Fünf Jahre nach Fukushima: Rückkehr in die Strahlenzone
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Von Finn Mayer-Kuckuk
Fukushima. Japans Regierung macht Druck: Um die Reaktor-Ruine von Fukushima herum soll trotz der Strahlung möglichst schnell Normalität einkehren.
Auf der Rikuzenhama-Straße beginnt das Strahlenmessgerät heftig auszuschlagen. „Wenn schon so viel durch das Blech am Boden des Autos durchkommt, dann muss einiges auf der Fahrbahn kleben“, sagt Yoichi Ozawa. Kein Wunder – die Straße läuft hier in zwei Kilometern Entfernung am havarierten Kraftwerk Fukushima Daiichi vorbei. „Der Verkehr von den Reaktor-Ruinen hierher nimmt offenbar einiges an Verschmutzung mit“, spekuliert Ozawa. Vor allem das Gerät zur Messung von Betastrahlen beginnt einige hundert Meter nach der Abzweigung zum Kraftwerk wild zu knacken. „Eigentlich sollte das hier abgesperrt sein“, sagt Ozawa.
So ähnliche Sätze sagt Ozawa oft: „Hier dürfte eigentlich keiner wohnen“, oder „kriminell, dass hier schon bald wieder Kinder spielen sollen“. Der 60-Jährige ist Mitglied des „Fukuichi-Strahlenüberwachungsprojekts“, einem Verein, der auf eigene Faust die Kontamination in der Nähe des Kraftwerks misst. Die engagierten Bürger liegen über Kreuz mit der Regierung, die in der Region mit aller Macht den Anschein von Normalität erwecken will. Offizielle Messungen ergeben meist niedrige Werte für radioaktive Verschmutzung. Die Behörden lassen mit dieser Begründung die umliegenden Ortschaften wie Minami-Soma oder Iitate eine nach der anderen wieder zur Besiedlung freigeben.
Erst das Beben, dann der 13 Meter hohe Tsunami
Mitte März 2011 hatte sich eine Dreifachkatastrophe aus Erdbeben, Tsunami und Reaktorunfall ereignet. Sie fing mit einem extrem schweren Erdbeben vor der japanischen Küste an: Die Landmasse von Nordostjapan rückte mehrere Meter nach Osten und sackte bis zu einem Meter ab. Nach den Erschütterungen hatten sich die Meiler in dem veralteten Kraftwerk Fukushima Daiichi zunächst automatisch heruntergefahren. Doch dann brach die zweite Katastrophe über den Küstenstrich herein: Eine 13 Meter hohe Flutwelle setzte die Anlage unter Wasser. Mehrere Detonationen schleuderten radioaktive Isotope in den Himmel.
So sieht Fukushima nach dem Tsunami aus
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Das Haus von Yoichi Ozawa in der Stadt Minami-Soma liegt 24 Kilometer von dem Kraftwerk entfernt – in Windrichtung. Trotzdem bekommt er keine Entschädigung von der Betreibergesellschaft Tepco: Sein Haus liegt einen Steinwurf weit außerhalb der Evakuierungszone. In den angrenzenden Ortsteil werden die Bewohner im April zurückkehren, derzeit ist er noch eine Geisterstadt. „Die Rückkehr beginnt zu früh“, sagt Ozawa. Wer an zufällig ausgewählten Punkten misst, findet hier immer wieder Stellen, von denen eine Dosis von bis zu zehn Mikrosievert pro Stunde ausgeht. Wer sich hier draußen aufhält, ist einer Jahresstrahlendosis ausgesetzt, die den deutschen Grenzwert für die normale Bevölkerung um den Faktor 90 übertrifft.
2020 richtet Tokio die olympischen Spiele aus – alles soll in Ordnung scheinen
Die Regierung legt ihrer Berechnung daher die Annahme zugrunde, dass die Bewohner sich zumeist in geschlossenen Räumen aufhalten. „An Kinder, die draußen spielen und sich die Hände mit strahlendem Dreck verschmieren, und dann damit Süßigkeiten in den Mund stopfen, denken diese Leute nicht“, sagt Ozawa. Für ihn ist klar, warum die offiziellen Stellen so viel Druck machen: Je länger die Bewohner die übliche Entschädigung von rund 1000 Euro im Monat erhalten, desto länger liegen sie dem Staat auf der Tasche.
Premier Shinzo Abe hat wohl noch ein zusätzliches Motiv, schnell den Anschein von Normalität zu erwecken: In vier Jahren richtet Tokio die olympischen Spiele aus. Bis dahin soll alles in Ordnung sein. Viele der Bewohner der betroffenen Ortschaften brennen zudem tatsächlich darauf, in ihre angestammten Häuser – und in ihre Heimat – zurückzukehren. Sie haben das Leben in seelenlosen Wohnungen in der Großstadt satt. Viele von ihnen sind Bauern, die wieder ihre Felder bestellen wollen.
Reis aus Fukushima ist nach offizieller Einschätzung zum Verzehr geeignet
Doch wer soll den Reis, den Lauch, den Rettich, das Rindfleisch kaufen, für das die Region bekannt war? Fukushima ist strukturschwach und hat kaum Industrie. Dafür hatte die Präfektur sich einen Namen gemacht als Hersteller leckerer Bio-Produkte. Mit dem naturnahen Image dürfte es jetzt für Jahrzehnte vorbei sein.
Dennoch: Reis aus Fukushima ist nach offizieller Einschätzung uneingeschränkt zum Verzehr geeignet. Auch in der Umgebung des Kraftwerks produzieren die Bauern längst wieder Lebensmittel. Bisher sind es vor allem die Bewohner der Region, die sie trotzig kaufen – dafür gibt es in Supermärkten eigene Ecken wie den „Minami-Soma-Shop“ an einer Raststätte der Autobahn, die mitten durch die Strahlenzone führt. Der Kommentar von Herrn Ozawa ist vorhersagbar: „Ich kann nicht verstehen, warum das einer essen will.“