Berlin. Der Tod von Benoît Violier wirft Licht auf eine Branche, die jeden Starkoch vor unlösbare Aufgaben stellt. Zwei Spitzenköche erzählen.

Die Nachricht vom plötzlichen Tod des französischen Sternekochs Benoît Violier hat die Welt der Spitzenköche schwer erschüttert. Mit 44 Jahren hatte sich der Starkoch, der vom Restaurantführer „Gault Millau“ 2013 zum „besten Koch“ gekürt wurde, wohl das Leben genommen. In den Blick gerät wieder einmal die Spitzengastronomie, die als extrem harte und stressbeladene Branche gilt.

Fernsehkoch Tim Mälzer (45) sagt: „Ich kenne die Hintergründe des tragischen Todes von Benoît Violier nicht und möchte mich auch an keinen Spekulationen beteiligen, ob der Tod mit seiner Arbeit als Sternekoch zu tun hat. Aber was die Kollegen da tun, hat meinen absoluten Respekt.“

„Die Zeiten der Komplettausbeutung sind vorbei“

Der Öffentlichkeit sei nur wenig von den wirklichen Arbeitsbedingungen bekannt. „Ich bin kein Sternekoch“, sagt Mälzer, doch er weiß, dass „diese Köche unter einem Höllendruck stehen. Was dort geleistet wird, ist purer Hochleistungssport. Und zwar Tag für Tag“. Auch wenn „die Zeiten der Komplettausbeutung“ bei den meisten vorbei seien, herrschten vielfach noch „brutale Arbeitszeiten“.

Zudem sei der Zeitdruck extrem. „Zwischen 19 und 22 Uhr herrscht in der Gastronomie purer Stress. Da gibt jeder Vollgas.“ Hinzu kommen die Erwartungen der Gäste, die um 20 Uhr Platz nehmen und um 20.30 das Essen serviert haben wollen. Genau nach ihren Vorstellungen. In Sekunden müsse der Koch diese besonderen Wünsche aufnehmen. „Die Gäste sind ja alle Individuen, alle mit eigenen Vorstellungen. Da kommen am Abend über 100 persönliche Erwartungen auf.“

Spitzenköche sind Handwerker und Künstler

Nicht immer werden die Erwartungen erfüllt. Wenn der Gast sich beschwert, habe er zu 90 Prozent recht, so Mälzer, der ab Sonntag in „Kitchen Impossible“ (Vox, 20.15 Uhr) zu sehen ist, „Aber die Form irritiert einen oft sehr.“ Selbst wenn Fehler passiert seien, könnte man doch einen verbindlichen Ton anschlagen. „Das ist doch auch das Schöne, dass wir Menschen sind, deshalb gibt es ja auch diese großen Kreationen, aber Menschen machen eben auch Fehler.“

Jede Kritik ist auch eine Art Verletzung. Ein Spitzenkoch sei eben nicht nur Handwerker, sondern auch Künstler.

Auch für Sandra Warden, Geschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, ist der Spitzenkoch mehr als nur jemand, der gutes Essen auf den Tisch bringt. „Ein kreativer Koch lebt für seinen Beruf.“ Das sei auch das Problem. Denn es könne passieren, dass „er die eigenen Grenzen nicht erkennt“. Der Spitzenkoch gebe eben sehr viel persönliche Energie in den Beruf. Wer nicht stressresistent sei, könne sich in diesem Bereich nicht bewegen. Flexible Arbeitszeiten bedeuten Zwölf-Stunden-Tage oder mehr. Oft ohne Pausen.

Pro Abend werden 400 bis 500 Teller bewegt

Wozu die Belastung führen kann, zeigt der Fall des dänischen Spitzenkochs Martin Sten Bentzen, der mit 32 Jahren an einem Herzinfarkt starb. Laut seiner Schwester war es der Stress, der ihn umgebracht habe.

Fernsehkoch Christian Rach hatte vor einigen Jahren sein Restaurant „Tafelhaus“ in Hamburg geschlossen. Er sei zwar gesund, sagte er, aber er wollte auch gesund bleiben und „nicht mehr 80 Stunden die Woche arbeiten“.

Auch Kolja Kleeberg, Sternekoch aus Berlin, lebt für seinen Beruf. „Das Kochen ist mein erster und letzter Gedanke am Tag.“ Dazwischen wird gearbeitet. Unter Volldampf. „Es ist wie zwei Mal Formel 1 am Tag“, sagt Kleeberg. „Mittags und abends.“ Am Abend zwischen 19 und 22.30 Uhr würden „locker 400 bis 500 Teller bewegt“. Das sei extrem stressig. „Man muss ja nicht nur kochen, sondern den ganzen Abend alles kontrollieren.“ Hinzu komme der Druck, als Sternekoch überprüft zu werden. Und die Tester kämen unangemeldet.

Trotz hoher Preise für das Menü zahlt sich der Stress finanziell nicht aus. Sandra Warden: „In der Sterneküche ist es schwer, Geld zu verdienen. Die Kosten für die Waren betragen bis zu 50 Prozent der Einnahmen, da ist es sehr schwierig, Ertrag zu erwirtschaften.“

Kolja Kleeberg: „Selbst wenn man 120 bis 160 Euro pro Menü nimmt, ist das im Vergleich zu dem Verdienst eines Mechanikers, der die Waschmaschine repariert, noch zu wenig.“