Washington/Flint. Im amerikanischen Flint ist das Trinkwasser verseucht. 100.000 Menschen benutzen Wasser seit Monaten nur noch aus Plastikflaschen.

Hoffnungslosigkeit, Drogen und Kriminalität: Seit der Auto-Riese General Motors Ende der 80er Jahre hier seine Werke dicht machte und Flint zum Sterben liegen ließ wie einen angefahrenen Straßenköter, ist die trostlose Stadt im US-Bundesstaat Michigan der Inbegriff des Niedergangs. Mit der preisgekrönten Dokumentation „Roger & Me“ baute Michael Moore seiner Heimatstadt ein trotziges Kino-Denkmal. Und auch diesmal muss der kauzige Regisseur nicht weit fahren, um Abgründe zu entdecken.

Seit 20 Monaten haben die 100.000 Bürger von Flint, in der Mehrzahl Schwarze, die zu mehr als 40 Prozent unterhalb der Armutsgrenze leben, kein sauberes Trinkwasser. Was da an stinkender Brühe aus dem Hahn rinnt, löst Haut-Ekzeme, Erbrechen und Haarausfall aus. Und ist so verboten bleihaltig, dass Kinderärzte Alarmstufe rot ausgelöst haben.

Jetzt hat Präsident Obama den Notstand ausgerufen, um Bundesmittel (sprich: Plastik-Wasserflaschen, Test-Utensilien und Filter) schneller nach Flint lotsen zu können. Weder Bürgermeister Karen Weaver noch Gouverneur Rick Snyder in Michigans Hauptstadt Lansing haben das nötige Geld oder den politisch breiten Rücken, um die Misere zu beenden. Eine Misere, die drastisch zeigt, wozu kopfloses Sparen führt. Und dass in Amerikas Infrastruktur mittlerweile Verhältnisse herrschen wie in der Dritten Welt.

Weil das bis vor kurzem unter Zwangsverwaltung stehende Flint jeden Dollar zur Seite legen muss, kam ein Sparkommissar vor zwei Jahren auf die Idee, am öffentlichen Nass zu sparen. Anstatt für jährlich 8,5 Millionen Dollar am Stadtwerke-Tropf des 100 Kilometer südlich gelegenen Nachbarns Detroit zu hängen, der sich aus dem glasklaren Lake Huron bedient, entschied man, das Trinkwasser aus dem örtlichen Flint-Fluss zu entnehmen. Obwohl es dort keine Wiederaufbereitungsanlage gibt. Ersparnis: drei Millionen Dollar. Gesagt, getan – und bereut.

Wasser war gelblich und stank erbärmlich

Bereits nach wenigen Wochen kamen Klagen von Bürgern. „Gelblich war das Wasser, und es stank erbärmlich“, erinnerte sich Rabecka Cordell, eine alleinerziehende Mutter, im Gespräch mit der Zeitung „Detroit Free Press“. Anwohner, die über die „ungenießbare Qualität“ des Wassers lamentierten, wurden „vertröstet“. Dabei waren die Anzeichen, dass etwas total außer Kontrolle geraten ist, unübersehbar: Das „neue“ Trinkwasser ließ die Operations-Bestecke der örtlichen Hospitäler im Eiltempo rosten. Und in der Hurley Kinderklinik diagnostizierte Dr. Hanna-Attisha nach 2000 Untersuchungen „einen Besorgnis erregenden Anstieg bei der Bleibelastung junger Mädchen und Jungen“.

Michigans Gouverneur Rick Snyder ließ sich aber noch bis Herbst vergangenen Jahres Zeit, um die Bevölkerung offiziell zu ermahnen, die Wasserhähne geschlossen zu halten und auf die nächste Ration Plastikwasserflaschen zu warten – dafür will Filmemacher Michael Moore ihn des Amtes enthoben sehen.

Wissenschaftler der Universität Virginia Tech hatten zuvor behauptet, dass Flints kommunales Nass von der Qualität „toxischen Abwassers“ sei. Experten um Studienleiter Mark Edwards fanden heraus: Das Wasser aus dem örtlichen Fluss ist so korrosiv, dass es in den 100 Jahre alten Wasserrohren Tausender Privathaushalte den Bleigehalt ausspült. Darum hat der Wechsel des Wasserversorgers – im vergangenen Oktober ging Flint wieder zurück ans Detroiter Netz – auch nichts gebracht. Edwards Team sagt, dass der Umgang der Landesbehörden mit der Verunreinigung „fast kriminell“ zu nennen ist. Auch darum hat der Generalstaatsanwalt eine Untersuchung eingeleitet.

Wasser nur ein Thema unter vielen

Experten der Washingtoner Denkfabrik Brookings sehen in Flint einen Weckruf, die seit Jahren verfallende öffentliche Infrastruktur genauer in Augenschein zu nehmen – und sich neue Gedanken über die Finanzierung zu machen. Von den 60 Milliarden Dollar, die Amerika im Jahr für die Instandhaltung seiner 51.000 kommunalen Wassersysteme ausgibt, kommt nur ein Prozent (1) Zuschuss von der Zentralregierung. Da ehemalige Industriestädte oft von Wegzug und damit sinkenden Steuereinnahmen betroffen seien, könnten die laufenden Kosten kaum mehr aufgebracht werden. Von General-Sanierung gar nicht zu reden. Die würde in Flint 1,5 Milliarden Dollar kosten. Völlig illusorisch. Und Wasser ist nur ein Thema unter vielen.

Landesweit sind Straßen, Brücken, Stromleitungen, Schienenwege, Flughäfen, Dämme, Seehäfen, Krankenhäuser und öffentliche Schulen vielerorts in einem erbarmungswürdigen Zustand. Seit Jahren gibt der Staat zu wenig Geld für den Erhalt aus. Die Bauingenieurs-Lobby der „American Societe of Civil Engineers (ASCE)“ beziffert den Instandhaltungsbedarf mittlerweile auf einen „hohen zweistelligen Billionen-Betrag“. Die größte Volkswirtschaft der Erde lag zuletzt im Infrastruktur-Ranking des „World Economic Forum“ nur auf Platz 16 – hinter finanzschwachen Euroländern wie Portugal und Spanien.

Michael Moore, der Filme-Macher aus Flint, befürchtet wohl darum zurecht, dass in seiner Heimatstadt das Wasser noch lange aus Plastikflaschen angeliefert werden muss.