Bad Aibling. Ein Bahnmitarbeiter hat wohl mit einer Fehlentscheidung das Zugunglück ausgelöst. Mutwillen hinter der Tat sehen die Ermittler nicht.

Ganz am Ende der Pressekonferenz, nachdem Oberstaatsanwalt Wolfgang Giese aus Traunstein mit Kollegen ganz nüchtern die neuesten Ergebnisse zum Zugunglück im oberbayerischen Bad Aibling von vergangener Woche verkündet hat, macht er noch einmal eine Pause und spricht das an, was viele denken: „Die Bilder im Kopf sind schwer zu verkraften.“ Er meint das Ereignis, das vor einer Woche am Faschingsdienstag auf der eingleisigen Strecke passierte und in den vergangenen Tagen von Experten häufig so beschrieben wurde: Zwei Regionalzüge stießen ungebremst aufeinander, ein Zug bohrte sich förmlich in den anderen hinein, elf Menschen kamen ums Leben, über 80 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.

Doch diese Bilder im Kopf werden noch um ein Vielfaches größer und schwerer zu verarbeiten sein für denjenigen, der – so sieht es nach bisherigem Kenntnisstand der Ermittler aus – das Unglück verursacht hat. Ein 39 Jahre alter Fahrdienstleiter, so stellt es Giese klar, soll an jenem Dienstagmorgen im Stellwerk einen gravierenden Fehler begangen und ein falsches Signal ausgelöst haben. „Hätte er sich regelgerecht – also pflichtgemäß – verhalten, wäre es nicht zum Zusammenstoß der Züge gekommen“, sagte Giese. Doch er stellte auch gleich klar, dass, anders als im Fall von Andreas L. und dem Germanwings-Absturz, kein Mutwille hinter der Tat steht. „Es geht in unserem Ermittlungsverfahren um menschliches Versagen mit katastrophalen Folgen, aber nicht um vorsätzliche Herbeiführung des Zugunglücks.“ Es gebe keine Anhaltspunkte für ein technisches Versagen der Züge oder der Signal- und Bremsanlagen.

Zuvor hatte der Fahrdienstleiter am Montag sein Schweigen gebrochen und eine umfangreiche Aussage gemacht, sagte der Staatsanwalt weiter. Seine Angaben „von der Freigabe des Zugverkehrs bis zu den Versuchen, die bereits abzusehende Katastrophe zu verhindern“, müssten nun anhand der sichergestellten Daten und der Ermittlungsergebnisse überprüft werden. Das Vernehmungsgespräch habe mehrere Stunden gedauert. Inzwischen sei der Mann an einem Ort, der der Staatsanwaltschaft bekannt ist. „Aber ein Grund für eine Inhaftierung besteht nicht“, heißt es. „Es geht ihm nicht gut.“ Die Höchststrafe bei fahrlässiger Tötung beträgt fünf Jahre. Entscheiden muss das zuständige Gericht.

Grüne fordern bessere Standards bei der Ausbildung

Seine Arbeit wie die von 13.000 anderen Fahrdienstleitern in Deutschland besteht darin, per Hebel, Tasten oder Mausklick die verschiedenen Gleise und Gleissysteme zu kontrollieren. Ein Stellwerker wird dabei von Sicherheitsprogrammen zusätzlich unterstützt, die Fehler verhindern sollen. In Bad Aibling ging es um ein Relaisstellwerk, in dem mehrere Sicherungen dafür sorgen, dass es auf der eingleisigen Stelle nicht zu Zusammenstößen kommt. Nur ein Stellwerker kann diese Signale auch manuell einstellen.

Offenbar war an diesem Morgen genau das passiert: Einer der Züge, der von Holzkirchen Richtung Rosenheim fuhr, hatte drei bis vier Minuten Verspätung. Statt eines roten Lichts sah der Zugführer ein rotes Licht mit drei weißen Punkten darunter. Das bedeutete: Er darf durchfahren. Als der Fahrdienstleiter den Fehler bemerkte, versuchte er zwei Notrufe. „Doch die gingen ins Leere“, sagte Giese.

Der Mann soll ein erfahrener Mitarbeiter gewesen sein, er hatte im Jahr 1997 seine Ausbildung beendet. Er sei verheiratet, und es gebe keinerlei Anzeichen für eine psychische Erkrankung, so der Polizeipräsident Robert Kopp. Der Mann hatte seinen Dienst am Morgen um fünf Uhr begonnen und war zum Unfallzeitpunkt vollkommen nüchtern, der Alkoholtest zeigte 0,0 Promille an. Auch Drogen habe er nicht genommen. „Was wir momentan haben, ist ein furchtbares Einzelversagen“, sagt Staatsanwalt Jürgen Branz.

Simulationsfahrt soll Ablauf nachstellen

Der grüne Verkehrsexperte Matthias Gastel kritisiert eine mangelnde Qualifizierung der Fahrdienstleiter durch die Deutsche Bahn. „Es fehlen einheitliche Qualifizierungsstandards“, sagte Gastel dieser Zeitung. Fahrdienstleiter würden beispielsweise in nur fünf Monaten ausgebildet und müssten dann sensible Entscheidungen verantworten. Gastel forderte zudem eine „schnellere Aufklärung von Eisenbahnunfällen“. „Die Aufklärung von gefährlichen Ereignissen im Schienenverkehr durch die Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes dauert derzeit bis zu sieben Jahren.“

Am Unglücksort geht derzeit die Wiederherstellung des beschädigten Gleises weiter. Noch steht ein Waggon eines der Unglückszüge neben dem Gleis. Er kann frühestens am Mittwoch abtransportiert werden. Danach wird die Oberleitung wieder montiert, die für die Bergungsarbeiten abgebaut worden war. Auf mindestens 120 Metern werden deformierte Schienen erneuert und das Gleisbett ausgebessert. Am Samstag soll eine Simulationsfahrt den verhängnisvollen Ablauf nachstellen. Womöglich wird am kommenden Montag der Fahrbetrieb wieder aufgenommen. Die blauen Meridian-Züge werden dann die Unglücksstelle am östlichen Ortsausgang von Bad Aibling passieren.