Hollywood

Kritik farbiger Stars ist so alt wie der „Oscar“ selbst

| Lesedauer: 7 Minuten
Dirk Hautkapp
Die „Academy of Motion Picture Arts an Sciences“, die jährlich den Oscar vergibt, sieht sich regelmäßig dem Vorwurf ausgesetzt, schwarzer Schauspielkunst die Anerkennung zu verweigern.

Die „Academy of Motion Picture Arts an Sciences“, die jährlich den Oscar vergibt, sieht sich regelmäßig dem Vorwurf ausgesetzt, schwarzer Schauspielkunst die Anerkennung zu verweigern.

Foto: TANNEN MAURY / dpa

Der afro-amerikanische Protest gegen die Farbenblindheit der „Oscars“ hat viel mit der aufgeladenen gesellschaftlichen Kulisse zu tun.

Washington.  Streitigkeiten um die Farbenblindheit der einflussreichsten Organisation im internationalen Filmbusiness sind so alt wie der „Oscar“ selbst. Seit 1939 Hattie McDaniel für ihre Nebenrolle als herzige Haushälterin Mammy im Südstaaten-Epos „Vom Winde verweht“ als erste Afro-Amerikanerin überhaupt den Oscar gewann, sieht sich die „Academy of Motion Picture Arts and Sciences“ (Ampas) dem Vorwurf ausgesetzt, schwarzer Schauspielkunst in unschöner Regelmäßigkeit die Anerkennung zu verweigern.

Dass die Leinwandpräsenz schwarzer Darstellerinnen und Darsteller unter dem Strich in keinem Verhältnis zu der mickrigen Zahl von Nominierungen und der geringen Zahl von Preisen steht, ist keine Erfindung. Seit der ersten Oscar-Verleihung 1929 wurden laut Hollywood-Buchführern insgesamt rund 500 Männer und Frauen für die Kategorie des besten Schauspielers und der besten Schauspielerin nominiert. Darunter keine 30 Afro-Amerikaner. Schon 1988 nutzte Comedy-Superstar Eddie Murphy die Oscar-Bühne, um vor laufender Kamera gegen „Diskriminierung und Marginalisierung“ seiner Brüder und Schwestern zu Felde zu ziehen.

Große Oscar-Enttäuschung für schwarze Schauspieler

Damals war eine der größten Enttäuschungen in der (schwarzen) Geschichte der Oscar-Verleihung gerade erst notdürftig verheilt: die elffache Nominierung des Favoriten „Die Farbe Lila“ im Jahr 1985. Nominierungen gab es unter anderem als „bester Film“, für die „beste Hauptdarstellerin“ Whoopi Goldberg, für die Nebendarstellerinnen Margaret Avery und Oprah Winfrey sowie für das Drehbuch. Am Ende landeten alle goldenen Statuetten im tränennassen Territorium des weißen Melodrams „Jenseits von Afrika“ mit Meryl Streep und Robert Redford. Und der bis heute mehrheitlich aus älteren, weißen Männern bestehenden 6000-köpfigen Jury wurde Rassismus pur vorgehalten.

Die Lehren daraus waren zwiespältig. Sporadische Fortschritte und brutale Rückfälle wechselten einander ab. 2002 gewannen die Afro-Amerikaner Halle Berry und Denzel Washington die Auszeichnungen für die weiblichen und männlichen Hauptrollen. Dazu wurde Sidney Poitier für sein Lebenswerk geehrt. Ja, so schwarz wie die 74. war noch keine Oscar-Nacht.

Aber welchen Wert hat das, wenn 2015 und 2016 das komplette Kontrastprogramm läuft und alle Nominierten in den wichtigen Darsteller-Kategorien Weiße sind? Obwohl mit Idris Elba in dem afrikanischen Kindersoldaten-Drama „Beasts of No Nation“, mit Michael B. Jordan im Boxer-Epos „Creed“, mit Samuel L. Jackson in Tarantinos Winter-Western „The Hateful Eight“, mit Will Smith im Football-Gehirnschaden-Drama „Concussion“ oder mit den jungen Akteuren im Hip-Hop-Biopic „Straight Outta Compton“ nach Kritiker-Sicht diverse nominierungswürdige Leistungen zu beobachten waren.

Kritik an Oscar-Academy gewinnt neue Schärfe

Dass die Wortgefechte rund um den wichtigsten Filmpreis der Welt in diesem Jahr eine neue Schärfe angenommen haben, dass schwarze Superstars wie Regie-Legende Spike Lee verbittert mit Boykott der großen Oscar-Zeremonie am 28. Februar drohen, dass die Academy im Gegenzug krampfhaft bemüht ist, sich bis zum Jahr 2020 zu erneuern und mehr Verschiedenheit, mehr Frauen und mehr Jugend in die homogene Juroren-Mitgliedschaft zu holen, verwundert trotzdem. Denn schon vor Jahren sagte der erste schwarze Oscar-Preisträger für die beste männliche Hauptrolle, Sidney Poitier („Lilien auf dem Felde“), dass sich in Hollywood „zwar viel geändert hat. Aber vieles ist auch beim Alten geblieben, und das ist unglaublich entmutigend.“

Was gemeint war, brachte der schwarze Bürgerrechtler Reverend Al Sharpton so auf den Punkt: „Die Filmindustrie ist wie die Rocky Mountains. Je höher du kommst, desto weißer wird es.“ Keine noch so ausgewogene Jury-Zusammensetzung kann daran etwas ändern.

Darnell Hunt, Professor an der University of California in Los Angeles (UCLA), hat das Phänomen, um das es geht, untersucht: mangelhafte Vielfalt in der Film- und Fernsehindustrie. Sprich: Es gibt in Hollywood kaum schwarze Studiobosse, die schwarze Regisseure mit zeitgenössischen schwarzen Stoffen versorgen, die von schwarzen Schauspielerinnen und Schauspielern abseits ausgetretener Rollen-Pfade (Bösewichte, Hausangestellte, Sportler oder Entertainer) zum Leben erweckt werden könnten, um ihr Publikum zu finden.

Teufelskreis der Filmwelt Hollywoods

Hunts Schlussfolgerung: Oscar-Nominierungen sind darum zwangsläufig „mehr oder weniger eine akkurate Reflexion der Art und Weise, wie die Industrie strukturiert und die Akademie personell besetzt ist“. Wie in einem „Teufelskreis“ würde in den von Weißen dominierten Studios „wieder und wieder die gleiche Art von Stoff produziert“.

Ausreißer bestätigen die Regel. 2015 wurde das mitreißende Bürgerrechtsdrama „Selma“ über den schwarzen Freiheitskämpfer Martin Luther King mit einem Trost-Oscar für den besten Original-Song abgespeist. Dagegen schrieb 2014 Steve McQueen Oscar-Geschichte: Das brutale und zugleich zutiefst berührende Sklavendrama „12 Years a Slave“ machte den jungen Briten zum ersten schwarzen Regisseur, dessen Werk mit dem Oscar als bester Film ausgezeichnet wurde.

Stars fordern Chancengleichheit für Schwarze und Weiße

Dass es kein Abonnement auf schwarze Oscar-Preisträger gibt, ist denen, die jetzt von Will Smith bis Don Cheadle empört den Mund aufmachen, sonnenklar. Aber Chancengleichheit beim Start, sprich: die Möglichkeit mit seiner Arbeit auf Augenhöhe überhaupt wahrgenommen und nominiert zu werden, sollte sein, muss sein – finden nicht nur die Superstars.

Dass sie es im Ton unversöhnlicher, schroffer, ja zynischer tun als in den Jahren zuvor, hat mit der gesellschaftlichen Gesamt-Kulisse zu tun. Viele Afro-Amerikaner haben sieben Jahre nach Amtsantritt des ersten schwarzen Präsidenten den Glauben an das Gleichheitsversprechen in der amerikanischen Verfassung vollständig verloren. Und dann kommt vieles zusammen. Die vielen ungesühnten und unaufgeklärten Todesfälle, verursacht durch schnell schießende Polizisten. Die von überproportional vielen Afro-Amerikanern überquellenden Gefängnisse. Die sich vorwiegend aus den Ressentiments weißer, alter, ungebildeter Männer politisch ernährende Republikanische Partei mit ihren auf Hass und Ausgrenzung setzenden Präsidentschaftskandidaten Trump und Cruz. Der Versuch konservativ regierter Bundesstaaten, 50 Jahre nach Abschaffung der Rassengesetze in der Ära Martin Luther King Schwarzen den Gang zur Wahlurne mit schikanösen Gesetzen zu erschweren. Die erstaunliche Duldsamkeit, die der Sicherheitsapparat an den Tag legt, wenn in Oregon eine wild gewordene Horde weißer Cowboys staatliches Land besetzt und seit Wochen ungesühnt das Recht bricht. Das und vieles andere hält eine breite Bewegung am Leben, die ein griffiger Slogan eint: „Black Lives Matter“ – schwarzes Leben spielt eine Rolle!

Dass auch in Hollywood unmissverständlich zu bekräftigen, liegt darum auf der Hand.