Berlin. Wie konnte eine Mutter den Tod von acht Säuglingen in Bayern vertuschen? Ein Kriminologe beantwortet die Fragen zum aktuellen Fall.

Nach dem Fund von acht Säuglingsleichen im bayerischen Wallenfels bleiben viele Fragen offen. Mit dem Kriminologen Christian Pfeiffer hat unsere Redaktion darüber gesprochen, wie die mutmaßliche Mutter den Tod der Neugeborenen und wohl auch ihre Schwangerschaften verheimlichen konnte und was die Polizei nun unternimmt.

Herr Pfeiffer, wie kann der Tod von sieben Säuglingen unerkannt bleiben?

Christian Pfeiffer Frauen, die ihre Neugeborenen töten, sind in ähnlichen Fällen sehr geschickt vorgegangen. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat unter anderem einen Fall aus Brandenburg aus dem Jahr 2005 untersucht, bei dem eine Frau neun Säuglinge im Blumenkasten begraben hatte. Obwohl die Frau sehr schlank war, hat sie erfolgreich mehrere Schwangerschaften vertuscht.

Aber müssten nicht Verwandte oder Freunde etwas von den Schwangerschaften mitbekommen?

Freunde oder Verwandte nicht unbedingt, aber feste Lebenspartner auf jeden Fall. Hat die jeweilige Mutter einen langjährigen Partner, der auch Erzeuger der Kinder ist, dann muss schon die Frage nach der Mitschuld dieses Vaters gestellt werden.

Und was ist mit den Nachbarn?

Den Nachbarn kann man keinen Vorwurf machen, da die Mutter bei mehreren Kindstoden ja bereits Routine in der Verdrängung und Vertuschung hat. Im aktuellen Fall muss man viel mehr der einen Nachbarin dankbar sein, die den Fall erkannt und den Rettungskräften gemeldet hat.

Was treibt Frauen, dazu, ihre Neugeborenen zu töten beziehungsweise den Tod zu verdrängen?

Christian Pfeiffer ist einer der bekanntesten deutschen Kriminologen. Er ist Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachen und war von 2000 bis 2003 niedersächsischer Justizminister.
Christian Pfeiffer ist einer der bekanntesten deutschen Kriminologen. Er ist Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachen und war von 2000 bis 2003 niedersächsischer Justizminister. © imago stock&people | imago stock&people

Unser Institut hat Interviews mit zahlreichen Frauen geführt, die momentan wegen Kindstötung im Gefängnis sitzen. Das Ergebnis der Gespräche war, dass die Frauen oft in sehr problematischen Familienverhältnissen aufgewachsen sind. In den Familien der Frauen gab es keine Vorbilder, die die Mutterrolle ausgefüllt haben oder an denen die Frauen erlebt hätten, wie eine Schwangerschaft abläuft. Ein zweiter Faktor war, dass fast alle Frauen Partner hatten, die wenn überhaupt nur an Sex interessiert waren.

Sind solche Kindstode Einzelfälle?

Ja. Die Fälle von Kindstötungen sind seit den 1990er Jahren deutlich zurückgegangen – sowohl absolut wie auch gemessen an den Bevölkerungszahlen. In Deutschland und Schweden gibt es im internationalen Vergleich heute die wenigsten Tötungsdelikte bei Babys. Dafür ist letztendlich auch der Staat verantwortlich. Häufigere Kontrollen von Jugendämtern oder die Einstellung von Familienhebammen führen dazu, dass Mütter in der Regel nicht alleingelassen werden. So dramatisch der aktuelle Fall auch ist, der Trend bleibt bestehen: Gewaltanwendung gegen Babys und Kinder nimmt ab.

Ist die Polizei auf Fälle wie den aus Wallenfels vorbereitet?

Eine gute Mordkommission wird den Fall ohne Hilfe von außen lösen, da bin ich sicher. Sie muss jedoch so schnell wie möglich die mutmaßliche Mutter finden. Mütter, die mehrere ihrer Kinder getötet haben oder den Tod vertuschen, sind häufig suizidgefährdet. Wenn den Müttern ihre Taten bewusst werden, können sie das Erlebte kaum mehr verarbeiten. Wir haben bei unseren Interviews oft Frauen vorgefunden, deren Geisteszustand geradezu erschreckend war. Gleichzeitig muss die Polizei sich auf den Vater der Kinder konzentrieren und ermitteln, inwiefern er eine Mitschuld an den Toden trägt.