Lima. Für die einen ist sie die „Mauer der Schande“, für andere ein Schutz vor Kriminalität: Eine Mauer sorgt in Lima für Gesprächsstoff.

Die einen nennen sie die „Mauer der Schande“. Für andere ist sie einfach ein Schutz vor Unsicherheit und Kriminalität. Auf jeden Fall sorgt der drei Meter hohe und zehn Kilometer lange Festungswall in Lima in diesen Tagen für viel Gesprächsstoff, trennt er doch eines der reichsten Viertel der Metropole von einem der ärmsten Stadtteile der peruanischen Hauptstadt.

Wenn man aus der Luft auf den Hügel mit dem Namen San Francisco schaut, liegt rechts unten von der Mauer der Nobelvorort Las Casuarinas mit Villen und Apartmenthochhäusern. Links unten vom Trennungswall liegen Ansammlungen von Holz- und Wellblechhütten ohne befestigte Wege, fließend Wasser oder Toiletten. Die Siedlungen dort tragen hochtrabende Namen wie „Pamplona Alta“ oder Villa „Nadine Heredia“, letztere benannt nach der Gattin des amtierenden peruanischen Präidenten Ollanta Humala.

Die Reichen fühlen sich bedroht

Auf der einen Seite kosten die Unterkünfte manchmal bis zu drei Millionen Dollar, auf der anderen Seite belaufen sich die Kosen für Wellblech, Holz und Baumaterial selten auf über 300 Dollar. Bereits seit den achtziger Jahren gibt es diese Division aus Beton, aber in den vergangenen Jahren wurde sie immer wieder erweitert, weil der Hügel auf der armen Seite ständig weiter besiedelt wurde - von Vertriebenen aus den Konfliktzonen des Landes oder Menschen, die in der Stadt ein besseres Leben suchen, als sie es auf dem Land hatten.

Und die Gutsituierten fühlen sich zunehmend von den Habenichtsen bedroht. Mittlerweile ziert sogar eine Rolle Stacheldraht die Mauer. „Was soll denn an der Mauer diskriminierend sein“, fragt herausfordernd Elke McDonald, Anwohnerin in Las Casuarinas. „Jeder Mensch hat das Recht, seinen Besitz und sein Eigentum zu schützen.“ Gebaut hat die Mauer übrigens die Gemeindeverwaltung - auf Bitten der Anwohner des Reichenvororts.

Beide Seiten brauchen einander

Der Limes von Lima erinnert an Melilla, die spanische Enklave, die Europa von Nordafrika trennt oder Tijuana, das Mexiko von den USA separiert. Aber hier leben auf beiden Seiten der Division Peruaner. Nur haben die einen Geld und die anderen Geldsorgen. Die einen haben meist sehr gut bezahlte Arbeit und die anderen sind Tagelöhner. Die Reichen haben Angst vor den Armen und diese ärgern sich über die Ausgrenzung. „Für uns ist das eine Schandmauer“, sagt eine Anwohnerin in Villa „Nina Heredia“. „Drüben denken sie, dass wir alle Kriminelle sind“. Aber beide Seiten – das ist das absurdeste – brauchen einander. Die einen suchen Gärtner, Kindermädchen und Chauffeure – die anderen händeringend einen Job.

Vor knapp fünf Jahren wurde das letzte Stück der Mauer vollendet. Aber erst in diesen Tagen hat diese Segregation in Peru und den sozialen Netzwerken für Aufmerksamkeit erregt. Denn im Rahmen mehrerer Kunstprojekte haben Kinder auf dem armen Teil des Hügels angefangen, die Mauer mit Bildern zu bemalen - nach dem Motto: Wie wäre es, wenn wir diese Mauer einfach verschwinden lassen, indem wir einen Himmel auf sie zeichnen?

Drohnen-Film zeigt Trennung

Und so wird das Grau des Betons nach und nach abgelöst durch Kinderzeichnungen, aus denen der Wunsch nach Bäumen, Blumen, Platz zum Spielen und grün spricht. „Die Kinder sind wichtiger Teil dieser Kunstprojekte, denn sie entscheiden, was auf die Mauer gemalt wird“, sagt Antonella Moyano vom Projekt „Acción Poetica Lima“. Ein anderes Projekt, „Volante y rasante“ (rasend und fliegend), hat die Mauermal-Aktion mit einer Drohne gefilmt. Und die Bilder zeigen lachende Jungen und Mädchen, die himmelblau auf die mausgraue Mauer auftragen, Tiere und Landschaften pinseln. Andere wiederum rezitieren auf der Mauer Sinnsprüche peruanischer Autoren: „Mi país es tuyo, mi país es mío, mi país es de todos“ –„Mein Land ist Deines, mein Land ist meins, mein Land ist für alle“ des Dramaturgen Sebastián Salazar Bondy.

Wie sehr dieser Spruch in Peru wie auch in ganz Lateinamerika lediglich dem Wunsch, aber nicht der Realität entspricht, belegen Zahlen von Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam. Demnach besitzen in der ungleichsten Region der Welt ein Prozent der Menschen rund 41 Prozent des Wohlstands und Reichtums. Wohingegen sich die übrigen 59 Prozent die anderen 99 Prozent des Reichtums aufteilen müssen.

Man muss nur einen flüchtigen Blick auf zum Beispiel Mexiko werfen, um zu verstehen, dass Lateinamerika die Weltregion ist, in der Armut und Reichtum besonders ungleich verteilt sind. Manch ländlicher Bundesstaat Mexikos weist die Lebensqualität des afrikanischen Armutslandes Sierra Leone auf; zugleich lässt es sich in bestimmten Stadtteilen der Hauptstadt Mexico City so schick leben wie in Rom oder Madrid. Man denke auch an den mexikanischen Telekom-Tycoon Carlos Slim, einer der reichsten Menschen der Welt. Slim wird um schätzungsweise 45.000 Dollar pro Stunde reicher, während rund 45 Millionen Mexikaner mit rund einem Dollar am Tag auskommen müssen.