Moskau. Michail „Gorbi“ Gorbatschow hat die Welt verändert und feiert nun seinen 85. Geburtstag. Wirklich feiern will er aber erst den 100.

Groß feiern will Michail Gorbatschow erst an seinem 100. Geburtstag. „Der 85. an diesem Mittwoch wird eher ruhig – Freunde haben einen Tisch reserviert, mehr plane ich nicht“, sagt der ehemalige Sowjetpräsident mit rauer Stimme und südrussischem Akzent bei einer Buchpräsentation in Moskau. „Die nächste ausgelassene Feier steigt erst in 15 Jahren“, meint er scherzend.

Etwas mühsam stützt sich der Friedensnobelpreisträger auf einen Gehstock. Operationen etwa an der Wirbelsäule haben ihm zu schaffen gemacht. Dennoch verzichtet Gorbatschow nicht auf solche Auftritte. Er will auch 25 Jahre nach seinem erzwungenen Rücktritt 1991 betonen, dass er sich mit seiner historischen Reformpolitik nicht geirrt hat.

„Gorbi“ und die Deutschen: Ein Kapitel für sich

Der Wegbereiter der Deutschen Einheit genießt an diesem Moskauer Wintertag die Aufmerksamkeit, denn viele seiner Landsleute winken sonst bei seinem Namen bloß ab. Sie halten ihn für den Totengräber eines Weltreichs, für einen führungsschwachen Politiker ohne Machtinstinkt. „Ich hätte gerne weitergemacht mit meinen Reformen“, sagt aber Gorbatschow über den Untergang der Sowjetunion Ende 1991.

„Wenn ich nun eine Bilanz ziehen soll, dann sage ich: Das Wichtigste in meiner Politik waren Freiheit und Glasnost“, erzählt der frühere Kremlchef. Ob der Fall der Berliner Mauer oder der Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan: Alles sei letztlich eine Folge gewesen von Freiheit und Glasnost (Offenheit) in der UdSSR.

In seinem neuen Buch „Gorbatschow w schisni“ (Gorbatschow im Leben) legt der geistige Vater von Perestroika (Umgestaltung) und Glasnost (Offenheit) Zeugnis ab über – wie er es sieht – viele politische Triumphe und wenige Niederlagen. Damalige Weggefährten wie der verstorbene Bundespräsident Richard von Weizsäcker und US-Präsident George Bush senior kommen zu Wort.

Kein Foto mit Wladimir Putin

Fotos zeigen „Gorbi“, wie Deutsche ihn oft nennen, mit Gerhard Schröder, Angela Merkel oder Erich Honecker. Allein vier Aufnahmen zeigen ihn mit Helmut Kohl. Es gibt Bilder mit Arnold Schwarzenegger oder dem Dalai Lama – nur ein Foto mit Wladimir Putin gibt es nicht.

Persönliche Kritik an dem amtierenden russischen Präsidenten vermeidet Gorbatschow an diesem Tag erneut. Aber er sagt: „Wir brauchen freie Wahlen.“ Und er prangert eine zunehmende Toleranz in der Bewertung des Sowjetdiktators Josef Stalin an, die Soziologen in der russischen Gesellschaft feststellen. „Erschießungsbefehle tragen seine Unterschrift. Mit Stalinismus muss endlich Schluss sein!“ Doch während Gorbatschow Abstand zu Putin hält, gratulierte ihm der amtierende Präsident. „Es ist wichtig, dass Ihr professionelles Wissen, Ihre Erfahrung und große Kreativität auch heute gefragt sind und der Entwicklung der internationalen humanitären Zusammenarbeit dienen“, schrieb Putin am Mittwoch in einem Telegramm.

Für ein paar Stunden ist an diesem Tag in Moskau alles fast wie früher, als der Mann mit dem markanten Muttermal über der Stirn noch ein riesiges Sowjetimperium führte. Dutzende drängen sich um Gorbatschow. Aber unbequeme Fragen etwa nach der sozialdemokratischen Partei, die er seit Jahren gründen will, bleiben unbeantwortet. Ein Leibwächter begleitet den ehemaligen Präsidenten später zum Aufzug.

In der Heimat mehr verflucht als gefragt?

Einen Teil des Buches widmet Gorbatschow seiner Ehe. Bereits früher hat er so offen wie kein Kremlchef vor und nach ihm die Jahrzehnte mit seiner Frau in einer Biografie beschrieben. Es ist eine Liebe ohne Happy End: Raissa Gorbatschowa stirbt 1999 in einer Klinik in Münster (Westfalen) an Blutkrebs. Fast 50 Jahre waren sie zusammen.

Russische Medien nehmen den neuen 728-Seiten-Wälzer in einer ersten Reaktion kontrovers auf. Bereits früher hatte die Tageszeitung „Kommersant“ ein Gorbatschow-Buch mit den Worten kommentiert: „Das Erinnern war wohl eine Therapie für den ehemals mächtigen Mann, der in seiner Heimat nicht gefragt ist und von vielen verflucht wird.“ (dpa)