Washington. Nach dem Tod eines Richters fürchten die Republikaner, dass liberale Juristen die Oberhand im Obersten Gerichtshof bekommen könnten.

Der plötzliche Tod eines ebenso gefürchteten wie umjubelten Top-Richters wirbelt den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf auf. Wenige Stunden nach dem Ableben des erzkonservativen Antonin Scalia, der über Jahre im neunköpfigen Obersten Gericht in Washington Garant für gesellschaftlich wegweisende 5:4-Entscheidungen zugunsten der politischen Rechten war, ist ein massiver Streit um die Nachfolge entbrannt.

Für die Republikaner forderte Senator Mitch McConnell kategorisch, dass Präsident Obama vor der Wahl im November und der Amtseinführung des neuen Präsidenten im Januar 2017 keinen Nachfolger bestellt. Hintergrund: Die „Grand Old Party“ fürchtet die Nominierung eines liberalen Juristen. Er könnte gemeinsam mit den amtierenden vier moderaten Richterinnen und Richtern auf Jahre die Machtbalance verschieben und nachhaltig Einfuss auf die Entwicklung des Landes nehmen.

Die Demokraten hingegen drängen Obama, die vakante Stelle zügig zu besetzen. Es stünden zu viele wichtige Entscheidungen an, sagte Senator Harry Reid. Eine lähmende 4:4-Pattsituation am wichtigsten Gericht der USA könne man sich nicht erlauben. Das Weiße Haus teilte gestern mit, dass Obama von seinem Besetzungsrecht Gebrauch machen wird. Zeitpunkt und Namen wurden nicht genannt. Was die Personalie laut US-Medien zu einem „dominierenden“ Wahlkampfthema macht.

Es geht um elementare Machtfragen: Richter am Supreme Court werden auf Lebenszeit gewählt. Sie sind das mächtige Korrektiv der US-Politik. Ihre Urteile – Aufhebung der Rassentrennung, Legalisierung der Abtreibung – haben die Gesellschaft oft mehr verändert als die meisten Präsidenten. Andererseits kann jeder Präsident seinen Gestaltungsspielraum und den seiner Partei nachhaltig erweitern, wenn er nach Amtsverzicht oder Tod eines Richters einen Spitzenjuristen seiner Wahl aufstellt und die dafür nötige Unterstützung im Kongress (60 Stimmen) findet.

Scalia starb am Samstag im Alter von 79 Jahren während eines Jagdaufenthalts in Texas im Schlaf an Herzversagen. Sein Tod überschattete gestern die TV-Debatte der Republikaner. Alle Präsidentschaftskandidaten hatten zuletzt betont, dass unter ihrer Führung nur erwiesen konservative Juristen für den Supreme Court infrage kommen, die dafür sorgen, dass Obamas Gesundheitsreform und die kürzlich landesweit legalisierte Homo-Ehe gekippt werden. Obamas Recht zur Nachbesetzung könnte diese Pläne durchkreuzen.

Hillary Clinton und Bernie Sanders bei den Demokraten erwarten, dass neue Richter den unter Obama erreichten Besitzstand sichern und das Gesetz revidieren, das den unbegrenzten Spendenfluss von Superreichen in Wahlkämpfe ermöglicht („Citizens United“).

Konservative himmelten Scaliaan wie Gläubige den Papst

Antonin Scalia, Sohn sizilianischer Einwanderer, war 1986 von Präsident Ronald Reagan ernannt worden. Der dienstälteste Richter am Supreme Court galt als brillanter, ungemein belesener Kopf mit beißendem Humor, der sich als Hüter der Verfassung verstand; und zwar wortgetreu, so wie sie Ende des 18. Jahrhunderts formuliert worden war. Der neunfache Vater und 28-fache Großvater machte aus seinen erzkonservativen Ansichten, die sich auch aus seinem katholischen Glauben speisten, kein Geheimnis. Dass er in Fragen wie Guantanamo, Todesstrafe, Waffengesetze und Ehe mit Vorliebe linke Positionen zerrupfte, brachte ihm den Ruf eines „maliziösen Ideologen“ ein. Im konservativen Lager wurde er dagegen angehimmelt „wie der Papst“.