Berlin . Die Bundesregierung will die Nordsee strenger schützen. Die zuständigen Bundesminister sind zufrieden, Berufsfischer wollen klagen.

Tief in der Nordsee, jenseits der Zwölf-Seemeilen-Zone vor der Deutschen Küste, ringen die EU-Anrainerstaaten, Umweltverbände und Berufsfischer um den Schutz und die Nutzung einer der wichtigsten Meeresregionen der Erde. Seit Jahrhunderten versorgt die Nordsee mit ihrem Fischreichtum die Bevölkerung von sieben angrenzenden Ländern. Gleichzeitig bedrohen Grundschleppnetze, Kies- oder Sandabbau die Lebensräume vieler Tierarten wie Schweinswale oder Seevögel. Seit mehr als einem Jahrzehnt versucht die Politik, einen Interessenausgleich zu schaffen. Nun hat sich die Bundesregierung in einem Teil der Schutzgebiete durchgerungen, die Fischerei deutlich zu beschränken. Doch ob Deutschlands Signal für mehr Meeresschutz den Gang durch die EU-Instanzen übersteht, ist fraglich.

Ganzjährige Verbote für umstrittene Methoden

Tag der Wahrheit. Am Dienstag lagen in Bonn in der Anhörung der Länder und Verbände die gemeinsamen Empfehlungen des Bundeslandwirtschafts- und des Bundesumweltministeriums auf dem Tisch. Darin beschreibt die Bundesregierung auf 70 Seiten, wie, wo und wann gefischt werden soll. „Erstmals haben wir uns innerhalb der Bundesregierung auf Beschränkungen der Fischerei in den Meeresnaturschutzgebieten geeinigt“, sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) unserer Redaktion. „Wir brauchen diese Beschränkungen, damit Seevögel, Fische und Schweinswale dauerhaft in der Nordsee leben können.“

Bundesfischereiminister Christian Schmidt (CSU) sagte: „Dieser Maßnahmenentwurf ist ein guter Ausgleich zwischen den europäischen Naturschutzzielen und den berechtigten Interessen einer nachhaltigen und wirtschaftlich auskömmlichen Fischerei.“ Doch der Konsens birgt Zündstoff: Der Deutsche Fischerei-Verband spricht von einem „großflächigen Eingriff in bestehende Nutzungsrechte“. Das sei so, als wenn man dem Bauern den Acker wegnehme, sagte dessen Generalsekretär Peter Breckling. In einer Stellungnahme nannte er die Schutzmaßnahmen „unverhältnismäßig“.

Debatte über Fangmethoden: Die Bundesregierung will den Schutz von Schweinswalen und Seevögeln stärken.
Debatte über Fangmethoden: Die Bundesregierung will den Schutz von Schweinswalen und Seevögeln stärken. © dpa | Carmen Jaspersen

Konkret nimmt die Bundesregierung die Fischerei in vier Meeresnaturschutzgebieten der „Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) auf: „Sylter Außenriff“, „Borkum Riffgrund“, „Doggerbank“ sowie das Vogelschutzgebiet „Östliche Deutsche Bucht“. Die Maßnahmen sind gravierend, der Deutsche Fischerei-Verband befürchtet: „Der Maßnahmenvorschlag würde dazu führen, dass fast 30 Prozent der deutschen Meeresfläche in der AWZ mit rund 5000 Quadratkilometer für sämtliche mobile, grundberührende Fanggeräte und Stellnetze ganzjährig gesperrt wird.“

Tatsächlich soll laut Empfehlung der Bundesregierung im mittleren Teil des Sylter Außenriffs, den Wissenschaftler als „Kinderstube der Schweinswale bezeichnen“, ganzjährig nicht mehr mit Grundschleppnetzen gefischt werden dürfen. Gleiches soll für das Gebiet „Borkum Riffgrund“ gelten. Aus gutem Grund, sagen Umweltschützer und auch Naturschutzbehörden. Bei dieser Fangmethode werden die teilweise mit Ketten beschwerten Fanggeräte über den Meeresboden gezogen, um Fische aufzuscheuchen. Der Meeresboden werde dabei umgepflügt, teilweise bis zu 20 Mal pro Jahr.

WWF noch nicht zufrieden

Die Umweltstiftung WWF sieht in den Vorschlägen der Bundesregierung zwar einen Schritt in die richtige Richtung. „Aus naturschutzfachlicher Sicht aber reichen die Vorschläge nicht aus“, sagt WWF-Experte Stephan Lutter. Im Fokus der Kritik steht dabei insbesondere die Absicht der Bundesregierung, das östliche Sylter Außenriff für die mit Grundschleppnetzen arbeitende Krabbenfischerei geöffnet zu lassen. „Diese Ausnahme konterkariert das Wort Schutzgebiet“, so Lutter.

Auch das Fischen mit Stellnetzen soll reguliert werden. Stellnetze werden als kilometerlange Netzwand im Wasser verankert. Kabeljau und Plattfische sollen sich darin verfangen, doch werden sie für Schweinswale oder Seevögel zur tödlichen Falle. Auf der Jagd nach den Fischen verfangen sie sich in den Netzen, sie ersticken oder ertrinken. Für die dänische Stellnetzfischerei in der Nordsee sei Experten zufolge im Zeitraum von 1992 bis 1998 ein „Beifang“ von bis zu 7000 Tieren pro Jahr ermittelt worden.

So soll künftig die Fangmethode im Gebiet „Östliche Deutsche Bucht“ ganzjährig verboten werden, im westlichen Teil des Sylter Außenriffs würde sie nur noch außerhalb der Paarungszeit der Schweinswale sowie im Winterhalbjahr erlaubt sein. In den Gebieten „Borkum Riffgrund“ und „Doggerbank“ könnte die Intensität der Stellnetzfischerei auf den Stand von vor vier Jahren „eingefroren“ werden.

Nachbarländer müssen zustimmen

Ob die Maßnahmen in Deutschland auch so umgesetzt werden, hängt auch von der Zustimmung der Anrainerstaaten ab. Die Empfehlungen werden an die Nachbarländer verschickt, die in der deutschen Nordsee fischen: Dänemark, Niederlande, Großbritannien, Belgien und Frankreich. In dieser Runde aber, so fürchten die Umweltverbände, könnten Fischereiinteressen den Maßnahmekatalog aufweichen.

„Es ist gut für die Natur, aber es ist auch gut für die Fischer, wenn es Schutzzonen gibt, in denen sich die Bestände erholen können“, sagte Umweltministerin Barbara Hendricks. Auch Fischereiminister Christian Schmidt appellierte: „Eine verlässliche Zukunft für die Fischwirtschaft kann es nur geben, wenn die Fischerei nachhaltig, das heißt, im Einklang mit der Natur und in Vorsorge für künftige Generationen betrieben wird.“ Die Berufsfischer pochen auf Nutzungsrechte: Sie sammeln Geld für eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.