Kathmandu. Die Zahl der Tiger ist weltweit erstmals wieder gestiegen – auf 3900 frei lebende Exemplare. Genau das könnte die Wilderei befeuern.

Die stumpfen Augen geradeaus gerichtet, liegt der ausgewachsene Tiger bewegungslos an einer schweren Kette im Schatten eines Baumes. Nur die ein paar Schritte entfernt angebundenen Jungtiere lassen noch Spuren des Raubtierinstinktes erkennen, der die Wildkatze in der Natur zum König der Wälder macht. Die kurzen Ohren aufgestellt, folgen die bernsteinfarbenen Augen jeder Bewegung in ihrer Nähe. Dicke Ketten reißen die jungen Tiger zurück, wenn sie ihrer Neugier folgen wollen.

Hunderte von Touristen drängen sich seit Jahren täglich vor dem Eingangstor zum Wat Pa Luangta Bua Yannasampanno, einem früheren Waldkloster von buddhistischen Mönchen nahe der Stadt Kanchanaburi im Westen von Thailand. Sie kommen für ein Foto, das sie auf Tuchfühlung mit den gestreiften Raubtieren zeigt. Es kommt selten vor, dass es einem Tiger zu bunt wird und er mit seiner mächtigen Tatze zuschlägt.

Die meisten sogenannten Tigerfarmen gibt es in China und Thailand.
Die meisten sogenannten Tigerfarmen gibt es in China und Thailand. © dpa | Michael Reynolds

7000 Tiger werden weltweit auf sogenannten Tigerfarmen gehalten. Die meisten befinden sich in China. Thailand liegt mit 950 an zweiter Stelle. Der Tigertempel von Kanchanaburi hält mit seinen 170 Tieren allein fast so viele Tiger an der Kette wie die 169 Raubkatzen, die in dem südostasiatischen Königreich in freier Wildbahn leben. Es ist ein lukratives Geschäft.

Viel Geld für kleine Flaschen von „Tigerknochenwein“

Tausende von Touristen strömen jährlich zu den Tigern im Schatten einer Pagode, obwohl die Tigermönche längst in Verruf gerieten. Ihnen wird vorgeworfen, Tiger zu schlachten. Knochen, das gestreifte Fell, Zähne und verschiedene Körperorgane würden anschließend auf dem Schwarzmarkt verhökert. In der Volksrepublik China und bei der chinesischstämmigen Bevölkerung in Südostasien werden den Resten der Tiger magische Kräfte zugeschrieben. Manche Kunden legen viel Geld für kleine Flaschen von „Tigerknochenwein“ auf den Tisch.

China, der größte Markt, verbietet den Handel, erlaubt aber, Tigerfelle für Dekorationszwecke zu verkaufen. „Wie können wir hoffen, dass Kampagnen gegen den Konsum von Tigerprodukten funktionieren, wenn China gleichzeitig seinen Bürgern erklärt, der Kauf von Tigerfellen sei in Ordnung“, klagen 20 Tigerschutzorganisationen in einer Resolution, in der sie von den 13 Tiger Range Countries (TRC) – den Ländern mit Tigerbestand – ein Verbot aller Tigerfarmen verlangen.

Vertreter von Bangladesch, Bhutan, Kambodscha, China, Indien, Indonesien, Laos, Malaysia, Nepal, Russland, Myanmar, Thailand und von Vietnam feierten auf der am gestrigen Donnerstag zu Ende gegangenen Konferenz in Delhi lieber einen seltenen Erfolg. Erstmals seit 100 Jahren, als es weltweit noch 100.000 frei lebende Tiger gab, stieg die Zahl der Raubkatzen. Während der vergangenen sechs Jahre kletterte sie vor allem in Russland, Nepal, Bhutan und Indien von weltweit 3200 auf 3900. Außerdem wird ein ehrgeiziges Ziel diskutiert. Bis zum Jahr 2020 soll es wieder 6000 Tiger in der freien Wildnis geben.

„Die Bemühungen zur Rettung der Tiger funktionieren“

Aber just die Staaten Asiens, in denen es die meisten Tiger – in den berüchtigten Farmen – gibt, stellen auch die größte Gefahr dar. „Es ist klar, dass sie mit ihrem Schwarzmarkt die Wilderei nach frei lebenden Tigern befeuern“, sagen die Schutzorganisationen. Nirmal Ghosh von der indischen Corbett Foundation warnt zudem vor übertriebener Zuversicht: „Die Zahlen stimmen zwar. Aber in Indien mit seinen 2226 Tigern wurde in mehr Regionen als früher gezählt. Es wäre korrekter zu sagen, dass Indien mehr Tiger hat als bisher bekannt. Aber die Entwicklung zeigt, dass die Bemühungen zur Rettung der Tiger funktionieren.“

Die Tiger stehen weiter auf der Roten Liste der gefährdeten Tierarten.
Die Tiger stehen weiter auf der Roten Liste der gefährdeten Tierarten. © dpa | Rungroj Yongrit

Gleichzeitig verschwinden in den Sundarbans nahe der Stadt Kolkata (früher Kalkutta) und in einem Gebiet namens Buxa weiter Tiger. Das Problem der Wilderei wurde nicht gestoppt, und im Bundesstaat Madhya Pradesh wird ein Staudamm den Lebensraum der Tiger zerstören – genehmigt von just der Regierung unter Premierminister Narendra Modi, der sich bei der Eröffnung der Konferenz an die Spitze der Raubkatzenschützer stellte: „Tigerschutz ist keine Wahl, sondern eine Pflicht.“

Seit 2006 schrumpfte der Lebensraum um 42 Prozent

Laut der International Union for Conservation of Nature (IUCN) gehören die Wildkatzen trotz der positiven Nachrichten weiter auf die Rote Liste der bedrohten Tierarten, weil trotz aller Rettungsbemühungen eine verheerende Entwicklung nicht aufgehalten wurde. Tiger gibt es heute nur noch in sechs Prozent der Regionen, in denen sie einst lebten. Seit 2006 schrumpfte ihr Lebensraum erneut um 42 Prozent.

Laos hat laut Zählungen noch ganze zwei Tiger. Ob sie sich noch einmal vermehren, ist mehr als ungewiss. Dem Land droht damit die gleiche Entwicklung, die Kambodscha bereits hinter sich hat. „Es gibt keine Fortpflanzung unter Tigern mehr in Kambodscha. Sie sind damit so gut wie ausgerottet“, sagt der World Wildlife Fund (WWF). Die letzte Raubkatze wurde 2007 gesichtet.

Der WWF präsentierte einen Plan, der unter Tigerschützern für Aufruhr sorgt. Mit einem Kostenaufwand von 20 bis 50 Millionen Dollar und gemeinsam mit der Regierung des autoritären Herrschers Hun Sen will der WWF in vier Jahren im Rahmen eines „Tigeraktionsplans“ wieder wilde Tiger im kambodschanischen Mondulkiri Protected Forest ansiedeln, in dem 2007 die letzte Raubkatze gesehen wurde. „Wir verhandeln mit Indien, Thailand und Malaysia, ob sie uns sieben oder acht wilde Tiger übergeben, die dort leben und sich vermehren können“, sagt ein Regierungsvertreter in der Hauptstadt Phnom Penh.

Kostbare Tiere als Opferlämmer der Diplomatie

Tigerschützer wie Nirmal Ghosh von der Corbett Foundation reagieren skeptisch. „Es hat wenig Sinn, ein paar der wenigen noch wild lebenden Wildkatzen für solche Experimente zu riskieren“, sagt er, „schließlich gibt es Gründe für das Verschwinden der Tiger in Kambodscha.“ Das Land gilt als eine der korruptesten Nationen Asiens. Polizei und Sicherheitskräfte vertrieben immer wieder Landsleute, wenn chinesische Firmen dort Großprojekte umsetzen wollten. Die Urwälder des Landes werden zusehends ökonomischen Interessen geopfert.

Mit dem kambodschanischen Tigeraktionsplan läuft der WWF deshalb Gefahr, einige von Indiens kostbaren Tigern in Opferlämmer von Delhis „Tigerdiplomatie“ zu verwandeln. So wie China Pandabären für die Anknüpfung von zwischenstaatlichen Freundschaften nutzt, könnte Indien seine kostbaren Tiger im regionalen Wettstreit um Einfluss einsetzen.

Anderseits zeigt die wundersame Vermehrung der Tiger in Ländern wie Nepal, Bhutan oder Russland, dass Tiger sich schnell erholen, wenn sie einigermaßen geschützt werden. „Wir brauchen aber einen starken Aktionsplan für die kommenden sechs Jahre“, sagt Michael Baltzer vom WWF, „es gibt immer noch keinen sicheren Platz für Tiger. Vor allem Südostasien riskiert, seine letzten Tiger zu verlieren, wenn Regierungen dort nicht sofort handeln.“