Ermittler sehen „furchtbares Einzelversagen“ in Bad Aibling
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Bad Aibling. Elf Menschen starben beim Zugunglück von Bad Aibling, rund 80 wurden verletzt. Jetzt ist klarer, wie es zur Kollision kommen konnte.
Eine Woche nach dem Zugunglück von Bad Aibling steht die Ursache nach Ansicht der Ermittler fest: Es war menschliches Versagen, „der Fahrdienstleiter hat sich nicht pflichtgemäß verhalten“. Das erklärte der Leitende Oberstaatsanwalt Wolfgang Giese am Dienstag bei einer Pressekonferenz. Es gehe um menschliches Versagen mit katastrophalen Folgen, aber nicht um vorsätzliches Herbeiführen des Unglücks. Der Fahrdienstleiter (39) war am Sonntag mit seinem Anwalt zu einer mehrstündigen Vernehmung erschienen. Gegen ihn wird unter anderem wegen fahrlässiger Tötung ermittelt.
Der Fahrdienstleiter hat nach Angaben des Rosenheimer Polizeipräsidenten Robert Kopp mehrjährige Berufserfahrung, 1997 hatte er seine Ausbildung beendet. Die Darstellung zum Hergang am Morgen des 9. Februar sei „in sich plausibel gewesen“, hieß es von den Ermittlern. Er habe offenbar ein Sondersignal gegeben, das nicht habe gegeben werden dürfen. Eisenbahn-Fachleute gehen davon aus, dass damit eigentlich ein Ersatzsignal gemeint ist. So kann ein extra geschaltetes Ersatzsignal Zs 1 einem Lokführer freie Fahrt signalisieren, auch wenn von der Strecke aufgrund eines Defektes etwas anderes gemeldet wird. Dazu nahmen die Ermittler aber keine Stellung.
Der Fahrdienstleiter habe seinen Fehler bemerkt und danach noch zwei Notrufe abgesetzt. Die seien aber ins Leere gegangen, so der mit dem Fall betraute Oberstaatsanwalt Jürgen Branz.
Bis zu fünf Jahre Haft drohen
Der verheiratete Mann ist auf freiem Fuß, der Strafrahmen liege bei bis zu fünf Jahren. Deshalb gebe es keinen Grund, ihn in Untersuchungshaft zu nehmen, hieß bei der Pressekonferenz am Dienstag. Von seinen Verteidigern sei der Mann an einen sicheren Ort gebracht worden. „Ihm geht’s nicht gut“, sagte Oberstaatsanwalt Jürgen Branz. Unter Einfluss von Alkohol oder Drogen habe er zum Zeitpunkt des Unglücks nicht gestanden.
Bereits zuvor hatte es Spekulationen über menschliches Versagen gegeben. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hatte erklärt, dass es keine Hinweise auf eine technische Ursache des Unglücks gibt.
In Bildern: Das Zugunglück von Bad Aibling
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Am 9. Februar waren morgens um 6.40 Uhr auf eingleisiger Strecke zwischen Holzkirchen und Rosenheim zwei Nahverkehrszüge frontal zusammengestoßen. Bei einem der schwersten Zugunglücke in Deutschland starben elf Menschen, mehr als 80 Insassen wurden verletzt. Nach wie vor seien einige im kritischen Zustand, sagte der Sprecher der Polizei. Mit Rücksicht auf das Befinden der Überlebenden hätten die Beamten viele Zeugen noch nicht vernommen. „Es geht ja nicht nur um die körperliche, sondern auch um die psychische Belastung.“ Bei der Kollision waren die Züge mit etwa Tempo 100 aufeinander geprallt.
Testfahrt soll Unglück nachstellen
Zwei Fahrtenschreiber aus den Unglückszügen sind ausgewertet. Die dritte Blackbox war erst am Freitag beim Aufräumen aufgetaucht. Weil sie beschädigt ist, gilt die Auswertung als schwierig. Eine Schwierigkeit sei auch, dass die Zeitangaben in den Aufzeichnungen der Züge, im Funk und im Stellwerk wegen jeweils eigener Uhren zusammengebracht werden müssten.
Die Strecke ist seit dem Unglück gesperrt. Für Mittwoch ist der Abtransport eines Waggons geplant, der immer noch neben dem Gleis steht. Erst danach wird die Oberleitung wieder montiert, die für die Bergungsarbeiten abgebaut worden war. Frühestens am Donnerstag soll es Kontrollfahrten geben, um zu überprüfen, ob die von den Fahrtenschreibern aufgezeichneten Daten „validierbar“ sind. Laut einem Sprecher sollen zwei Züge ähnlich wie bei dem Crash – aber mit deutlich geringerer Geschwindigkeit – aufeinander zufahren. Damit werde kontrolliert, ob die automatischen Bremssysteme funktionieren. Auch muss die Bahn testen, ob die Strecke wieder nutzbar ist.
Am Dienstag gedachte das bayerische Kabinett mit einer Schweigeminute der Opfer des schweren Zugunglücks. (law/dpa)