Berlin. Eine Schülerin aus den USA sammelt digitale Dokumente des Verlustes: Tausende schicken ihr letzte Nachrichten von geliebten Menschen.

Es war der erste Schultag der 10. Klasse. Die Mutter hatte ein Foto auf Facebook gepostet, der getrennt lebende Vater hatte „Hey Schätzchen, wie war der erste Tag?“ drunter geschrieben. Einen Tag später sei er gestorben, es war die letzte Nachricht, die die junge Autorin (oder der Autor) vom Vater bekam. Solche letzte Nachrichten sammelt eine 15-jährige Amerikanerin in ihrem Tumblr-Blog „The Last Message Received“ – und rührt damit viele Menschen im Netz.

Emily Trunko lebt in einem kleinen Städtchen im US-Bundesstaat in Ohio. Nach einem Bericht der „New York Times“ sammelt das Mädchen erst seit einigen Wochen diese digitalen Dokumente des Verlustes – und hat schon mehr als 2500 zugeschickt bekommen. Fast alle erreichen sie anonym.

Gebrochene Herzen sind in fast jeder Nachricht zu spüren

Kein Wunder, privater geht es kaum. Die meisten Blog-Einträge – häufig Screenshots von SMS- oder What’sApp-Sprachblasen – handeln vom Ende von Beziehungen, zwischen Liebespaaren, Freunden, Geschwistern, zwischen Eltern und Kindern. Etwa diese Nachricht eines Vaters: „Ich komme dich dieses Wochenende besuchen“ – und der kurze Kommentar des Einsenders: „Er kam nicht.“ Oder diese, ohne jede weitere Anmerkung: „Du kannst das Flanell-Hemd behalten.“ Jemand anderes schreibt, dass er seinem homophoben besten Freund gesagt hat, dass er schwul ist. Die letzte Nachricht, die er bekam, war: „Fahr zur Hölle!“

Die gebrochenen Herzen sind in fast jeder Nachricht zu spüren, oft auch Verwirrung und Unverständnis. Aber stärker noch sind die Einsendungen letzter Nachrichten von Menschen, die gestorben sind. „Echt jetzt“, hatte er gesimst, „ich muss schon so breit grinsen, wenn ich nur an dich denke.“ „Ich liebe dich, Schatz“, war die Antwort an den Mann, der wenige Tage später nach einer Überdosis Drogen starb.

Die letzte Nachricht verschlafen: „Ich habe solche Schuldgefühle“

Eine Frau hatte in der Fernbeziehung jeden Abend mit ihrem Freund telefoniert. In dem Screenshot, den sie einschickt sieht man, wie sie „Bist du noch wach?“ gefragt hat, an diesem Abend vor sechs Jahren. Die beiden hätten telefoniert, schreibt sie, dann habe ihr Freund noch Besuch bekommen und das Gespräch unterbrechen müssen. „Ich bin eingeschlafen, während ich auf seinen Rückruf wartete. Sein letzter Anruf und die SMS ,Hey, wo bist du abgeblieben?’“ um 0.40 Uhr waren die letzten Nachrichten, die ich von ihm bekommen habe. Er starb während eines Krampfanfalls mitten in der Nacht. Ich habe kein letztes Mal ,gute Nacht’ oder ,Ich liebe dich’ gesagt. Ich habe solche Schuldgefühle, bin so wütend und traurig darüber, auch nach all den Jahren noch.“

Beeindruckend können auch Nachrichten sein, von denen man nicht erfährt, an wen sie gerichtet sind, von wem sie kommen und was passiert ist. Das einzige, was man annehmen muss ist, dass es eine letzte Nachricht ist. Wie diese: „Ich bin in fünf Minuten da, ich liebe euch.“

„The Last Message Received“ ist bereits das zweite aufsehenerregende Netz-Projekt, das Emily Trunko in diesem Jahr gestartet hat: Auf „Dear My Blank“ (etwa: „Mein(e) liebe(r) ___“ ) veröffentlichte Emily Briefe von Menschen, die sich etwas von der Seele schreiben mussten, die Briefe aber nicht an die Adressaten schicken wollten oder konnten. 17.000 Einsendungen bekam das Mädchen, und wie bei den letzten Nachrichten geht es sehr oft um den Verlust von Menschen. Das zu lesen, scheint für viele ein Gewinn zu sein: Aus „Dear My Blank“ soll jetzt ein Buch werden.