Berlin. Die Atomkatastrophe in Fukushima führte vor fünf Jahren zum beschleunigten Atomausstieg. Doch die Energiewende steht erst am Anfang.

Die Bilder waren übermächtig: In den Tagen nach dem verheerenden Erdbeben und Tsunami am 11. März 2011 ereignen sich im Kernkraftwerk Fuku­shima mehrere schwere Explosionen. Später stellt sich heraus, dass es in drei Kraftwerksblöcken zu Kernschmelzen gekommen ist, weil die Flutwelle das Notkühlsystem außer Kraft gesetzt hat.

In Deutschland handelt die Bundesregierung angesichts der Katastrophe in Fernost sofort: Schon am 14. März beschließt das Kabinett von Angela Merkel (CDU), die acht ältesten deutschen Atommeiler innerhalb weniger Tage vom Netz nehmen zu lassen. Im Juni folgt ein Gesetz, das die im Jahr zuvor verlängerten Laufzeiten für die restlichen neun moderneren Anlagen stark verkürzt. Fünf Jahre beschleunigter Atomausstieg – eine Zwischenbilanz.

Welche Kernkraftwerke sind noch am Netz? Derzeit sind noch acht Kraftwerksblöcke in Betrieb, davon drei in Bayern und zwei in Baden-Württemberg. Als Erste moderner Bauart ist vorigen Sommer die Anlage im bayerischen Grafenrheinfeld abgeschaltet worden. 2017 und 2019 muss jeweils ein weiteres Kraftwerk vom Netz, 2021 und 2022 jeweils drei.

So sieht Fukushima nach dem Tsunami aus

Am 11. März 2011 verwüstete eine Dreifachkatastrophe aus Erdbeben, Tsunami und Havarie des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi die Küstenregion im Nordosten Japans. Mit 9,0 auf der Richterskala war es das stärkste Beben in der Geschichte Japans.
Am 11. März 2011 verwüstete eine Dreifachkatastrophe aus Erdbeben, Tsunami und Havarie des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi die Küstenregion im Nordosten Japans. Mit 9,0 auf der Richterskala war es das stärkste Beben in der Geschichte Japans. © Reuters | REUTERS / YOMIURI
Dem Erdbeben folgte ein Tsunami mit bis zu 15 Meter hohen Wellen. Die Wasserwand traf die Ostküste Japans (hier in der Nähe von Miyako City), mehr als 500 Kilometer Küste wurden zerstört.
Dem Erdbeben folgte ein Tsunami mit bis zu 15 Meter hohen Wellen. Die Wasserwand traf die Ostküste Japans (hier in der Nähe von Miyako City), mehr als 500 Kilometer Küste wurden zerstört. © REUTERS | Mainichi Shimbun
Rund 18.500 Menschen fielen dem Tsunami zum Opfer, er zerstörte rund 260 Dörfer und ganze Städte; mehr als eine Million Häuser wurden beschädigt oder fortgerissen.
Rund 18.500 Menschen fielen dem Tsunami zum Opfer, er zerstörte rund 260 Dörfer und ganze Städte; mehr als eine Million Häuser wurden beschädigt oder fortgerissen. © REUTERS | KYODO
Das Kernkraftwerk traf die Riesen-Welle unvorbereitet, da Fukushima nicht an das Tsunami-Warnsystem angeschlossen war. Die zum Meer liegende, 5,70 Meter hohe Mauer wurde von den Wassermassen überflutet. Die Reaktorblöcke 1 bis 4 und die Generatoren standen bis zu fünf Meter tief im Wasser, was zum Stromausfall führte.
Das Kernkraftwerk traf die Riesen-Welle unvorbereitet, da Fukushima nicht an das Tsunami-Warnsystem angeschlossen war. Die zum Meer liegende, 5,70 Meter hohe Mauer wurde von den Wassermassen überflutet. Die Reaktorblöcke 1 bis 4 und die Generatoren standen bis zu fünf Meter tief im Wasser, was zum Stromausfall führte. © dpa | Tepco/ho
Die Folge der Stromausfälle war mangelnde Kühlung: Die Reaktorblöcke 1 bis 3 überhitzten, die gefürchtete Kernschmelze war nicht mehr zu verhindern.
Die Folge der Stromausfälle war mangelnde Kühlung: Die Reaktorblöcke 1 bis 3 überhitzten, die gefürchtete Kernschmelze war nicht mehr zu verhindern. © dpa | Abc Tv
In den folgenden Tagen ereigneten sich immer wieder Explosionen in den betroffenen Blöcken. Hochradioaktiver Schutt, Wasser und Dampf gelangten ungehindert in die Umwelt.
In den folgenden Tagen ereigneten sich immer wieder Explosionen in den betroffenen Blöcken. Hochradioaktiver Schutt, Wasser und Dampf gelangten ungehindert in die Umwelt. © dpa | Tepco / Handout
Ein Satellitenfoto zeigt das Atomkraftwerk Fukushima wenige Sekunden nach einer Explosion in Reaktor 3 am 14. März 2011.
Ein Satellitenfoto zeigt das Atomkraftwerk Fukushima wenige Sekunden nach einer Explosion in Reaktor 3 am 14. März 2011. © dpa | DigitalGlobe
Der Tsunami hinterließ dramatische Zerstörungen. Die Wassermassen spülten Schiffe an Land, etwa in der Hafenstadt Kesennuma.
Der Tsunami hinterließ dramatische Zerstörungen. Die Wassermassen spülten Schiffe an Land, etwa in der Hafenstadt Kesennuma. © dpa | Kimimasa Mayama
Überlebende des Tsunami blickten Tage später auf die verwüstete Gegend um Ishinomaki, etwa 270 Kilometer nördlich von Tokio.
Überlebende des Tsunami blickten Tage später auf die verwüstete Gegend um Ishinomaki, etwa 270 Kilometer nördlich von Tokio. © dpa | Kimimasa Mayama
Verzweiflung im Angesicht der Katastrophe: Inmitten der zerstörten Stadt Natori weinte diese Frau.
Verzweiflung im Angesicht der Katastrophe: Inmitten der zerstörten Stadt Natori weinte diese Frau. © Reuters | Asahi Shimbun
Polizisten in Schutzanzügen suchten nach Opfern in der Umgebung des zerstörten Kernkraftwerks. Den Bereich im Umkreis von 20 Kilometern mussten die Anwohner dauerhaft verlassen.
Polizisten in Schutzanzügen suchten nach Opfern in der Umgebung des zerstörten Kernkraftwerks. Den Bereich im Umkreis von 20 Kilometern mussten die Anwohner dauerhaft verlassen. © Reuters | Kim Kyung Hoon
In dieser Turnhalle in Yamageta kamen einige der Menschen, die ihr Heim verloren hatten, zunächst unter. Für Japan war der GAU die schlimmste humanitäre Krise seit dem zweiten Weltkrieg.
In dieser Turnhalle in Yamageta kamen einige der Menschen, die ihr Heim verloren hatten, zunächst unter. Für Japan war der GAU die schlimmste humanitäre Krise seit dem zweiten Weltkrieg. © Reuters | Yuriko Nakao
Drei Wochen nach der Katastrophe: ein Überblick über die Zerstörung des Kernkraftwerks.
Drei Wochen nach der Katastrophe: ein Überblick über die Zerstörung des Kernkraftwerks. © Reuters | Ho New
Bitte um Entschuldigung: Nach den erschütternden Ereignissen verneigten sich Mitarbeiter der Kernkraftwerk-Betreiberfirma Tepco vor Evakuierten der Ortschaft Kawauchi.
Bitte um Entschuldigung: Nach den erschütternden Ereignissen verneigten sich Mitarbeiter der Kernkraftwerk-Betreiberfirma Tepco vor Evakuierten der Ortschaft Kawauchi. © REUTERS | ISSEI KATO
Japan und die Welt gedachten der Opfer der Katastrophe, selbstverständlich auch Japans Kaiser Akihito (r.) und Kaiserin Michiko.
Japan und die Welt gedachten der Opfer der Katastrophe, selbstverständlich auch Japans Kaiser Akihito (r.) und Kaiserin Michiko. © Reuters | Toru Hanai
Jenseits der offiziellen Gedenkfeiern beteten die Menschen auch an improvisierten Schreinen.
Jenseits der offiziellen Gedenkfeiern beteten die Menschen auch an improvisierten Schreinen. © Reuters | KYODO Kyodo
In Schutzkleidung besuchte diese Frau den Ort, an dem einmal ihr Haus stand.
In Schutzkleidung besuchte diese Frau den Ort, an dem einmal ihr Haus stand. © dpa | Koichi Kamoshida
Das verwüstete Gebiet von Kesennuma in der Präfektur Miyagi am 14. März 2011 (unten) – und der selbe Bereich am 27. Februar 2016 (oben).
Das verwüstete Gebiet von Kesennuma in der Präfektur Miyagi am 14. März 2011 (unten) – und der selbe Bereich am 27. Februar 2016 (oben). © dpa | Kimimasa Mayama
Die Stadt Shinchi in der Präfektur Fukushima am 12. März 2011 und am 27. Februar 2016 (unten).
Die Stadt Shinchi in der Präfektur Fukushima am 12. März 2011 und am 27. Februar 2016 (unten). © Reuters | KYODO Kyodo
Teizo Terasaka (70, l.) und seine Frau Keiko (68) sitzen auf den Überresten der Badewanne ihres Hauses in der verwüsteten Stadt Rikuzentakata, Präfektur Iwate im Mai 2011 (unten). Das Bild oben zeigt den Bereich im Februar 2016.
Teizo Terasaka (70, l.) und seine Frau Keiko (68) sitzen auf den Überresten der Badewanne ihres Hauses in der verwüsteten Stadt Rikuzentakata, Präfektur Iwate im Mai 2011 (unten). Das Bild oben zeigt den Bereich im Februar 2016. © dpa | Kimimasa Mayama
270 Kilometer von Tokio entfernt: das verwüstete Gebiet Ishinomaki in der Präfektur Miyagi am 13. März 2011 (unten) und am 27. Februar 2016 (oben).
270 Kilometer von Tokio entfernt: das verwüstete Gebiet Ishinomaki in der Präfektur Miyagi am 13. März 2011 (unten) und am 27. Februar 2016 (oben). © dpa | Kimimasa Mayama
Der Tsunami spülte am 11. März 2011 in Otsuchi ein Boot auf das Dach eines Hotels (unten, das Bild entstand im Mai 2011). Das Bild oben zeigt den Bereich am 27. Februar 2016.
Der Tsunami spülte am 11. März 2011 in Otsuchi ein Boot auf das Dach eines Hotels (unten, das Bild entstand im Mai 2011). Das Bild oben zeigt den Bereich am 27. Februar 2016. © dpa | Kimimasa Mayama
Tsunami-Überlebende umarmen sich am 14. März 2011 (unten) in Kesennuma in der Präfektur Miyagi. Der gleiche Bereich ist in der oberen Ansicht am 27. Februar 2016 zu sehen.
Tsunami-Überlebende umarmen sich am 14. März 2011 (unten) in Kesennuma in der Präfektur Miyagi. Der gleiche Bereich ist in der oberen Ansicht am 27. Februar 2016 zu sehen. © dpa | Kimimasa Mayama
Die gesundheitlichen Folgen des GAUs sind nicht abzuschätzen.
Die gesundheitlichen Folgen des GAUs sind nicht abzuschätzen. © Reuters | Issei Kato
In den Tagen nach der Katastrophe untersuchten Beamte Anwohner auf Strahlung.
In den Tagen nach der Katastrophe untersuchten Beamte Anwohner auf Strahlung. © REUTERS | KIM KYUNG-HOON
Das Vorhaben, Kernreaktoren wieder in Betrieb zu nehmen, stieß nach der Katastrophe von Fukushima in der Bevölkerung auf heftige Gegenwehr, zu groß war die Angst vor der Gefahr, dass eine ähnliche Katastrophe passieren könnte.
Das Vorhaben, Kernreaktoren wieder in Betrieb zu nehmen, stieß nach der Katastrophe von Fukushima in der Bevölkerung auf heftige Gegenwehr, zu groß war die Angst vor der Gefahr, dass eine ähnliche Katastrophe passieren könnte. © Reuters | Sukree Sukplang
Knapp fünf Jahre nach dem Unglück begingen 2016 Medienvertreter in Begleitung von Mitarbeitern von Tepco den Ort der Katastrophe. Um sich vor der nach wie vor extrem hohen Strahlung zu schützen, trugen alle Schutzanzüge.
Knapp fünf Jahre nach dem Unglück begingen 2016 Medienvertreter in Begleitung von Mitarbeitern von Tepco den Ort der Katastrophe. Um sich vor der nach wie vor extrem hohen Strahlung zu schützen, trugen alle Schutzanzüge. © dpa | Toru Hanai / Pool
Ein Blick auf das Reaktorgebäude 3: Sorge bereiten den Sicherheitskräften vor allem die Menge an hochradioaktivem Wasser, das auch das Grundwasser kontaminiert.
Ein Blick auf das Reaktorgebäude 3: Sorge bereiten den Sicherheitskräften vor allem die Menge an hochradioaktivem Wasser, das auch das Grundwasser kontaminiert. © REUTERS | TORU HANAI
Wohin mit dem Sondermüll? Tausende schwarze Plastiktüten mit verstrahlter Erde und Schutt lagern in Tomioka in der Präfektur Fukushima.
Wohin mit dem Sondermüll? Tausende schwarze Plastiktüten mit verstrahlter Erde und Schutt lagern in Tomioka in der Präfektur Fukushima. © dpa | Franck Robichon
1/29

Hat der Atomausstieg zu höheren Strompreisen geführt? Im Gegenteil, die Strompreise im Großhandel sind seit dem Ausstieg fast durchgängig gefallen. Trotz der vom Netz gegangenen Meiler gibt es in Deutschland noch zu viele Kraftwerke, sie verderben sich gegenseitig die Preise. Allerdings: Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird auf die Stromrechnung als sogenannte EEG-Umlage (Erneuerbare-Energien-Gesetz) aufgeschlagen. In Summe verursacht die Energiewende höhere Kosten für die Verbraucher. Umweltverbände weisen aber darauf hin, dass Umweltschäden und Risiken der Stromerzeugung aus Kohle, Gas und in Kernkraftwerken nicht ausreichend berücksichtigt sind.

Ist der Ausstieg rechtlich abgeschlossen? An der Abschaltung der Anlagen wird sich nichts ändern, sie steht fest. Es laufen jedoch rund 30 Gerichtsverfahren gegen Bund und Länder, in denen es um Schadensersatz geht. Die vier Betreiber Eon, RWE, Vattenfall und EnBW wehren sich unter anderem gegen die Sofortabschaltung, die keine ausreichende gesetzliche Grundlage hatte, wie ein Gericht bereits feststellte. Auch für die Laufzeitverkürzung wollen sie Geld. Vattenfall als schwedischer Auslandsinvestor klagt vor einem internationalen Schiedsgericht. Insgesamt geht es um mehr als 20 Milliarden Euro, die aus der Staatskasse bezahlt werden müssten. Kein Fall ist bislang abgeschlossen, in ersten Verfahren deutet sich aber an, dass die Entschädigungen deutlich geringer als von den Konzernen gefordert ausfallen werden.

Wie geht es für die Energiekonzerne weiter? Alle vier Betreiber stecken in einer tiefen Krise, schreiben regelmäßig rote Zahlen und haben Zehntausende Stellen abgebaut. Der Atomausstieg hat Spuren hinterlassen. Doch die Versorger haben es auch versäumt, ausreichend in die staatlich geförderten erneuerbaren Energien zu investieren, die inzwischen rund ein Drittel des Strombedarfs decken. Die Manager haben das Problem inzwischen erkannt, aber es ist eine offene Frage, ob es ihnen noch gelingt, erfolgreich umzusteuern. Der Handlungsspielraum ist angesichts der leeren Kassen gering.

Wer bezahlt die Abwicklung der Kernkraft? Bislang ist die Lage klar: Für den Abriss der Kernkraftwerke und die Lagerung des strahlenden Mülls müssen die Betreiberkonzerne aufkommen – und zwar noch jahrzehntelang. Schon der Abriss eines Atomkraftwerks kann deutlich länger als zehn Jahre dauern. Viele Bauteile strahlen am Anfang sehr stark. Die Atomkonzerne sind verpflichtet, dafür Geld beiseitezulegen, sogenannte Rückstellungen, die sich zuletzt auf knapp 40 Milliarden Euro beliefen. Dieses Geld liegt jedoch nicht in einer sicheren Kasse, sondern ist von den Konzernen investiert worden, sie grenzen es lediglich in der Bilanz als Verschuldung ab. Das heißt: Gehen die Konzerne pleite, müsste der Staat einspringen. Angesichts der prekären Lage der Energiekonzerne herrscht in Berlin die Befürchtung, dass dieser Fall eintreten könnte. In einem ersten Schritt haben externe Gutachter die Höhe der Rückstellungen überprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sie in einem günstigen Fall ausreichen, die Kosten aber auch deutlich höher ausfallen könnten.

Welche Rolle übernimmt dabei der Staat? Darüber verhandelt gerade eine Regierungskommission, die unter anderem von Ex-Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) geleitet wird. Aus Verhandlungskreisen ist durchgesickert, dass die Kraftwerksbetreiber weiter die Verantwortung für den Abbau der Kernkraftwerke behalten, aber das Geld für die Zwischen- und Endlagerung an einen Staatsfonds abtreten. Im Gegenzug haften sie dann aber nicht mehr endlos. Die Endlagerung ist eine kaum abschätzbare Aufgabe, die sehr teuer werden und die Konzerne überfordern könnte. Wenn sie pleitegehen, ohne vorher einen Teil ihrer Rückstellungen abgegeben zu haben, muss der Staat die gesamten Kosten tragen.

Steht fest, wo der Atommüll endgültig gelagert wird? Nein, die Endlagersuche ist eine scheinbar endlose Aufgabe. Deutschland will seinen Atommüll nicht exportieren. Etwa 30.000 Kubikmeter hoch radioaktives und 300.000 Kubikmeter schwach bis mittel Strahlendes müssen für eine Million Jahre also in Deutschland unter Tage sicher verschlossen werden, gleichzeitig aber rückholbar sein. In den 80er-Jahren wurde entschieden, den Salzstock unter dem ostniedersächsischen Gorleben als Endlager zu nutzen. Doch davon wurde nach wissenschaftlichen Bedenken und Protesten abgerückt. Nun beginnt die Suche von vorne.