Tokio. Während die Reaktorkatastrophe von Fukushima in Deutschland die Energiewende einläutete, tut sich Japan schwer mit dem Atom-Abschied.
Fünf Jahre sind seit dem nuklearen Unfall vergangen, und das Land kämpft noch immer mit den Folgen: Der Boden und das Meer sind radioaktiv verseucht. Viele Dörfer und Regionen sind unbewohnbar, und Zehntausende von Menschen leben in Notunterkünften ohne Aussicht, in absehbarer Zukunft nach Hause zurückkehren zu können.
Ebenso ungewiss ist die energiepolitische Zukunft des Landes. Gelegentlich keimen Hoffnungen auf eine nachhaltige Energieversorgung auf, gleichzeitig ist die laufende Debatte von tiefgreifenden Frustrationen geprägt. Die konservative Regierung will den Atomstromanteil bis 2030 auf 20 bis 22 Prozent hochfahren, das ist vergleichbar mit der Situation vor Fukushima. Damals lieferten die nuklearen Meiler etwa ein Drittel des nationalen Energiemix.
Im August 2015 wurden die ersten beiden Reaktoren wieder hochgefahren. Zwei weitere folgten im Januar und Februar, doch diese Woche hat ein Gerichtsurteil verfügt, diese zwei wieder zu stoppen.
Konservative Regierung machte Plan zum Atom-Ausstieg rückgängig
Unmittelbar nach der Katastrophe 2011 startete die damals regierende Demokratische Partei (DPJ) eine landesweite Initiative, um die energiepolitische Stimmung im Land zu erfassen. Im Zentrum stand die Frage, wieviel Atomstrom die Japaner für das Jahr das Jahr 2030 akzeptabel finden: Null, 15 oder 20-25 Prozent. Nach einem Jahr heftiger Debatten entschloss sich die DPJ-Regierung zum langfristigen Ausstieg aus der Kernenergie.
Mit den Wahlen 2012 war diese Entscheidung hinfällig. Die DJP verlor zwei Drittel ihrer Mandate. Shinzo Abe und seine konservative Liberaldemokratische Partei (LDP) übernahmen die Macht. Die neue Regierung kassierte umgehend die Ausstiegspläne ihrer Vorgängerin und kündigte an, den Energieplan für 2030 völlig neu zu überdenken.
In Japan werden solche Entscheidungsprozesse in der Regel von Experten-Kommissionen vorbereitet. Bei der Besetzung der Kommission tauschte die LDP alle atomkritischen Experten, darunter drei Vertreter von Umweltorganisationen, aus. Ohne Beteiligung der Öffentlichkeit kam das Gremium zu einem wenig überraschenden Ergebnis.
Kommission betont Bedeutung der Kernenergie für günstige Stromversorgung
Die Kommission betont die Bedeutung der Kernenergie für eine kostengünstige und stabile Stromversorgung. Im Energiemix für 2030 wird ein Anteil von 22 bis 24 Prozent erneuerbarer Energien angestrebt. Der Plan rechnet mit einem 26-prozentigen Anteil von Kohlestromanteil, 27 Prozent Gas, 3 Prozent Öl, und er räumt der Kernenergie bis zu 22 Prozent am japanischen Energiemix ein. Schon jetzt ist klar, dass ein so hoher Anteil der Nuklearenergie nur mit einer erheblichen Laufzeitverlängerung der alten Anlagen, die ursprünglich auf 40 Jahre angelegt wurden, zu haben ist. Ein mehr als riskantes Spiel.
So sieht Fukushima nach dem Tsunami aus
Shinzo Abes geplante Renaissance der Kernkraft trifft keineswegs die Stimmung in der Bevölkerung. Jüngste Umfrage zeigen, dass 60 bis 70 Prozent gegen ein Wiederanfahren der alten Reaktoren sind. Doch ihre Stimmen wurden nicht gehört. Es gab weder Transparenz noch eine Einbindung der Bürger bei dem Entscheidungsprozess.
Japans Bürger erkennen die bedeutende Rolle erneuerbarer Energien
Trotz der unerfreulichen Entwicklung gab es auch hoffnungsvolle Veränderungen seit Fukushima. Die japanischen Bürger haben die bedeutende Rolle erkannt, die erneuerbare Energien für ihr Land spielen können. Sie sind umso bedeutsamer, weil Japan kaum über eigene fossile Brennstoffe verfügt. Sieht man von großen Staudämmen ab, betrug der Anteil der Erneuerbaren vor 2011 lediglich ein Prozent.
Dann führte die frühere DPJ-Regierung eine Einspeisevergütung für Solarstrom im Juli 2011 ein, und die Zahl der installierten Photovoltaikanlage stieg drastisch. Japan ist insbesondere für die Hersteller von Solaranlagen ein sehr interessanter Markt. Im Gegensatz zu Deutschland werden die Einspeisevergütungen in Japan ab dem Zeitpunkt der Genehmigung des Projektes zugesagt. Durch das attraktive Vergütungsmodell drängten viele Hersteller auf den Markt, und der Anteil der erneuerbaren Energien verdreifachte sich in nur zweieinhalb Jahren. Die Installation von 85 Gigawatt erneuerbarer Energien ist in Planung – das entspräche rund 20 Prozent des japanischen Energieverbrauchs, wenn diese tatsächlich kurzfristig installiert werden würden.
Ein großes Problem für die landesweite Einbindung regenerativer Energien in größerem Maßstab ist das Netz. Es unterteilt sich in zehn Regionen, die jeweils von einem Unternehmen beherrscht werden, welches Produktion Verteilung und Verkauf des Stroms kontrolliert. Diese Struktur ist eine hohe Einstiegshürde für neue Player. Die Monopolisten haben kein Interesse daran, ihr Netz für potenzielle Konkurrenten zu öffnen. Hinzu kommt, dass die marktbeherrschenden Firmen traditionell nur wenig für erneuerbare Energien übrig haben. Sie ziehen Kohle und Kernkraft vor, weil vor allem die Kernkraft vor dem Fukushima Unfall lange als billige Energiequelle galt. Auch Kohle ist noch immer preiswert, solange es kein keinen funktionierenden Emissionshandel im Land gibt.
Japanische Verbraucher können erstmals Stromanbieter frei wählen
Immerhin: nach der Kernschmelze in Fukushima verloren die Stromkonzerne einen Teil ihres politischen Einflusses und die Liberalisierung des Marktes wurde beschlossen.
Dadurch werden die japanischen Verbraucher jetzt erstmals in der Lage sein, ihren Stromanbieter frei zu wählen. Der WWF erwartet, dass umweltbewusste Verbraucher auf grünen Strom umsteigen und die erneuerbaren Energien durch einen zusätzlichen Schub erhalten könnten. Weitere Veränderungen sind in Sicht: 2020 wird den bisherigen Betreibern die Kontrolle über die Netze entzogen. Dadurch dürfte neuen und alternativen Stromanbietern der Zugang zum Netz deutlich leichter fallen.
Aktuell hat die japanische Energiewende jedoch mit erheblichem Widerstand zu kämpfen. Einflussreiche politische und wirtschaftliche Kreise sperren sich gegen den Ausbau der Erneuerbaren. Die Wirtschaftsstrategie von Premier Abe, die auf die Steigerung der Aktienkurse und einen schwachen Yen setzt, kommt bei Geschäftsleuten gut an. Sie argumentieren, erneuerbare Energien würden den Strompreis erhöhen und die japanische Wirtschaft schwächen. Gleichzeitig drängen sie auf hocheffiziente Kohlekraftwerke, schließlich seien diese vergleichsweise billig und weniger klimaschädlich als die Altanlagen.
Einer genauen Überprüfung halten diese Argumente nicht stand. Japan zahlt für den Import von fossilen Brennstoffen schon jetzt jedes Jahr mehr als mehr als 150 Milliarden Euro.
Japan hat sich noch nicht von dem Schock des Jahres 2011 erholt
Durch den Ausbau der regenerativen Energien könnte Japan seine Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen schrittweise verringern. Dafür spricht zudem, dass die Preise für erneuerbare Energien weltweit rasant sinken und sie einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz bieten. Kohle ist hingegen die schlechteste Wahl, um den Klimawandel zu begrenzen.
Die Tragödie von Fukushima hat ohne Zweifel dazu geführt, dass erneuerbare Energien eine wichtige Säule im zukünftigen Energiemix des Landes sein werden. Trotzdem sind Kernreaktoren zurück ans wieder Netz gegangen. Die Energiewende braucht auch in Japan Zeit, die wir eigentlich nicht haben. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir Japaner es nicht akzeptieren werden, neue Kernkraftwerke zu bauen. Auch eine Laufzeitverlängerung der alten Anlagen auf 60 Jahre ist auch vor dem Hintergrund der ungeklärten Entsorgungsfrage des atomaren Mülls inakzeptabel.
Japan hat sich noch immer nicht vom Schock des Jahres 2011 erholt. Umso bitterer, dass die Zivilgesellschaft von den Diskussionen ausgeschlossen wird. Wir müssen unser Energiezukunft selbst in die Hand nehmen. An der Wahl der richtigen Energie entscheidet sich unsere Zukunft und die unserer Kinder.