Berlin. In der Kampagne „Deutschland sagt Sorry“ entschuldigt sich das Arbeitsministerium angeblich für die Agenda 2010. Was steckt dahinter?

Täuschend echt sieht die Internetseite aus. Links oben thront der Bundesadler, daneben der Schriftzug Bundesministerium für Arbeit und Soziales samt den Farben Schwarz-Rot-Gold. Auch das Konterfei von Bundespräsident Joachim Gauck erscheint weiter unten auf der Seite. Daneben die Worte „Visionäre und nachhaltige Politik braucht Debatte und Reflexion. Das Benennen und Austarieren von Missständen gehört dazu. Deshalb begrüße ich diese Initiative sehr und freue mich, dass soziale Politik in Deutschland nicht bloß eine Floskel ist.“

Es geht um die Initiative „Deutschland sagt Sorry!“, oben rechts auf der Website zu lesen. Ein Satz, der wohl nie auf einer Internetseite des Bundesministeriums zu sehen sein würde. Auch das Impressum verrät: Die Seite ist nicht echt. Verantwortlich ist das Peng! Collective, eine Gruppe von Aktivisten und Künstlern, die mit ihren Aktionen Diskurse in der Zivilgesellschaft anregen will. Zuletzt sorgte die Gruppe im Februar für Aufmerksamkeit, als ein Aktivist die AfD-Politikerin Beatrix von Storch in Kassel mit einer Sahnetorte bewarf. Das Video der Aktion ging viral und wurde in den sozialen Netzwerken mit dem Hashtag „TortalerKrieg“ geteilt.

Peng! Collective macht auf soziale Ungleichheit aufmerksam

Mit der neuen Kampagne „Deutschland sagt Sorry!“ will das Peng! Collective auf die Leidtragenden der Agenda 2010 aufmerksam machen. Gegenüber der privaten Initiative Mimikama erklärte das Peng! Collective: „Wir denken, dass die Agenda 2010 eine sozialpolitische Katastrophe ist, und dass das Thema der sozialen Ungleichheit in Deutschland unterbeleuchtet bleibt.“ Deutschland – eines der reichsten Länder der Welt – sei gesellschaftlich gespalten, was unter anderem das Hartz-IV-System bewirkt habe. Die „Sorry“-Kampagne solle zeigen, dass die Politik eigentlich gar kein Interesse an sozialer Gleichheit habe.

Im Mittelpunkt der Website steht ein YouTube-Video. Ein Mann mit akkuratem Scheitel, der doch ein wenig wie Regierungssprecher Steffen Seibert aussieht, erklärt, wie wichtig die Agenda 2010 für die wirtschaftlichen Erfolge Deutschlands sei. Doch man wolle an die Menschen erinnern, die durch die Reform ausgegrenzt werden.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Kooperation mit Schauspiel Dortmund

Das Video zeigt Einzelschicksale: Eine junge alleinerziehende Mutter, die arbeitet und trotzdem vom Jobcenter abhängig ist. Ein ausgebildeter Fremdsprachenkorrespondent, der vom Jobcenter sanktioniert wurde. Dazwischen werden Statistiken eingeblendet: 2,6 Millionen Kinder leben in Armut, 24 Prozent der Erwerbstätigen arbeiteten im Niedriglohnsektor. Das Bundesministerium wolle sich daher bei den „Verliererinnen und Verlierern der Reform entschuldigen“ – mit einem handsignierten Entschuldigungsschreiben von Bundespräsident Joachim Gauck.

Die Menschen aus dem Video sind Schauspieler des Theaters Dortmund, mit denen das Peng! Collective unter dem Namen Die Populistinnen zusammenarbeitet, eine „PR-Agentur für die Zivilgesellschaft“, gefördert von der Kulturstiftung des Bundes.

Bundesministerium hat sich zu Aktion geäußert

Auch wenn es Schauspieler sind, die erzählten Geschichten sind laut Peng! Collective echt. Und jeder Betroffene erhält auf der Internetseite die Möglichkeit, seine ganz eigene Erfahrung öffentlich und anonym zu schildern. Ein handgeschriebenes Entschuldigungsschreiben von Joachim Gauck wird es aber wohl nicht geben. Der Bundespräsident hat sich bisher nicht zur Aktion geäußert.

Dafür aber das Bundesarbeitsministerium. So betonte es, Satire sei Teil des Rechts auf freie Meinungsäußerung, und spielte dabei auf die Böhmermann-Debatte an: „Es gab in den letzten Wochen eine lebhafte Debatte in unserem Land über das, was Satire darf und was nicht“, sagte ein Sprecher. Das Ministerium begrüße das politisches Engagement und Interesse der Website-Betreiber „ausdrücklich“, Satire müsse aber als solche erkennbar sein.

Deshalb sei der Betreiber der Website gebeten worden, das Impressum entsprechend zu ändern. Bevor dort das Peng! Collektive stand, war dort nämlich die Adresse des Arbeitsministeriums zu sehen. (mit dpa)