Diepholz. Nach einem Überfall bei Bremen sind Ermittler drei RAF-Mitgliedern auf der Spur. Nun kommt heraus: Sie schlugen wohl auch anderswo zu.

„Wir sind in einer Sackgasse“. Das ist der Satz, den die Karlsruher Bundesanwaltschaft vor drei Jahren eingestehen musste. Zehn Morde, die der „dritten Generation“ der Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF) aus den Jahren 1985 bis 1992 angelastet werden, schienen unaufklärbar. Mit einem Schlag scheint sich das zu ändern. Bei einem fehlgeschlagenen Überfall auf einen Geldtransport in Stuhr bei Bremen haben im letzten Sommer drei der vier in dem Zusammenhang meist gesuchten RAF-Köpfe ihre DNA hinterlassen. Das wurde am Montag bestätigt. Es ist eine kriminalpolitische Sensation.

Am Dienstag wurde außerdem bekannt: Die RAF-Terroristen Ernst-Volker Wilhelm Staub, Burkhard Garweg und Daniela Klette stehen auch im Verdacht, an einem weiteren Überfall auf einen Geldtransporter Ende 2015 in Wolfsburg beteiligt gewesen zu sein. Das teilte die Staatsanwaltschaft in Verden mit. Sie werden verdächtigt, am 28. Dezember einen Geldtransporter angegriffen zu haben. „Aktuell liegen neue DNA-Analyseergebnisse vor“, hieß es bei der Staatsanwaltschaft. Der Transporterfahrer konnte damals flüchten, die Räuber gingen leer aus. Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund gebe es nicht, teilte die Staatsanwaltschaft mit. „Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Tat allein der Finanzierung des Lebens im Untergrund dienen sollte.“

Was zuvor im Sommer, am 6. Juni 2015, auf dem Parkplatz eines Verbrauchermarktes bei Stuhr in der Nähe von Bremen unter dem Einsatz schwerster Waffen passierte, führt ebenfalls auf die Spuren von Staub, Klette und Garweg. Ihr Alter heute: Ende 50. Alle drei stehen zudem im Verdacht, 1993 den Rohbau der Haftanstalt im hessischen Weiterstadt gesprengt zu haben. Und wohl auch alle drei waren es, die sich in einem ersten Geldraub-Coup vor fast siebzehn Jahren in Duisburg eine Million Mark beschafft haben – womöglich ebenfalls als „Altersversorgung“.

Maskiert mit Helmen und Sturmhauben

Dieser weiße VW-Transporter wurde am Tatort in Groß Meckenstedt gefunden.
Dieser weiße VW-Transporter wurde am Tatort in Groß Meckenstedt gefunden. © dpa | Polizeiinspektion Diepholz

Der linksrheinische Duisburger Stadtteil Rheinhausen. Tatzeit: Gegen 21.30 Uhr am 30. Juli 1999. Trotz der Sommerruhe liegt viel Geld in dem Transportauto, das ein Einkaufszentrum an der Schauenstraße verlässt. Eine Million D-Mark sind in den Geldkoffern des Fahrzeugs gebunkert. Es ist ja ein einkaufsstarker Freitag. Was dann passiert, beschreibt der Autor Butz Peters („Tödlicher Irrtum. Die Geschichte der RAF“) so: „Ein amerikanischer Jeep kommt angeschossen. Drängt den Geldtransporter mit Schwung ab. Der Fahrer macht eine Vollbremsung. Von vorne ein zweites Auto. Ein Passat knallt frontal in den Geldtransporter wie bei einer Stuntmen-Show der „Hell drivers“. Für den Lenker des fahrbaren Tresors: keine Chance zu flüchten. Die beiden Geldboten blicken in eine Panzerfaust, eine Maschinenpistole und ein Sturmgewehr“.

Die drei mit Integralhelmen und Sturmhauben maskierten Täter zwingen die Fahrer, die Tür zu öffnen. Sie laden die Behälter ein und sind weg. Passat und Jeep, beide mit gefälschten Kennzeichen, werden später gefunden - und auch die zurückgelassene Maskierung. Das Landeskriminalamt NRW hat damals die gefundenen DNA-Spuren untersucht und ist bei einem Abgleich der einschlägigen Datei zu einem verblüffenden Ergebnis gekommen. Am Überfall beteiligt waren sicher die RAF-Terroristen Staub und Klette. Ihr Kumpan Garweg könnte auch in Duisburg der dritte im Spiel gewesen sein.

Dabei hatte sich die RAF 1998 nach einem Terror-Krieg mit 62 Toten und 250 Millionen Euro Schaden für aufgelöst erklärt. War es das Motiv für die drei im Untergrund lebenden RAF-Mitglieder, sich eine „Pension“ zu beschaffen? Der Verfassungsschutz vermutet das. Der Haftbefehl besteht weiter. Die Täter wurden nie gefasst.

Mehr als zehn Morde ungeklärt

Was die aktuelle Spur auf das Trio so wertvoll macht: Die mutmaßlichen Täter von Stuhr könnten mehr wissen über zehn Morde der „dritten Generation der RAF“ aus den Jahren 1985 bis 1992 – schwerste linksterroristische Straftaten, deren Aufklärung die Experten des Bundeskriminalamtes (BKA) in Wiesbaden schon fast abgeschrieben hatten: „Alle Ermittlungsansätze und alle Spuren sind abgearbeitet“ stellten sie 2013 fest. Nur der Zufall könne noch helfen. Jetzt gibt es ihn. Dürfen damit auch die Angehörigen der zehn Opfer hoffen?

Juli 1986: Der Siemens-Manager Karl Heinz Beckurts und sein Fahrer Eckhard Groppler werden in Straßlach durch einen Bombenanschlag getötet.

November 1989: Unbekannte sprengen Alfred Herrhausen, Chef der Deutschen Bank, in seinem Wagen in Bad Homburg in die Luft.

Oktober 1986: In Bonn wird der Top-Diplomat Gerold von Braunmühl erschossen. Der Schütze lauerte ihm vor seinem Haus auf.

April 1991: Düsseldorf-Oberkassel. Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder, der vorher den Dortmunder Hoesch-Konzern geführt hat, stirbt, getroffen von zwei Kugeln. Der Mörder hat durch sein Wohnzimmerfenster gezielt. Hergard Rohwedder, die Ehefrau, wird verletzt. Rohwedder ist das letzte Opfer der „Rote Armee Fraktion“. 1998 erklärt sie sich für aufgelöst.

In den Akten der Bundesanwaltschaft gibt es noch immer 16 einzelne Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der dritten, der unbekannten Generation der Linksterroristen. Einige Vorgänge, so der Mord an dem US-Soldaten Edward Pimenthal 1985, konnten zwar aufgeklärt werden. In Rohwedders Garten fand man ein Haar von Wolfgang Grams, der sich später in Bad Kleinen selbst umbrachte. Neben Garweg, Klette und Staub ist auch noch Friderike Krabbe zur Fahndung ausgeschrieben.

Verurteilte RAF-Mitglieder schweigen

Auch andere Rätsel sind geblieben. Nie wurden viele der Erddepots gefunden, die die RAF für ihren Waffennachschub angelegt hatte. Und wer für die anderen Überfälle auf Geldtransporte verantwortlich ist, die in den letzten 30 Jahren an Rhein und Ruhr in Bochum und Köln und auch in Berlin stattgefunden haben.

Letztendlich keinem Verdächtigen zuzuordnen und damit unaufklärbar bleiben die schwersten Taten aber vor allem, weil verurteilte und längst wieder freigekommene RAF-Mitglieder schweigen . Die Bundesanwälte sind überzeugt, dass Eva Haule und Birgit Hogefeld wissen, wer die Mörder von Rohwedder, Herrhausen und Braunmühl sind. Sie hätten ihre Kenntnis sogar schriftlich entweder in Leserbriefen („Die RAF ist verantwortlich...“) oder Interviews eingeräumt. Aber: „Rechtskräftig verurteilte ehemalige RAF-Mitglieder als Zeugen zu vernehmen, ist aus rechtlichen Gründen sehr eingeschränkt möglich“, sagte der damalige Cheffahnder Griesbaum. Auch gilt: „Bei Gefahr einer Selbstbelastung können sie die Aussage verweigern.“ (mit dpa)