Auch im November wird in Berlin noch geangelt. Vor allem junge Leute entdecken den Sport mehr und mehr. Ihre Beutezüge dokumentieren sie mit großem Erfolg auf Youtube

Ein grauer Herbstmorgen am Teltowkanal. Nebel wabert übers Wasser, schon beim Hinschauen friert’s einen. Da zieht ein Ruderboot vorbei. Vier sportliche Männer, flott unterwegs. Ein Ächzen ist zu hören, mehrfaches Murren. Das kommt aber nicht etwa aus dem Boot. Es kommt vom Ufer. Alle zehn, zwanzig Meter steht nämlich zwischen den Bäumen ein Angler.

Für die heißt das: Leine rein, wenn das Ruderboot kommt. Da mosert man halt kurz vor sich hin. So entsteht eine kleine motzende Kettenreaktion am Kanal entlang. Wohlgemerkt: Und das alles jetzt, Ende November. Es ist Saison für Angler, sie stehen Spalier. Von Winterpause keine Spur. Eine Schonzeit gibt es für all die Männer im Gebüsch wohl nicht. Die Schleuse Kleinmachnow am Teltowkanal wird gerade besonders hoch gehandelt unter Anglern, die Havel in Spandau, die Innenstadtspree mit ihren vielen Brücken und auch die Müggelspree im Südosten.

Seit neuestem gibt es jede Woche eine neue Folge

„Hier knallt’s, ich geh’ auf Zander“, sagt etwa ein Großstadtangler wie Daniel Andriani, wenn er gerade mal wieder an einer matschigen Böschung seine Angelrute auspackt. So etwas ist ganz nach Andrianis Geschmack. Er ist 34 Jahre alt und verrückt nach Fischen, und dieser Mann lächelt sich noch jeden Tag am Wasser schön. Das tut er vor großem Publikum. Andriani filmt seine Fischzüge in Berlin, stellt die Videos auf Youtube. Fünfzehnminütige Filme sind das über das Angeln in der Stadt, über den schnellen Ausflug am Nachmittag. Ab ans Wasser, Angel raus, fertig. Seit neuestem gibt es jede Woche eine neue Folge. Jede Woche! Auch jetzt im Winter. Nur übers Fischefangen! Also speziell das Fangen von Raubfischen. Über sonst nichts. Manchmal sind es sogar Filme ohne Fisch, wenn es gar keinen Biss gab. Auch das gehört eben zum Angeln dazu. Andriani ist immer im Gespann mit Toni Wehn, 28, unterwegs. Einer filmt, einer redet. Oder noch besser ist es, da kommt noch einer mit raus zum Ausflug, für die Kamera. Zwei quirlige Jungs auf Tour, das ist das Muster der Filme von „Hechtundbarsch.de“, ihrem Youtube-Kanal. Sie haben viele tausend Zuschauer, und bei Facebook sind es mehr als 30.000 Follower.

Die Angel-Unterhaltung zieht, ob mit großem oder kleinem Fisch im Bild, oder gar keinem Fisch. Das verzeihen die Angelzuschauer ihren beiden Großstadtanglern. In gerade mal einem dreiviertel Jahr sind Andriani und seine Angelrute im Netz berühmt geworden. Einen weiteren, ganz ähnlichen Berliner Kanal gibt es noch auf Youtube: „ichgehangeln.de“. Dahinter steckt ein Kumpel aus der Anglerszene. Von seinen Klicks her ist er ein genauso toller Hecht. Ist jetzt Angeln, das Angeln im Winter zumal, bei dem man sich im wahrsten Sinne den Hintern abfrieren kann, auf einmal so cool?

„Wir mischen die Szene ein bisschen auf“, sagt Andriani selbstbewusst. Das kann man wörtlich nehmen: Angler wie er bleiben nicht an einem Fleck. Im Gegensatz zur großen Masse der Sportfischer, die „ansitzt“, was bedeutet, dass sie sich eine Stelle sucht und dort ausharrt, treibt es Andriani immer weiter. Hier mal probieren und die Leine auswerfen, dann wieder da. Von einem Spot zum nächsten. „Strecke machen“, also immer umherziehen, sagen ältere Semester dazu. Oft sagt diese Fraktion der schon eher weißhaarigen Angler das mit einem Kopfschütteln. Sie finden das viel zu hektisch. Für sie fängt man selbst einen Raubfisch wie den Zander, Hecht oder Barsch von einem festen Standpunkt aus. Und das mit einem echten (aber toten) Köderfisch am Haken. Alte Schule eben.

Man kann aber genauso mit knallbunten Kunstködern aus Gummi angeln, die man permanent auswirft und dann in kurzen Schüben nach und nach wieder einzieht. Das imitiert den kleinen Leckerbissen, der über den Flussgrund zieht, an den der Raubfisch dann anbeißen soll. Klar, das heißt, sich bewegen. Und es heißt: Werfen, ziehen. Werfen, und wieder werfen. So halten es Andriani und viele andere junge Street-Fisher. Man jagt, wenn man so will, am Ufer entlang, hin und her, ganz ähnlich dem streunenden Raubfisch, der das auf der anderen Seite, unter Wasser, tut. Daniel Andriani zieht sich, wenn das Wetter danach ist, dafür sogar einen knallgelben Regenoverall über, ein Motorradfahreranzug, so grell, als wollten er und sein Gummiköder im Wasser um die Wette blenden. Andere Angler stehen im Tarnanzug am Ufer.

Jetzt also: Zander! Das ist der „Zielfisch“ Nummer eins derzeit, das vereint alle, egal wie der Angler sonst so tickt. Man gehe jetzt eben auf Raubfische, sagt man im Anglerdeutsch. Die Räuber sind in Fließgewässer auch bei Kälte aktiv. Noch bis Silvester darf man die leckeren Zander fangen, dann haben sie Schonzeit. Bis dahin ziehen sie viel durch die Berliner Flüsse.

Vor dem richtigen Winter suchen die Zander noch einmal richtig zu fressen. Auch bevor sie laichen. Die Wasserqualität ist besser, daher wachsen die Fischbestände selbst mitten in Berlin. Am Kupfergraben, wirklich im Zentrum des Zentrums, warten Angler auf Beute. Genauso gegenüber vom Hauptbahnhof. An der Elsenbrücke, nahe dem Osthafen, trifft sich sogar mehrmals pro Woche eine ganze Gruppe zum „urbanen Winterangeln“. Eine ausgedehnte Feierabend-Fachsimpelei ist das, meist mit guten Fangerfolgen, je später es wird. Dunkelheit ist kein Hindernis. Die Räuber unter Wasser sind ja gerade nachtaktiv. Solche Angelabende gehen leicht bis Mitternacht.

Viele Angler hatte Berlin ohnehin immer. Amtlich ist, dass es um die 30.000 Besitzer eines Fischereischeins in der Stadt gibt. Das ist die notwendige Berechtigung, die man in Berlin mit einem Kurs und einer Prüfung erwirbt. Darüber hinaus gibt es viele Zugezogene, die einen Angelschein aus anderen Bundesländern haben. Oft werde, so heißt es in den Angelvereinen in vielen Stadtteilen, das Sportfischen in den Familien vererbt. Wie der Vater, so der Sohn. Eine Männerdomäne ist das Angeln offenbar bis heute, so stark wie wohl keine andere Freizeitbeschäftigung. Etwa 9000 organisierte Angler gibt es in Berliner Vereinen. Jeder Verein hat seine gepachteten Gewässer für die Mitglieder oder für Außenstehende, die sich mit einer Angelkarte dort für eine bestimmte Zeit als Gastangler einkaufen. Schaut man, zum Beispiel als Spaziergänger, ganz genau hin an Flüssen und Seen, sieht man dementsprechend viele Angler. Ältere, aber genauso jüngere. Nur sind sie alle, das ist eben ganz typisch, in ihrer Deckung. Man will meistens nicht auffallen. Daher macht jetzt eine Spaßfraktion, mit Leuten wie Daniel Andriani, umso stärker auf sich aufmerksam. Oha. Da quatscht ja auf einmal jemand am Ufer.

Überhaupt: Leute! So beginnt jedes Video, das Andriani beim Fischzug zeigt.

„Leute. Heute sind wir am Halensee“. Oder: „Heute kurz vorm Nirgendwo in Rahnsdorf – Leute!“ Ein Youtuber muss seine Gemeinde zackig anstupsen, das soll ja kein Fachvortrag werden hier. Es sind wirklich viele Zander, die sie derzeit fangen. Aber oft sind sie klein. Unter 45 Zentimeter Länge müssen sie sie sowieso wieder freilassen, das ist so Vorschrift in Berlin. All das lernt der Zuschauer. Die meisten Fische lassen Andriani und seine Jungs sowieso wieder frei – das sei gut für die Bestände, sagt er. Catch and Release, Fangen und Freilassen, ist zwar umstritten. Für ihn und viele andere ist es der Sport, leiden würden die Tiere nicht, beteuert man. Im Schnelldurchlauf hakt Andriani vieles ab. Er spricht mit einem britischen Akzent. Er hat lange in London gelebt. Aufgewachsen ist er in Zimbabwe im Süden Afrikas, dorthin hatte es vor Generationen seine Familie aus Europa verschlagen. Der Großvater brachte ihm, als er Kind war, in Afrika das Angeln bei.

Wie man vom Golfschläger zur Angelrute kommt

Dann war Daniel Andriani eine Zeitlang ein Profi-Golfspieler, daneben studierte er in London Wirtschaft. Für Start-ups arbeitete er, seit dreizehn Jahren ist er in Deutschland. Weil er, egal wo er war, geangelt hat, hatte er immer auch die Idee, aus der Leidenschaft etwas mehr zu machen. Er machte erste Videos vom Angeln, von Angelerfolgen. Von dicken Exemplaren. Man kennt solche Bilder: Stolze Männer mit Fisch vorm Bauch. Superlative. Doch dann fand Andriani, dass das Drumherum, das Vorher und Nachher, das Making of, viel spannender sein könnte. Außerdem wusste er von seinen Jobs für Internetfirmen, wie schnell sich gut gemachte Filme und gute Ideen im Netz verbreiten. „Petri“ – Glückwunsch, kann man da wohl nur sagen. Wie diese Jungs selbst es tun. So kommentieren sie ihre Fänge nicht mit dem altbackenen „Petri heil“. Allenfalls hört man manchmal ein „Petri geil“ heraus.

Andriani hat eine verschmitzte Art, ein flottes Mundwerk, und hört trotzdem allen, die er trifft, zu. Wirklich zu. Er hört hin, was nicht selbstverständlich ist für Selbstdarsteller wie ihn. Also ist er einer, dem die Leute auch viel erzählen. Das ist wohl schon eines der Erfolgsrezepte von Hechtundbarsch.de: Andriani und sein Konterpart Toni Wehn, der ist dann der Ruhigere, treffen andere Angler. Sie reden, flachsen, fischen. Aber sie erklären dabei sehr viel, über Angeltechniken, über die Gegend, in der sie sind, über sich. Sie posen mit Fischen. Nur geben sie nicht an.

Mehr als 5000 Zuschauer hat jedes Video in kürzester Zeit, einige Folgen hatten schon 20.000, sogar 30.000 Zuschauer. Das ist enorm viel für ein Old-School-Thema wie Angeln. Verpackt man es mit hintergründigem Witz, machen viele mit. Und ihre Zuschauer sind ganz gewiss nicht nur Angler, sondern einfach auch Leute, die das unterhaltend finden. Der Start-up-Erfahrene Andriani und Toni Wehn, der Wirtschaftsingenieur ist, beschlossen, einen Rundum-Stil daraus zu machen. Sie lassen Mützen und Hemden bedrucken mit Sprüchen wie „Leck mich am B-Arsch“, LMAB, oder „H-echtgeiler Typ“. Sie bieten Angelausflüge an die Ostsee an – mal richtig auf Dorsch gehen –, oder Angel-Camps an der Müritz. Nächstes Wochenende findet in den Berliner Messehallen die „Angelwelt“ statt. Selbst da tritt die Firma Hechtundbarsch schon als Mitveranstalter auf, weil sie einfach so erfolgreich bei einer jüngeren Zielgruppe ist. Die LMAB-Shirts gibt es mittlerweile in vielen ganz konventionellen Berliner Angelläden.

Doch die viel größere Überraschung, sagt Toni Wehn, sei diese: Immerhin zehn Prozent ihrer Follower seien Frauen. Das ist zwar verschwindend wenig. Trotzdem sind es fast zehn Prozent mehr als sonst im Angelsport üblich. Dort geht der Anteil eben gen Null. Andriani und Wehn sind zum Beispiel Mitglieder im Sportfischerverein Wilmersdorf, sie wohnen ja ganz in der Nähe. Der Verein hat sechs Grunewald-Seen gepachtet, es gibt auf jedem ein Boot zum Angeln. Ein Traum, dieses Revier. Aber ganz typisch: Es gibt 40 Männer und keine einzige Frau. Dafür schafft dieser Verein zumindest schon einmal einen anderen Kultur-Sprung: Eine Hälfte der Mitglieder sind junge, hippe Anhänger von Hechtundbarsch, die anderen ganz alte Schule. Alle verstehen sich prächtig, steigen gemeinsam ins Boot auf einem der Seen, um sich voneinander beim Angeln etwas abzuschauen.

„Hechtgeil“, kommentieren dann die Fans auf Youtube solche lakonischen Videos. Der Vereinspräsident tritt darin zum Beispiel auf. Er trägt ein „LMAB“ auf der Stirn an der Pudelmütze und zieht mittels Köderfisch reihenweise stattliche Hechte aus dem See. Nicht Andrianis Angelstil. Aber sehr wohl Andrianis Youtube-Stil.

Richtig fette Beute machten die beiden Hechtundbarsch-Berliner diese Woche in Hamburg. Dort waren sie im Hafen in einem Boot unterwegs. Sie hatten eine Verabredung zum Zanderangeln mit dem Fußballer Patrick Owomoyela, der einmal Nationalmannschaftsspieler war. Elbdrache sagt man da oben zum Zander, weil er eine so markante Drachenflosse hat. Die Drachen, die sie jetzt fingen, können sich sehen lassen. Das wird die Folge 26 auf ihrem Kanal. Heute kommt sie heraus.

Noch etwas brachte dieser Termin: Mit Owomoyela wollen die Berliner eine Kampagne für Toleranz und gegen Rassismus starten. Unter Anglern dafür zu werben, sei einmal notwendig, sagt Andriani. Via Facebook werden sie das tun. Auch Herthaspieler machen mit. Es werden fischige Wortspiele sein. Etwas mit „Regenbogenforelle“ und „multikulturelle“. Oder mit „B-Rasse“.