Berlin.

Tag für Tag kommen Tausende Flüchtlinge nach Deutschland. Sie erfahren viel Hilfsbereitschaft, aber auch Hass und Gewalt. Der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, zeigt sich beim Redaktionsbesuch alarmiert.

Hamburger Abendblatt: Herr Maaßen, ist die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung ein Fall für den Verfassungsschutz?

Hans-Georg Maaßen: Das hohe Grundrecht der Demonstrations- und Meinungsfreiheit schützt auch Meinungen, die uns persönlich nicht gefallen. Daher beobachten wir die Pegida-Bewegung nicht als solche. Der Bundesverfassungsschutz und die Landesämter schauen aber natürlich, wer da mitläuft und wer das organisiert – und ob wir diese Personen schon kennen.

Mit welchem Ergebnis?

Maaßen:Die Pegida-Bewegung ist nicht homogen. Es gibt darunter eine ganze Reihe von Gruppierungen, die rechtsextremistisch dominiert sind: Insbesondere Bärgida in Berlin, Dügida in Düsseldorf, Magida in Magdeburg, MVgida in Mecklenburg-Vorpommern und Thügida in Thüringen lehnen mehrheitlich unsere Verfassungsordnung ab. Aber da laufen nicht sehr viele Menschen mit. Bei Pegida in Dresden ist das anders: Es kommen Tausende, und es fallen Einzelpersonen auf, die sich besonders aggressiv äußern. Aber wir können nicht den Schluss daraus ziehen, dass Pegida in Dresden rechtsextremistisch gesteuert oder dominiert wäre.

Wie viel Steuerung steht hinter der Gewalt, die Flüchtlinge in Deutschland erleben?

Maaßen: Die Frage, ob es ein Mastermind oder eine zentrale Planung gibt, da oder dort Brandanschläge zu begehen, treibt uns natürlich um. Wir bemühen uns, so gut es geht die Szene aufzuklären. Aber das ist ausgesprochen schwierig. Nach unserem jetzigen Kenntnisstand ist die Gewalt gegen Flüchtlinge nicht organisiert. Wir haben keine Hinweise, dass bundesweite Strukturen dahinterstehen. Mich besorgt gerade etwas anderes: Gewalt gegen Flüchtlinge geht auch von Bürgern aus, die vorher nicht als Rechtsextremisten aufgefallen sind. Wir sehen die Gefahr, dass Leute, die vorher demokratische Parteien gewählt haben, sich radikalisieren. Wir nehmen eine zunehmende Militanz in der bürgerlichen Mitte wahr: Menschen lehnen die Asylpolitik ab, sehen aber keine Chance, darauf Einfluss zu nehmen. Sie wollen ein Signal setzen – und greifen zur Gewalt.

Hinweise auf einen neuen Rechtsterrorismus haben Sie nicht?

Maaßen: Wir haben im vergangenen Jahr die Oldschool Society aufgeklärt, eine Gruppierung mutmaßlicher Rechtsterroristen. Die Rädelsführer sitzen in Haft. Die Oldschool Society hatte vor, Anschläge auf Asylsuchende oder auf Salafisten zu begehen. Auch Sprengsätze sollten zum Einsatz kommen. Die Aufklärung war gute Arbeit, wir hatten aber auch Glück, über die richtigen Zugänge zu verfügen. Es ist durchaus möglich, dass es unterhalb unseres Radarschirms noch rechtsextremistische Kleingruppen gibt, die Anschläge vorbereiten. Wir sehen das als große Gefahr. Die Sicherheitsbehörden sind bei der Aufklärung auch auf den einzelnen Bürger angewiesen. Wer Verdächtiges bemerkt, sollte unbedingt zur Polizei gehen. Jeder Hinweis auf konkrete Tatplanungen – das gilt für Rechtsextremisten genauso wie für Islamisten – hilft den Behörden und trägt zur Sicherheit bei.

Wie groß ist die Bedrohung für Politiker?

Maaßen: Wir verzeichnen insgesamt eine steigende Gewaltbereitschaft in Teilen der Gesellschaft. Der Messerangriff auf die spätere Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker ist zunächst ein Einzelfall. Es kann allerdings Nachahmungstäter geben. Darüber sind die Dienststellen informiert, die für den Personenschutz von Politikern zuständig sind.

Fördern rechtsextremistische Parteien die Gewaltbereitschaft?

Maaßen: Parteien wie die NPD, Die Rechte oder Der Dritte Weg hetzen gegen Asylsuchende, Politiker, Journalisten. Sie verbreiten eine Stimmung, die dazu beiträgt, dass die Hemmschwelle für Gewalttaten sinkt.

Erleichtert das ein Verbot der NPD?

Maaßen: Mit dieser Frage muss sich das Bundesverfassungsgericht auseinandersetzen. Wir machen Beobachtungen und liefern Erkenntnisse, die für das laufende NPD-Verbotsverfahren in Karlsruhe relevant sein können.

Die AfD driftet nach Rechtsaußen ab. Ihr früherer Vizevorsitzender Henkel beschreibt sie als „NPD light“ …

Maaßen: Die AfD wird von uns nicht als extremistisch eingeschätzt. Sie stellt keine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung dar, das ist unser Maßstab und deshalb erwägen wir derzeit auch keine Beobachtung der Gesamtpartei. Allerdings gilt hier das Gleiche wie bei Pegida. Wir schauen uns sehr genau an, ob beziehungsweise welche Rechtsextremisten dort Einfluss nehmen wollen.

Verfügt der Verfassungsschutz über genauere Erkenntnisse, was für Menschen nach Deutschland flüchten?

Maaßen: Wir haben eine neue Arbeitseinheit eingerichtet, um mehr Informationen über Asylsuchende zu sammeln, damit mögliche Extremisten oder Terroristen unter ihnen erkannt werden. Dabei arbeiten wir eng mit dem Bundesnachrichtendienst und mit ausländischen Nachrichtendiensten zusammen. Wir bekommen nahezu wöchentlich Hinweise darauf, dass unter den Flüchtlingen auch Personen sein könnten, die über Erfahrung mit Waffen verfügen oder mit einem Kampfauftrag nach Deutschland kommen.

Mischen sich Terroristen unter die Verfolgten?

Maaßen: Es ist möglich, dass mit den Flüchtlingen auch Terroristen kommen, aber wir halten das für weniger wahrscheinlich. Die Flüchtlingsroute ist ausgesprochen gefährlich. Es wäre risikoreich und untypisch, dass Personen mit Kampfauftrag in einem Seelenverkäufer von der Türkei auf eine griechische Insel übersetzen.

Versuchen Islamisten, die schon in Deutschland leben, Flüchtlinge für sich zu gewinnen?

Maaßen: Wir stellen fest, dass Islamisten in Aufnahmeeinrichtungen gezielt Kontakt mit Flüchtlingen aufnehmen. Uns sind bereits mehr als 100 Fälle bekannt. Die einen wollen helfen: Sie bringen traditionelle Bekleidung oder den Koran. Die anderen sprechen Flüchtlinge an, um sie in ihr islamistisches Netzwerk einzubinden.

Sind Menschen, die vor der Terrormiliz IS fliehen, für radikale Botschaften empfänglich?

Maaßen: Auch diejenigen, die vor dem IS geflüchtet sind, kommen aus einem islamischen Milieu. Sie wollen ihr Freitagsgebet, und sie wollen ihren Glauben auf Arabisch praktizieren. Aber in der arabischsprachigen Moscheenlandschaft in Deutschland gibt es auch islamistisch geprägte Gemeinden. Radikale Moscheen begreifen den Flüchtlingszustrom als Chance, Menschen für sich zu rekrutieren.