Pretoria. Der Glaube an Heilmittel aus menschlichen Organen ist in manchen Regionen ungebrochen. Die Polizei vermutet viele Tote durch Rituale.

Hin und wieder kommt Südafrikas dunkles Geheimnis ans Licht. Wie kürzlich, als die 20-jährige Tochter eines simbabwischen Kabinettministers in ihrer Studentenwohnung in Kapstadt tot aufgefunden wurde. Ein südafrikanisches Hospital führte eine Autopsie durch und schickte den Leichnam der Ministertochter anschließend nach Simbabwe zurück. Dort wurde zum Entsetzen ihrer Eltern festgestellt, dass das Herz der toten Tochter fehlte. Selbst Zeitungen spekulierten: Da müssen finstere Mächte am Werk gewesen sein.

Der Verdacht war keineswegs aus der Luft gegriffen. Immer wieder werden am Kap der Guten Hoffnung Angestellte von Hospitälern oder Leichenschauhäusern verhaftet, weil sie Körperteile von Toten an Hexen oder Hexenmeister, sogenannte „witch doctors“, verkauften. Häufiger noch werden irgendwo im Busch verstümmelte Menschen aufgefunden: Wenn ihnen die Geschlechtsteile, die Hände, das Herz und der Kopf fehlen, geht die Polizei von einem „Ritual-Mord“ aus. Dasselbe gilt für die knapp 400 verschwundenen Kinder im Jahr, die nicht wieder aufgefunden werden: Gut möglich, dass sie zu „Muti“ verarbeitet wurden, wie traditionelle Heilkräuter aber auch angebliche Zaubermittel am Kap der Guten Hoffnung heißen. In Bloemfontein steht derzeit ein 62-jähriger Mann vor Gericht, in dessen Gefriertruhe die abgetrennten Geschlechtsteile von sieben Frauen gefunden wurden.

Rund 250 Ritual-Morde allein in einem Jahr

Anthony Minaar, Experte der südafrikanischen Polizei für mit Hexerei in Verbindung gebrachte Verbrechen, möchte sich nicht auf eine Zahl festlegen. Dass jedoch ein „bedeutender Anteil“ der verschwundenen Kinder und Erwachsenen „Muti-Morden“ zum Opfer fallen, hält er für ausgemacht. Von offizieller Seite würden solche Vorfälle gerne heruntergespielt, sagt der Polizist: Denn das dadurch wachgerufene Bild vom „dunklen Mittelalter“ würde dem internationale Ansehen Südafrikas als „moderner Staat“ schaden.

In Limpopo, einer Provinz des Regenbogenstaats, sollen allein in einem Jahr 250 Muti-Morde registriert worden sein. Da am Kap der Guten Hoffnung jährlich fast 20.000 Menschen umgebracht werden, fällt das womöglich kaum ins Gewicht.

Der Einsatz von Muti, das aus menschlichen Körperteilen hergestellt wird und deshalb als besonders stark gilt, ist fast unbegrenzt. Eine Hand wird gerne vor dem Eingang eines neu eröffneten Geschäfts vergraben: Sie soll gewissermaßen die Kunden hereinwinken. Mit Augen hergestellte Salbe soll vor Erblindung schützen – und verarbeitete Geschlechtsteile helfen gegen Erektionsprobleme oder Frigidität.

Mächtiges Muti kann im weitesten Sinn Glück bringen: Gewissenhaft bezahlt und eingenommen sichert es den Hauptgewinn im Lotto, bringt einen verlorenen Liebhaber zurück oder stimmt den wütenden Chef gütig. So jedenfalls versprechen das Flugblätter, mit denen Wunderheiler selbst auf Straßenkreuzungen in Johannesburg ihre Dienste bewerben. Selbstverständlich können mit Muti auch negative Effekte erzielt werden: Dass der Blitz im Haus des verhassten Nachbarn einschlägt oder der Liebhaber der Ehefrau an der Krätze erkrankt.

Wer sich nicht an der Verbrennung beteiligt – wird selbst verbrannt

Der Glaube an die Kraft der Zaubermittel ist wesentlich weiter verbreitet, als allgemein eingeräumt wird. Selbst „westlich“ ausgebildete Südafrikaner halten die Wirksamkeit okkulter Kräfte für durchaus real, Meinungsforscher gehen davon aus, dass mehr als Dreiviertel der schwarzen Bevölkerung an schwarze Magie glauben. „Bei meiner Arbeit räumen selbst gut ausgebildete Kollegen ein, dass sie Muti einsetzen, um Konkurrenten zu schwächen“, schreibt eine Frau im Leserbrief an eine Zeitung. Schüler und Studenten nehmen Muti zu sich, bevor sie ein Examen schreiben. Und während des gewalttätigen Streiks in einer Platinmine vor drei Jahren ließen sich Bergarbeiter mit Muti vor Polizeikugeln schützen. Beim „Massaker von Marikana“ kamen trotzdem 34 Kumpel im Kugelhagel der Polizei ums Leben.

Andererseits sterben Jahr für Jahr auch unzählige Südafrikaner, weil sie als Hexen verdächtigt und auf grausame Weise getötet werden. Zwei junge Männer brachten kürzlich in der Provinz Kwa Zulu/Natal acht Mitglieder ihrer Familie um, denen sie vorwarfen, in Hexerei verwickelt zu sein. Am schlimmsten tobte die neuzeitliche Hexenverbrennung während der turbulenten politischen Umbruchszeit vor 25 Jahren, als allein in der Limpopo-Provinz Hunderte angeblicher Hexen getötet wurden. Noch heute leben Dutzende von Frauen in Asyl-Dörfern, die damals zum Schutz der Verfolgten eingerichtet wurden – sie wagen sich noch immer nicht nach Hause zurück. Der katholischer Priester Tshimangadzo Daswa wurde damals von Jugendlichen verbrannt, weil er sich an der Hexenverfolgung nicht beteiligen wollte. Er wurde diesen September vom Vatikan selig gesprochen.