Kalamazoo. Ein Mann erschießt in den USA wahllos Menschen. Unglaublich mutet an, dass Jason Dalton nebenbei noch seinem Job als Fahrer nachging.

Es hätte der Tag werden sollen, an dem Amerika auf seinen Präsidentschaftswahlkampf schaut, in dem der erklärte Waffen-Freund Donald Trump bei den Republikanern in Süd-Carolina eine wichtige Feuerprobe bestanden hat. Aber es kam anders. Feuer, echtes Feuer, wurde anderswo abgegeben. In Kalamazoo, auf halber Strecke zwischen Detroit und Chicago im US-Bundesstaat Michigan gelegen, hat ein 45-jähriger Mann an verschiedenen Schauplätzen wahllos sechs Menschen erschossen und mindestens zwei weitere schwer verletzt. Knapp sechs Stunden nach der ersten Bluttat ließ sich Jason Brian Dalton, weiß, nicht vorbestraft, nach Angaben der Polizei widerstandlos festnehmen. Sein Motiv: unbekannt.

Dafür wurde nach der Tat bekannt, dass der Täter als Fahrer für die Online-Fahrvermittlung Uber arbeitete – auch an dem Abend und nachdem er Menschen erschossen hatte. Ein Mann berichtete dem örtlichen Sender Wood.tv, dass er mit Frau und Schwiegereltern lieber einen Mietwagen gerufen hatte, weil er von den Schüssen gehört hatte. Was er nicht ahnte: Sie saßen im Wagen des Mannes, der 20 Minuten später festgenommen wurde.

„Sie sind nicht der Schütze?“

Den Geruch von Schießpulver habe er nicht wahrgenommen, sagte der Mann, und Waffen habe er auch nicht gesehen. Aber sein Schwiegervater habe scherzhaft vom Rücksitz gefragt: „Sie sind nicht der Schütze?“ Nein, sei er nicht, habe der Fahrer knapp geantwortet. Aber etwas müde sei er. „Wir hatten dann eine normale Konversation.“ Bis die Fahrt nach nicht einmal zwei Meilen vorbei war, an einem Hotel, an dem auch zwei Polizeiautos standen. Ganz normal sei ihr Fahrer dann davon gefahren, es war etwa 0.20 Uhr. Und die Familie sah dann im Hotelzimmer die Beschreibung des Wagens, eines dunkelblauen Chevrolet HHR, die so genau passte.

Laut Vize-Sheriff Paul Matyas hatte der Amoklauf gegen 18 Uhr begonnen. Vor einem Appartement-Komplex in Richland Township wurde eine Frau mehrfach angeschossen und dabei lebensgefährlich verletzt. Ihr Zustand ist kritisch. Dalton fuhr in dem Wagen weiter – und beförderte Kunden. Wie aus sozialen Netzwerken hervorgeht, ist der korpulente Mann mit dem gepflegten Kinnbart bei einer Versicherung angestellt, verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Vier Frauen sterben an Restaurant

Rund vier Stunden nach der ersten Tat und 25 Kilometer entfernt schoss der Mann zum zweiten Mal. Diesmal traf es ein Vater-Sohn-Paar, das vor einer Kia-Filiale nach einem Neuwagen Ausschau gehalten hatte. Beide saßen in ihrem Wagen, als Dalton anhielt und auf sie anlegte. Der Sohn war erst 18.

Blumen an dem Restaurant, an dem Jason Dalton vier Menschen erschossen hat.
Blumen an dem Restaurant, an dem Jason Dalton vier Menschen erschossen hat. © REUTERS | MARK KAUZLARICH

Nur 15 Minuten später nahm Dalton auf dem Parkplatz eines Restaurants der Kette „Cracker Barrel“ an der Autobahn I 94 erneut wahllos Fremde ins Visier, die in ihren Autos saßen. Er stieg aus und lieferte sich einen kurze Wortwechsel mit den späteren Opfern. Dann die Schüsse. Vier Frauen im Alter zwischen 60 und 74 Jahren sterben an Ort und Stelle. Eine 14-Jährige, die zunächst für tot erklärte wurde, kämpft auf der Intensivstation um ihr Leben.

Kurz danach wollte der Amokfahrer eine Frau mitnehmen, die die Fahrt aber dann doch stornierte. Auf Facebook is ein Posting aufgetaucht, in dem ein Fahrgast von diesem Abend von einer wilden, völlig verantwortungslosen Fahrt unter Missachtung aller Verkehrsregeln berichtet – mit Jason Dalton als Fahrer. Eine Bestätigung für diesen Fall gibt es nicht.

Uber: Fahrer war überprüft

Ubers Sicherheitschef Joe Sullivan erklärte, das Unternehmen sei geschockt und tief betroffen. Der Fahrer sei überprüft worden. Man werde den Behörden bei den Ermittlungen helfen.

Identifiziert wurde das Tatfahrzeug durch Videoaufnahmen des Auto-Händlers. Ein Großfahndung setzte ein. Und hatte schnell Erfolg. In den frühen Morgenstunden wurde Jason Dalton, der aus der 75.000 Einwohner zählenden Stadt Kalamazoo stammt, in seinem Wagen festgenommen. „Er hat sich nicht gewehrt“, sagt Polizeichef Jeff Hadley, „und war gefasst.“ Im Auto fanden die Beamten laut Medienangaben mehrere Waffen, darunter eine halbautomatische Schnellfeuer-Pistole.

Kein Motiv erkennbar

Und wieder taucht die Frage nach dem Warum auf. „Es sieht ganz nach völlig grundlosen und wahllosen Gewalttaten aus, die aber vorbereitet waren. Wir haben absolut noch kein Motiv“, erklärt Polizeichef Hadley in der Nacht. Die Polizei kontaktierte seine Frau mit der Befürchtung, sie könnte das erste Opfer gewesen sein. Doch die Frau lebt und signalisierte den Behörden ihre Kooperation. Ob Dalton selbst bei seiner ersten Vernehmung gesprächig war, ist nicht bekannt. Am Montag soll er dem Haftrichter vorgeführt werden.

Hadleys Kollege Paul Matyas sagte vor laufender Fernsehkamera. „Ich bin 40 Jahre in diesem Job. Ich habe eine Reihe von grausamen Dingen gesehen. Aber das hier ist wirklich hässlich. Ein Typ, der wahllos unschuldige Menschen erschießt. Das ist es, was diese Tat so hässlich macht.“ Und dazu noch ein Täter, der seiner Arbeit nachgeht, als sei nichts passiert.

In Washington hielt sich die Politik am Sonntag mit Stellungnahmen lange zurück. Präsident Obama hatte bereits nach den vorherigen Bluttaten in Oregon, wo im Oktober an einem College 13 Menschen starben, und San Bernardino/Kalifornien, wo im Dezember 14 Menschen den Tod fanden, beklagt, dass Amerika allmählich „abstumpft“, wenn es um die immer wiederkehrenden Gewaltausbrüche mit leicht verfügbaren Waffen geht.

So viele Einwohner wie Waffen in Privatbesitz

Sein Appell: „Ich bitte das amerikanische Volk, darüber nachzudenken, wie sie unsere Regierung dazu bringen kann, diese Gesetze zu ändern und Leben zu retten und junge Menschen auswachsen zu lassen, und das wird eine Änderung der Politik bei diesem Thema erfordern.“

In den USA gibt es nach offiziellen Schätzungen bei knapp 320 Millionen Einwohnern ebenso viele Waffen in Privathaushalten. Alle Bemühungen, im Kongress die in der Verfassung gesondert geschützten Rechte der Amerikaner auf Waffenbesitz einzuschränken, insbesondere die psychische Tauglichkeit von Waffenkäufern vorher genau zu untersuchen, sind bisher am Widerstand der Republikaner und der mächtigen Waffen-Lobby „National Rifle Association“ (NRA) gescheitert. Selbst nach dem Amoklauf an einer Grundschule in Newtown in Connecticut, bei dem Ende 2012 20 Kinder und sechs Erwachsene getötet wurden, kam keine Reform zustande.