Waldshut-Tiengen/Leverkusen. Eine Frau ist sich sicher: Eine Anti-Baby-Pille von Bayer hat sie in Lebensgefahr gebracht. Vor Gericht fordert sie Schadensersatz.

Nach jahrelangen zivilrechtlichen Auseinandersetzungen in den USA beschäftigt sich erstmals ein deutsches Gericht mit einer möglichen Gesundheitsgefahr durch die Anti-Baby-Pille „Yasminelle“. Das Landgericht im baden-württembergischen Waldshut-Tiengen verhandelt am morgigen Donnerstag die Klage einer Frau gegen den Chemie- und Arzneimittelkonzern Bayer, der die Pille vertreibt. Es ist der erste Prozess dieser Art in Deutschland, wie ein Gerichtssprecher sagte.

Dabei geht es in dem Prozess zunächst um die Frage, ob Bayer verpflichtet ist, die von der Klägerin geforderten zusätzlichen Auskünfte zu dem Medikament herauszugeben. Experten gehen davon aus, dass es zu einem größeren Prozess im nächsten Jahr kommen könnte, sollte das Gericht etwa Gutachten festlegen.

Die 31 Jahre alte Frau aus Willstätt in Baden-Württemberg will nach eigenen Angaben rund 200.000 Euro Schadensersatz und Schmerzensgeld von Bayer. Sie macht die Pille mit dem Wirkstoff Drospirenon für gesundheitliche Probleme verantwortlich. So erhöhe sie das Thrombose-Risiko. Nach der Einnahme der Pille habe sie im Juni 2009 eine Lungenembolie erlitten und sei daran fast gestorben. Seither kämpft die Klägerin gegen Bayer und die umstrittene Pille. Konkret beklagt sie, dass die erhöhte Thrombosegefahr für sie zu spät in dem Beipackzettel erwähnt worden sei.

Bayer weist Vorwürfe zurück

Bayer hält die Klage nach Angaben eines Sprechers für unbegründet und will sich zur Wehr setzen. Durch wissenschaftliche Daten sei belegt, dass von der Anti-Baby-Pille und dem Wirkstoff bei korrekter Einnahme keine Gefahr ausgehe. Das Unternehmen habe mit der Produktgruppe Yaz, Yasminelle, Yasmin (Yaz-Familie) 2014 einen Umsatz von 768 Millionen Euro weltweit gemacht. „Die Produkte gibt es in über 100 Ländern und werden dort täglich millionenfach angewendet“, sagte der Sprecher.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn hatte im März 2014 davor gewarnt, dass von einigen Anti-Baby-Pillen ein erhöhtes Thrombose-Risiko ausgehe und die Hersteller darauf aufmerksam machen müssten. Vor allem der Wirkstoff Drospirenon ist demnach für das Risiko verantwortlich. Das trifft nicht nur Bayer, sondern auch andere Hersteller. Gleichzeitig ordnete das BfArM neue Studien an. Vom Markt genommen werden müssen Pillen nach Einschätzung des Bundesinstitutes deshalb nicht.

Bei den älteren Pillengenerationen klagten Frauen oft über Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme und schlechtere Haut. Diese Begleiterscheinungen sollten neuere Produkte nicht mehr so stark mit sich bringen. „Wir sind lange davon ausgegangen, dass mit den modernen Pillen das Thromboserisiko gebannt ist, und haben diese Pillen deshalb vor allem Frauen mit Risiken wie Übergewicht, Rauchen und älteren Frauen verordnet“, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Frauenärzte, Christian Albring, kürzlich in einem Interview des „Südkurier“. Frauenärzte seien sehr besorgt über die Erkenntnisse, dass das Thromboserisiko auch mit einigen der neuen Pillen nicht gesenkt werden könne, sondern wahrscheinlich sogar ansteige.

Klägerin rechtfertigt sich im TV

Im Morgenmagazin von ARD und ZDF forderte die Klägerin am Mittwoch, dass die Pille vom Markt genommen wird. Es gehe ihr nicht um Geld, betonte sie. „Es soll wirklich keine junge Frau das erleiden, was ich erlitten habe“, sagte sie in der Sendung. Sie spüre die Folgen der Lungenembolie bis heute. „Mein Leben ist definitiv nicht mehr so wie vorher“, sagte sie. Weil sie heute blutverdünnende Medikamente nehmen müsse, dürfe sie nicht schwanger werden.

In den USA hatten mehrere tausend Frauen gegen Bayer geklagt. Bis Anfang dieses Jahres schloss der Konzern den Angaben zufolge rund 9000 Vergleiche in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden US-Dollar ab, ohne jedoch eine juristisch wirksame Verantwortung anzuerkennen. Die Pille ist dort aktuell nicht auf dem Markt. Klagen in dieser finanziellen Größenordnung sind in den USA möglich, weil dort ein anderes Produkt- und Schadenhaftungsrecht als in Deutschland gilt. (dpa)