Berlin. Alles für die Katz? Eine neue Studie zeigt, dass die Zeitumstellung keine positive Auswirkungen hat. Negative Folgen sind fraglich.

Nicht nur Langschläfer dürfen sich am Sonntag wieder quälen: Die Umstellung auf die Sommerzeit raubt uns eine Stunde Schlaf. Aber lohnen sich die Mühen der 1980 eingeführten Zeitanpassung überhaupt? Eine neue Studie für den Bundestag, die unserer Zeitung vorliegt, nährt jetzt die Zweifel am Sinn der Uhr-Umstellung: Die erhoffte Energieeinsparung durch die Sommerzeit ist minimal – andererseits ist die Belastung für die Menschen durch die Umstellung teilweise größer und langwieriger als angenommen.

Den brisanten Endbericht „Bilanz der Sommerzeit“ hat das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Bundestag im Auftrag des Parlaments erstellt. Die Wissenschaftseinrichtung in Berlin hat auf 212 Seiten bisherige Untersuchungen und selbst in Auftrag gegebene Gutachten ausgewertet. Das Fazit: Unterm Strich gebe es „keine belastbaren Hinweise auf ernsthafte positive oder negative energetische, wirtschaftliche oder gesundheitliche Effekte der Sommerzeit“. Einfacher ausgedrückt: „Die Sommerzeit ist relativ überflüssig“, wie einer der Autoren gegenüber Bundestagsabgeordneten das Ergebnis zusammenfasste.

Energieeinsparung zu vernachlässigen

Erster Befund: Das von der EU verfolgte Ziel der Sommerzeit, Energie vor allem für die Beleuchtung in Privathaushalten einzusparen, wird klar verfehlt. Der Jahresstromverbrauch der Haushalte reduziert sich nur um 0,8 Prozent, ergab ein Gutachten, das die Bundestags-Berater eigens erstellen ließen. Hochgerechnet auf den gesamten nationalen Stromverbrauch liege die Einsparung bei 0,2 Prozent, bei der Endenergie insgesamt sogar nur bei 0,045 Prozent. Der tatsächliche Einspareffekt sei mithin „allenfalls minimal bzw. zu vernachlässigen“.

Zweiter Befund: Es gibt zunehmend wissenschaftliche Hinweise, dass die Anpassung des Menschen „sich nicht so einfach bzw. so zügig vollzieht, wie noch vor wenigen Jahren angenommen worden war.“ Der Anpassungsprozess könne selbst binnen vier Wochen „möglicherweise nur unvollständig gelingen“. Vor allem Menschen, die von Natur aus morgens eher lange schlafen, scheine die Zeitumstellung im Frühjahr größere Schwierigkeiten zu bereiten. Klar ist, dass der biologische Rhythmus in den Tagen nach der Umstellung aus dem Gleichgewicht gerät, verminderte Schlafqualität und kürzere Schlafdauer können die Folge sein. Doch einige der biologischen Rhythmen reagierten sehr empfindlich und womöglich auch über die gesamte Sommerzeitperiode, mahnen die Experten. Was das für die Gesundheit bedeute, sei aber nach wie vor „weitgehend unklar“. Die meisten Studien sehen bisher keine ernsthaften Gesundheitsbeeinträchtigungen.

Hinweise auf höheres Infarktrisiko

Untersuchungen zum Herzinfarktrisiko sind den Bundestags-Beratern zufolge widersprüchlich, ein klares Muster ist demnach nicht erkennbar – zuletzt hatte die Krankenkasse DAK-Gesundheit berichtet, in den Tagen nach der Zeitumstellung gebe es 20 Prozent mehr Herzinfarkte. Es gibt durchaus Vorzüge der Sommerzeit, die gar nicht offizielles Ziel waren. So ist es offensichtlich, dass der spätere Sonnenuntergang Freizeitspaß im Freien, vom Sport bis zum Biergartenbesuch, erleichtert. Und über die gesamte Sommerzeit könnte sich – wegen der Bedeutung von Tageslicht für die Psyche – eine Abnahme von Depressionen ergeben. Ausreichend erforscht ist das allerdings noch nicht. Die Studie liefert damit vor allem Gegnern der Sommerzeit Munition. Allerdings machen die Wissenschaftler klar, dass Deutschland die Zeitumstellung nicht im Alleingang beenden kann – notwendig wäre die Änderung der EU-Richtlinie.

Physiker senden das Signal zur Umstellung

Solange es die Zeitumstellung noch gibt, liegt der technische Ablauf in der Hand der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Sie sorgt dafür, dass das entscheidende Signal von einem Sender im hessischen Mainflingen ausgesendet wird, sodass sich Millionen von Funkuhren in Deutschland nachts ganz automatisch umstellen. Extra aufstehen müssen die Physiker dafür nicht. „Hier arbeitet nachts niemand“, sagt Andreas Bauch, der Leiter der Zeitlabors der PTB. „Alle Geräte sind so programmiert, dass sie selbstständig umschalten.“ Dass dabei etwas schiefgeht, sei äußerst unwahrscheinlich, meint der Atomphysiker, der bereits über 50 Zeitumstellungen bei der PTB mitgemacht hat. Er freut sich darauf, dass es abends wieder eine Stunde länger hell bleibt.