Berlin. Das Böhmermann-Gedicht treibt in türkischen Medien seltsame Blüten: Ein Reportage des Fernsehsenders „A Haber“ grenzt an Realsatire.

Irgendwann, in Minute 1:35 des Videos, kippt der Reportereinsatz komplett ins Real-Satirische: Die Stimme des türkischen Fernsehjournalisten Mevlüt Yüksel überschlägt sich, er gestikuliert aufgeregt in die Kamera, während sich hinter ihm der ZDF-Pressesprecher Alexander Stock freundlich mit einem Dolmetscher unterhält. Dramatische Musik schärft die Szene an, der Reporter Yüksel will offenbar mit Worten eskalieren: „Sehen Sie die Gestik?“, fragt er und blickt auf den ZDF-Mann. „Er zittert regelrecht vor Wut. Und seine Hände verraten, dass er flucht!“ Was an der Glaubwürdigkeit der Berichterstattung dann doch kratzt: Da eskaliert rein gar nichts. Der ZDF-Mitarbeiter hat die Hände lässig in der Hosentasche.

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Der Ausschnitt stammt aus einem Beitrag des türkischen Fernsehsenders „A Haber“. Für die Sendung „Yaz Boz“ schickte der Sender den Reporter Yüksel zur ZDF-Zentrale in Mainz, um dort die Macher des „Schmähgedichts“ von Jan Böhmermann zu stellen.

Ein pikantes und wohl nicht unbedeutendes Detail: „A Haber“ gehört zu der Turkuvaz-Mediengruppe, deren Vorstand der Schwiegersohn von Recep Tayyip Erdogan ist. Zu dem Unternehmen zählt auch die Tageszeitung „Sabah“, die als wichtigstes Sprachrohr der AKP-Regierung von Erdogan gilt.

Keine Drehgenehmigung für Aufnahmen

Der Hintergrund: Die Türkei verlangt, dass der Satiriker Böhmermann strafrechtlich verfolgt wird. Eine entsprechende diplomatische Note ist an die deutschen Behörden geschickt worden. Auch Erdogan selbst stellte Strafantrag gegen Böhmermann wegen Beleidigung, wie die Staatsanwaltschaft Mainz am Montag mitteilte.

So schaukelt sich die Debatte auch medial immer weiter hoch. Diese Recherche des türkischen Reporters endet jedoch vor der Hauptpforte des ZDF-Sendezentrums. Der Sender begründet das damit, was für jedes größere Unternehmen gilt: Es habe keine Anfrage für eine Drehgenehmigung gegeben und daher hätte das Kamerateam das Gelände nicht betreten dürfen, hieß es seitens des ZDF. „Der Reporter hat auch vor Ort offenbar nicht den Versuch unternommen, ein Interview zu führen“, sagte ein ZDF-Sprecher unserer Redaktion. „Der türkische Kollege hat sich auf das Gelände gestellt und einen Aufsager gemacht“, so der Sprecher. Heißt: Der Fernsehjournalist hat offenbar einfach seinen vorgefertigten Text abgespult.

„ZDF betreibt immer Türkenfeindlichkeit“

Mevlüt Yüksel bastelt sich seine eigenen Tatsachen. „Sie haben den Sicherheitsdienst gerufen. Damit will der Sender, der von Pressefreiheit spricht, uns von hier vertreiben“, kommentiert der Fernsehmann. Und schwingt sich im nächsten Satz empor zum Verfechter eben dieser Pressefreiheit: „Wir werden im größten Land Europas nun Gebrauch machen von dieser Pressefreiheit und unsere Arbeit hier tun!“

Die Analyse liefert der Journalist den Zuschauern zu Hause gleich mit: „Sie sehen also den Punkt, an dem die Pressefreiheit in Deutschland angekommen ist.“ Der Reporter spricht in dem am Samstag ausgestrahlten Beitrag, als würde er nicht aus Mainz, sondern aus einem Krisengebiet berichten.

„Sie wollen die Türken nicht“

An den Außeneinsatz des Reporters knüpft sich ein Interview an. Zum Aufwärmen blendet die Redaktion in großen Buchstaben ein: „Das ZDF betreibt immer Türkenfeindlichkeit.“ Yüksel spricht mit einem Türken in einer deutschen Fußgängerzone. Der ältere Herr sagt, dass er bereits seit 40 Jahren in Deutschland lebe. Das ZDF fahre Kampagnen, in dem „Schmähgedicht“ von Jan Böhmermann seien türkischen Frauen als Prostituierte verunglimpft worden (was nicht stimmt). Es entsteht der Eindruck, dass die in Deutschland lebenden Türken jeden zweiten Tag ihren Protest gegen das ZDF lautstark auf die Straße tragen würden.

Dann folgt die Gretchenfrage: Warum macht das ZDF so etwas? Die Antwort ist bestechend simpel: „Sie wollen die Türken nicht.“ Die Deutschen störe das Wirtschaftswachstum in der Türkei, dass Flughäfen in der Türkei wie geplant gebaut werden. Alles also eine Neidfrage? In den Augen des Interviewten sicherlich: „Denn der Flughafen von Berlin ist immer noch nicht gebaut und wird auch nie gebaut werden.“ (mit dpa)