Mainz. Kann denn Singen Sünde sein? Die Frage ist aktuell, weil das Mainzer Theater zu einer AfD-Demo schmetterte und eine Anzeige läuft.

Nach einer Strafanzeige für das Singen der „Ode an die Freude“ erlebt das Staatstheater Mainz eine Solidarisierungswelle: Das Unverständnis ist bei vielen Menschen groß, weil die Polizei wegen „grober Störung“ gegen das Ensemble ermittelt. Mitarbeiter hatten bei offenen Fenstern und laut schmetternd das von Beethoven vertonte Schiller-Gedicht „geprobt“ – während vor dem Haus eine AfD-Demo mit 300 Teilnehmern lief.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Facebook, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Was in und um Mainz überwiegend gefeiert wird als Zeichen gegen platte Parolen, hat die Polizei auf den Plan gerufen – Strafanzeige. Die Mainzer Polizei sagt, sie könne nicht anders: Die Kundgebung der AfD in Mainz war genehmigt, sie hat dann das im Grundgesetz verbriefte Recht durchzusetzen, die Demonstration auch durchzuführen. Und das Staatstheater hatte so laut gesungen, dass Frauke Petry und andere Mitglieder der AfD sich nur anschauen konnten: An eine Rede war nicht zu denken, als der Chor sang. Als die Polizei vorstellig wurde, schloss das Theater die Fenster.

Laut Polizei hatte es zuvor mehrere Ermahnungen gegeben. Eine Anzeige aus den Reihen der AfD habe es wegen des Gesangs bei der Polizei nicht gegeben, sie wurde aber selbst aktiv. „Wir haben natürlich jetzt keine gute Presse“, sagt ein Sprecher unserer Redaktion. „Aber wenn wir Kenntnis von einer Straftat haben, müssen wir tätig werden.“

Unterstützer wollen für Geldstrafe spenden

Da kommt auf die Behörden vielleicht noch mehr zu: In sozialen Netzwerken kündigen einige der 1000 Teilnehmer der Gegenkundgebung an, sich aus Solidarität mit dem Theater auch selbst anzuzeigen. Schließlich hätten sie laut mit der Trillerpfeiffe gepfiffen. Bislang liegen der Polizei aber keine solchen Selbstanzeigen vor. Außerdem signalisieren viele Menschen, im Fall einer Geldstrafe für das Theater spenden zu wollen. Die „Freunde des Staatstheater“ könnten eine solche Aktion koordinieren, heißt es von Mainzer Politikern.

Doch bislang ist nicht klar, ob der Gesang wirklich Folgen hat. Das Verfahren könnte auch eingestellt werden. Die Staatsanwaltschaft Mainz muss prüfen, wie grob die Störung ist, eines der prominentesten und beliebtesten Werke deutschen Kulturguts mit Inbrunst gesungen zu haben. Wenn Ziel gewesen war, die Kundgebung zu verhindern, wäre das ein Verstoß gegen das Versammlungsrecht. Das Gesetz sieht vor: Wer in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Intendant: Werden wir wieder tun

Und beim Theater besteht Wiederholungsgefahr: „Das werden wir immer wieder tun“, sagte Intendant Markus Müller der „Allgemeinen Zeitung“ Denn: „Wenn jemand vor unserem Haus der Meinungsvielfalt erscheint, in dem über 30 Nationen zusammenarbeiten, und sich fremdenfeindlich äußert, muss er damit rechnen, dass jemand im Haus dazu Stellung bezieht“, so der Intendant. Die Stadt hatte bereits im Voraus gemahnt – und das Theater deshalb den Plan ausgegeben: „Stören ja, aber nicht grob stören.“ Das habe das Theater auch nicht. „Wir sehen der Anzeige gelassen entgegen.“

Der rheinland-pfälzische Grünen-Fraktionsvorsitzende Daniel Köbler mahnt schon mal Verhältnismäßigkeit an: „Die Gesangseinlage war eine Ode an die Menschlichkeit. Ich bin beeindruckt von so viel Zivilcourage und Mut. Umso weniger Verständnis habe ich dafür, wenn jetzt eine klare Haltung gegen Rechts bestraft werden soll.“