Berlin. Xavier Naidoos „Nie mehr Krieg“ klingt nach einem Charity-Song. Dabei fehlt dem Lied aber ein Spendenaufruf und leider Tiefgründigkeit.

Charity-Songs gehören zur Adventszeit wie volle Kaufhäuser, klebrige Glühweinreste auf der Jacke und unpassende Geschenke. Diese wohltätigen Musikstücke sind dabei für manche Menschen noch unbeliebter als die drei geschilderten Weihnachtsbegleiter. Kritiker sehen in den Stücken nur ein Mittel der Selbstvermarktung für Künstler. Musikalisch bieten Stücke wie “Do They Know It’s Christmas?” nur leichte Kost, heißt es dann. Xavier Naidoo scheint diese Kritik in Kauf zu nehmen und hat mit “Nie mehr Krieg” seinen eigenen Charity-Song herausgebracht – nur ohne Charity. Als erster hatte der Publizist Jürgen Todenhöfer das Lied in einem Facebook-Video veröffentlicht. Auch wenn der Einsatz für den Frieden ein ehrenwertes Anliegen ist, könnte der Song viel mehr. Schnell verbreitet hat er sich.

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Greift die viel geäußerte Kritik an musikalischen Hilfsprojekten auch bei Naidoo? Der Blick auf die Musik zeigt: Ja! Das Stück kommt wirklich sehr simpel daher. Naidoos Soul-Stimme bewegt sich über eine zurückhaltende Klavier- und Gitarrenbegleitung. Für die meist stressige Adventszeit ist das nicht schlecht, doch wie eine krächzende Ansage im überfüllten Kaufhaus unterbrechen “Uhuuhhuuhu”-Gesänge die bedächtige Stille. Hinzu kommen Reime, die weder zum Takt des Liedes noch zu irgendeinem Takt passen, wie das folgende Beispiel zeigt:

“Vom Frieden sind wir meilenweit weg. Das Schlachtfeld ist schon abgesteckt. Doch wir sind auch nur einen Hauch weit weg...vom Himmel er ist um die Eck…e”

Während Naidoo in früheren Stücken sehr penibel auf jede Silbe achtete, wirkt das Stück nun wie mit heißer Nadel gestrickt. Es sollte offenbar auf jeden Fall noch vor der Abstimmung des Bundestages zum Syrien-Einsatz der Bundeswehr fertig werden. Das hat geklappt. Ob die Botschaft noch irgendeinen Politiker erreicht hat, darf bezweifelt werden.

Musikstücke von religiös überzeugten Menschen, die nicht genau das Versmaß treffen, gibt es viele. Ein Beispiel ist das Lied “Wake Up” von Papst Franziskus aus dessen gleichnamigem Rock-Album. Der Unterschied zu Naidoo: die Texte stammen aus Predigten und Gebeten, die ursprünglich nicht dazu gedacht waren, auch mit Musik zu funktionieren.

„Muslime tragen den neuen Judenstern“

Wer jedoch bei Xavier Naidoo eine textliche Predigt erwartet, dürfte wahlweise enttäuscht oder erfreut sein. Denn statt religiös aufgeladenen Zeilen kündigt Naidoo Klartext an. “Nie mehr Krieg, nie mehr Krieg. Wenn wir das nicht mehr sagen dürfen, läuft etwas schief”. Wer ihm das vebietet, bleibt dann jedoch unklar. Naidoo schiebt Kritik an Kriegspropaganda und den Profiteuren des Krieges hinterher. Wer konkret profitiert, bleibt dann jedoch unklar. Eine Personengruppe kann der Sohn Mannheims aber benennen. Und zwar die, die seiner Meinung nach momentan am meisten bedroht sind: „Muslime tragen den neuen Judenstern, alles Terroristen, wir haben sie nicht mehr gern“, singt er.

Neben all der Kritik an Musik und Inhalt stellt sich noch die Frage nach der Art und Weise der Veröffentlichung. „Nie mehr Krieg“ ist vorerst nur über die Facebook-Seite von Jürgen Todenhöfer und das Profil der Söhne Mannheims erschienen. Naidoo verzichtet auf einen Verweis zur Spende oder eine Veröffentlichung in einem kostenpflichtigen Download-Portal. Dabei würde man mit dem Titel sicher reichlich Einnahmen generieren können, die einem guten Zweck dienen könnten – schließlich wurde das Video innerhalb von 17 Stunden bereits über 2 Millionen Mal abgespielt.

Was geschieht jetzt mit dem Lied?

Dabei liegt eine weitere Verwendung quasi auf der Hand. Friedenslieder waren schon immer gut für fordere Plätze beim Eurovision Song Contest. Das hat Nicole 1982 mit “Ein bisschen Frieden” bewiesen. Aber auch zahlreiche inhaltsarme Friedenslieder aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion konnten gute Platzierungen erzielen. Ob eine frühere Veröffentlichung von „Nie mehr Krieg“ wohl die Debatte um eine ESC-Teilnahme von Xavier Naidoo beeinflusst hätte?