für viele Kinder gar nicht infrage kommt.

Josies Mutter kommentiert das umstrittene Video mit den Worten „Sie war nie in Gefahr“. Es werde ja auch kein Kind einfach ins Wasser geworfen, die Babys würden Schritt für Schritt auf solche Situationen vorbereitet, um dann am Ende des Trainings in Winterklamotten im Wasser zu treiben. In dem Video treibe Josie nur so lange, damit sich die Windel auch richtig vollsaugen kann, sagt sie. Ihre Tochter habe aber keine Probleme dabei gehabt. Kinder, die Schwimmen könnten, seien meist nicht darauf vorbereitet, mit Textilien im Wasser zu sein.

2015 ertranken 25 Kinder

Nach DLRG-Zahlen sind im vergangenen Jahr in Deutschland 25 Kinder ertrunken, im Jahr davor 21. Nach Ansicht des Bundesverbands Deutscher Schwimmmeister liegt das auch daran, dass immer weniger Kinder Schwimmen lernen: „Wir driften ab in ein Nichtschwimmerland.“ Der Verband wirbt grundsätzlich dafür, Kindern einen unbefangenen Umgang mit Wasser zu vermitteln. „In den Babykursen sagen wir den Eltern, dass sie möglichst lächeln sollen, weil sich das auf die Kinder überträgt.“