Arnsberg. Eine Seniorin hat einen Pastor jahrelang mit SMS, E-Mails und Liebesbriefen belästigt. Das Landgericht Arnsberg sprach sie jedoch frei.

Sie stellte einem Priester aus dem sauerländischen Meschede jahrelang nach – trotzdem ist eine 72-jährige Rentnerin am Mittwoch vom Landgericht in Arnsberg in einem Berufungsprozess freigesprochen worden. Aus Sicht des Gerichts ist die Frau schuldunfähig, eine erstinstanzliche Verurteilung zu 14 Monaten Haft wurde aufgehoben.

Weil sich mehrere Gutachter zum Teil widersprochen hatten, habe man zugunsten der Angeklagten entscheiden müssen, begründete der Vorsitzende Richter das Urteil.

Die Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung könne das Gericht nicht anordnen: Körperliche Übergriffe habe es nie gegeben und sind den Gutachtern zufolge auch nicht zu erwarten. „Sie ist lästig, aber nicht gefährlich“, sagte der Richter.

Die Vorinstanzen

Das Amtsgericht hatte die Frau bereits zu 14 Monaten Haft verurteilt. Ein Gutachter hatte die Seniorin im März 2014 als voll schuldfähig eingestuft. Es folgte der Berufungsprozess. Nach der Befragung von vier Experten im Gerichtssaal hatte sich eine Wendung abgezeichnet. Ein Gutachter hatte die Frau am ersten Prozesstag des Berufungsprozesses als schuldunfähig eingestuft, weil sie unter einem krankhaften Liebeswahn leide.

Der Vorwurf:

Die Seniorin belästigte den 61-jährigen Pfarrer am Telefon, mit SMS, E-Mails und Liebesbriefen mit teilweise perversen Sex-Fantasien, dekorierte den Vorgarten des Pfarrhauses mit zum Teil obszönen Liebesbotschaften oder rief dem Geistlichen auf dem Weg zur Kirche Obszönitäten zu. Fast täglich erhielt Michael Hammerschmidt Nachrichten von seiner Verfolgerin. Die machte nie einen Hehl daraus: Sie liebe den Pastor, hatte sie immer wieder betont. Der aber dürfe nur wegen des Zölibats ihre Gefühle nicht erwidern.

Das Opfer:

Für Pastor Hammerschmidt ist der Stalking-Fall eine „Never-ending Story“, eine unendliche Geschichte. „Ich weiß ja nie, wann sie zuschlägt“, hatte der 61-Jährige im Prozess gesagt. Ärzte führen seine gesundheitlichen Probleme auf den Stress durch das Stalking zurück.

Pfarrer Michael Hammerschmidt aus Meschede weiß sich nicht mehr zu helfen.
Pfarrer Michael Hammerschmidt aus Meschede weiß sich nicht mehr zu helfen. © Ted Jones | Ted Jones

Der Gutachter:

Der Sachverständige Norbert Leygraf ging im Berufungsprozess davon aus, dass die Frau krank ist. „Was sollte eine Frau, die 58 Jahre lang ein normales Leben und 40 Jahre lang eine nach außen unauffällige Ehe führt, dazu bringen, ihr Leben auf den Kopf zu stellen, sich ins soziale Abseits zu begeben, Therapie und Gefängnis auf sich zu nehmen?“, hatte seine Einschätzung gelautet. Er sprach von einem „Liebes-Wahn“ und glaubt, dass die Frau weitermachen wird. Der Pastor müsse die Nachstellungen vermutlich weiter hinnehmen, sagte Leygraf.

Die Stalking-Experten

Für Experten ist der Fall der liebeskranken Seniorin nicht ungewöhnlich. Insbesondere Priester würden häufiger als Opfer auserkoren, weil diese Liebe unerwidert bleibe. Bei den meisten Stalking-Fällen gebe es aber eine reale Beziehung zwischen Täter und Opfer. Meist würden Ex-Partner, Arbeitskollegen oder Bekannte gestalkt, sagt Stalking-Fachmann Jens Hoffmann aus Darmstadt. Allein in Nordrhein-Westfalen würden jährlich mehr als 6000 Anzeigen mit mehr als 5000 Tatverdächtigen aufgenommen, heißt es beim Landeskriminalamt. Bundesweit gab es 2014 fast 22.000 polizeilich registrierte Stalking-Fälle. (jkali/dpa)