Tel Aviv. In ihrer Wohnung hat die israelische Tierschützerin Nora Lifschitz 60 Flughunde einquartiert. Auch andere Tiere finden bei ihr Obdach.
Mit seiner kleinen Flughundnase schnuppert Uzi an der orangenen Frucht, öffnet die Schnauze und streckt den Kopf zum Futter. Dann schläft er ein. „Uzi ist sehr alt, manchmal denke ich, er hat Narkolepsie“, sagt Nora Lifschitz. Wie zur Bestätigung blinzelt der Flughund auf ihrer Handfläche und schläft weiter. Uzi ist einer von rund 60 Flughunden, mit denen die 28-jährige Israelin ihre Wohnung in Tel Aviv teilt. Das altersschwache Tier hat Lifschitz von einem Streichelzoo übernommen. „Ich bin strikt gegen töten, da bin ich fanatisch“, sagt sie. Sie habe sogar Flughunde aufgepäppelt, die Ärzte lieber eingeschläfert hätten.
Auffangstation und Gnadenhof – so lässt sich das Projekt der Frau mit den Piercings und den blau gefärbten Haaren beschreiben. Unter einem Sonnensegel liegt ein Schaf mit einem fußballgroßen Tumor am Bauch, in einer Ecke sitzen zwei blinde Meerschweinchen. „Wo die Stachelschweine sind, weiß ich gerade auch nicht“, sagt Lifschitz. Aber eigentlich dreht sich ohnehin alles um Flughunde.
Nora Lifschitz ist Tel Avivs „Batwoman“
Allein in Tel Aviv leben mindestens 100.000 Nilflughunde, schätzt der Zoologe Yossi Yovel, der eine Forschungsgruppe zu den Tieren an der Universität Tel Aviv leitet. „Es könnten aber auch zehnmal so viele sein“, meint er. Laut Stadtverwaltung gibt es keine offiziellen Zahlen.
Bereicherung für die Stadt Tel Aviv
Von allen Fledertieren seien Nilflughunde die bei weitem häufigste Art in Israel, sagt Yovel. Er vermutet, dass die Population in den letzten Jahrzehnten angewachsen ist, weil sich die Art gut auf das Leben in Städten eingestellt hat. „Flughunde sind eine Bereicherung für die Stadt, weil sie überreifes Obst essen und so die Zahl der Fruchtfliegen eindämmen“, sagt eine Sprecherin der Stadtverwaltung.
Flughunde genießen laut der israelischen Naturschutzbehörde INPA den gleichen Schutz wie die verwandten Fledermäuse. Trotzdem sieht Nora Lifschitz große Unterschiede: „Fledermäuse, die Insekten jagen, sind quasi heilig. Aber um Flughunde kümmert sich keiner“ – nur sie selbst und ihre sechs ebenfalls ehrenamtlichen Helfer.
Menschen in ganz Israel, die verletzte Flughunde finden, können per Facebook oder Telefon Kontakt zu Lifschitz aufnehmen. Dann holt ein Helfer das Tier mit dem Auto ab und bringt es in ihre Wohnung. Die Aktivistin lebt in einer ehemaligen Werkstatt, ein Rolltor erinnert noch an den alten Zweck. In dem großen, würfelförmigen Raum stehen ein verschlissenes Sofa, eine Küchenzeile, ein Regal und ein Bett auf einer Empore. Zuerst fällt jedoch der große Käfig ins Auge, in dem tagsüber etwa 60 Flughunde schlafen.
Tierschützerin hat keine Angst vor Tollwut
„Am Anfang werden alle Flughunde zehn Tage isoliert, damit sie keine Krankheiten einschleppen“, sagt Lifschitz. „Da bekommen sie Antibiotika, Nahrung und so weiter – das volle Programm.“ Die Tierschützerin hat keine Veterinärausbildung, „aber nach so vielen Flughunden weiß man schon sehr genau, was zu tun ist“. Angst vor Tollwut hat sie nicht. Auch Yossi Yovel von der Universität Tel Aviv sagt, in Israel sei noch kein tollwütiger Flughund gefunden worden. Bei komplizierten Fällen hilft Lifschitz ein befreundeter Arzt, schließlich seien die Säugetiere nicht grundlegend anders aufgebaut als Menschen.
Der Nachteil der Isolation: Die Flughunde verlieren Muskelmasse und müssen sich anschließend erst wieder ans Fliegen gewöhnen. Um Jungtieren anzutrainieren, wie man auf wackelnden Orten wie Ästen landet, hängen zehn Teddybären von der Decke. Weil die Flugschüler manchmal stürzen, legt Nora Lifschitz mit ihren Helfern jeden Abend den Boden mit Decken und Matratzen aus, bevor sie den Käfig öffnet. Jeden Morgen muss dann nicht nur aufgeräumt, sondern vor allem geputzt werden – trotzdem sind die Wände mit dem Kot der Tiere gesprenkelt. Das normale Tagesgeschäft fordere fünf Stunden ihrer Zeit neben dem Job, sagt Lifschitz. Sie arbeitet als Streetworkerin mit hauptsächlich minderjährigen Prostituierten.
Neue Auffangstation per Crowdfundig finanziert
Gerade hat sie noch mehr zu tun als sonst: Per Crowdfunding hat sie umgerechnet mehr als 15.000 Euro gesammelt, mit denen sie jetzt eine Auffangstation in der Nähe von Jerusalem aufbaut. Dort sollen mehr Flughunde Platz finden, im Haus soll sogar ein Baum wachsen und ihnen Nahrung bieten. „Wir haben für den Umzug dreizehn Autos und ein Notfallauto, das wird eine große Aktion“, sagt sie.
Lifschitz ist immer noch überrascht, dass ihre Liebe zu Tieren mittlerweile zu einem Projekt mit eigener Auffangstation und Hotline wurde. Werbung hat sie nie gemacht, nur eine Facebook-Seite. „Ich bin nicht besonders“, sagt sie. „Ehrlich, wenn ich das kann, dann kann das jeder.“ (dpa)