Berlin. Ein Blick, eine Hand, die über den Schenkel gleitet: Sexismus im Alltag ist häufig subtil. Ein Portal sammelt Erlebnisse von Frauen.

„Aus dem Augenwinkel bemerke ich, wie er seinen Kopf zu mir dreht und mich anstarrt und nervös wieder wegblickt“, schreibt die Nutzerin. Die Frau erzählt, wie die Hand des Fremden in der U-Bahn langsam „aus Versehen“ über ihren Oberschenkel gleitet. „Das Gefühl in mir wurde unerträglich!“ Sie nimmt ihren Mut zusammen, ruft „Verschwinde!“, der Mann blickt sich um und sucht das Weite. Doch das Erlebnis der jungen Frau brennt sich tief in ihre Erinnerung.

Das Projekt „HollaBack!“ (frei übersetzt: „Brüllt zurück!“) sammelt Geschichten von Frauen, die sich in der Öffentlichkeit sexuell belästigt gefühlt haben. Das sind häufig keine tätlichen Handlungen, kein Grapschen und an den Po-Fassen, wie jüngst in der Silvesternacht geschehen. Sondern es sind feine alltägliche Beobachtungen, leise Anekdoten: Zweideutige Gespräche mit Fremden in der U-Bahn, Blicke, die Frauen unter Druck setzen.

Geschichten gegen das Schweigen

Aus einem im Jahr 2005 in New York gestarteten Fotoblog mit dem Namen „HollaBack!“ entwickelte sich eine Bewegung, die inzwischen in mehr als zwei Dutzend Ländern Ableger hat. Vertreten ist „HollaBack!“ in allen europäischen Ländern, Nord- und Mittelamerika, sowie zum Beispiel auch in Südafrika, Chile und Argentinien.

Die Seite richtet sich gegen Street Harassment (Sexuelle Belästigung auf der Straße). Ursprünglich wollten sieben New Yorker ihrem Frust über Alltags-Sexismus in der Öffentlichkeit Ausdruck verleihen. Ihr Ziel: Durch das Sammeln von Geschichten das Schweigen über sexualisierte Gewalt aufbrechen. Mittlerweile haben sich auf den verschiedenen Seiten der Bewegung Tausende Erzählungen angesammelt.

Der deutsche Ableger der Website „HollaBack!“
Der deutsche Ableger der Website „HollaBack!“ © ZRB

Einige Frauen erzählen auch aus der Silvesternacht. zum Beispiel diese von einem unbekannten Ort in Deutschland: „Silvester – es war ein netter Abend, ich verabschiedete meine Freundin am S-Bahnhof und trat meinen Weg zu Fuß an“, schreibt eine junge Frau. Sie kommt mit einem Mann ins Gespräch, sie sprechen erst nett, dann versucht er sie zu küssen. „Er besteht darauf, mich zu begleiten.“ Dann wird es „ekelhaft obszön, du stehst bestimmt auf Lecken und solches Zeug“. Sie kann sich gerade noch ins Haus retten, verriegelt die Tür hinter sich. Ihre Lehre: „Ich werde mich nicht mehr nachts mit irgendwem unterhalten“.

Orte der Belästigung kann man markieren

Seit den Übergriffen in Köln wird die Debatte über sexuelle Belästigungen in Deutschland so hitzig wie selten geführt. Eine aktuelle Studie der Europäischen Union hat 42.000 Frauen über ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt befragt. Demnach haben im Schnitt 55 Prozent aller befragten Frauen ab dem Alter von 15 Jahren bereits Erfahrungen mit irgendeiner Form der sexuellen Belästigung gemacht. In Deutschland liegt der Anteil noch etwas höher: bei 60 Prozent.

Auf der deutschen Seite von „HollaBack!“ können die Nutzer den Ort der Belästigung auf einer Karte markieren. Der Blick auf Deutschland zeigt, dass sich die Belästigungen in den Ballungsgebieten konzentrieren. Das soll den Nutzerinnen auch einen Überblick verschaffen, an welchen Orten es besonders häufig zu Übergriffen kommt.

Die Seite sammelt auch Handlungsanweisungen, wie auf Belästigungen reagiert werden kann: Eine starke Körpersprache, Selbstsicherheit. Denn bei sexuellen Belästigungen, so schreiben die Initiatorinnen, geht es zuallererst um Macht. Und die Website will erreichen, dass die Betroffenen nicht mehr alleine dastehen: „Ich weiß wie ihr euch fühlt“, schreibt eine Nutzerin. Es ist widerlich belästigt zu werden, ich kenne es.“