London. Die britische Fotografin Julia Fullerton-Batten hat in ihrem Bildprojekt Kinder dokumentiert, die mit Tieren aufgewachsen sind.

Einmal, da hatte Marina Luz Chapman vergiftete Beeren gegessen. Da kam einer der Affen und führte sie zu einer matschigen Stelle. Sie verstand, dass sie trinken sollte. Das tat sie. Kurz darauf musste sie sich übergeben. Marina überlebte.

Das Schicksal der Frau, die heute in England lebt und dafür bekannt wurde, fünf Jahre im kolumbianischen Dschungel umringt von Kapuzineräffchen überlebt zu haben, ist jedoch nur eine von vielen Geschichten.

Die britische Fotografin Julia Fullerton-Batten hat ähnliche Fälle über Jahre gesammelt und daraus ein Bild-Projekt gemacht. Sieben Kinder, die zwischen Tieren gelebt und später ausfindig gemacht wurden, hat sie fotografisch dokumentiert.

Wie den Fall der Oxana Malaya. Das ukrainische Mädchen war mit acht Jahren im Hof ihrer schwer alkoholkranken Eltern entdeckt worden, wo sie jahrelang mit Hunden in deren Hütte gelebt hatte. In einer Nacht, erzählt Fullerton-Batten, müssen die Eltern die damals Dreijährige draußen vergessen haben, sodass der Schlafplatz in der Hundehütte wohl ihr Leben rettete. Die Eltern kümmerten sich einfach nicht mehr um das Mädchen. Als man Oxana fand, lief sie auf allen Vieren, bellte und konnte nur Ja und Nein sagen. Heute ist sie erwachsen. Oxana wird in einer Klinik in Odessa behandelt, in der sie mit den Tieren der Einrichtung arbeitet.

„Es gibt nur zwei Szenarien bei den Geschichten, in denen ein Kind mit Tieren aufgewachsen ist: Entweder es geschieht durch Vernachlässigung oder das Kind endet durch schlimme Umstände wie Entführung und Flucht alleine im Wald“, sagt Fullerton-Batten dieser Zeitung.

Zu Beginn ihres Projekts sei sie schockiert gewesen von den Geschichten. Ein anderer Fall, den sie zusammen mit der Anthropologin Mary-Ann Ochota durch Interviews dokumentierte, ist der des Sujit Kumar, der auf den Fidschi-Inseln in einem Hühnerstall lebte. Als man Sujit mit acht Jahren darin fand, schlug er mit seinen Armen wie mit Flügeln und aß mit seinem Mund vom Boden. „Seine Eltern hatten ihn im Kleinkindalter zur Strafe einige Male in den Hühnerstall gesperrt“, so Fullerton-Batten. Seine Mutter habe Selbstmord begangen, sein Vater wurde ermordet. Sujit kam in die Obhut seines Großvaters, der es aber für das Beste hielt, ihn weiterhin im Hühnerstall leben und schlafen zu lassen. „Wenn diese Kinder entdeckt werden, ist es oft so ein riesiger Schock für sie, sie können weder sprechen noch einen Löffel halten“, erklärt die Fotografin.

Ivan entschied sich für die Tiere und gegen die Menschen

Heute lebt Sujit Kumar in einem wohltätigen Projekt für Kinder in Not. Für Julia Fullerton-Batten zeigt ihre Arbeit über Kinder unter Tieren vor allem das Überleben.

Immer, so erklärt es Mary-Ann Ochoto, die eine Fernsehserie zu dem Thema für den englischen Sender BBC produzierte, seien diese Geschichten eine tragische Kombination aus Suchtverhalten, häuslicher Gewalt und Armut. So wie in dem Fall des russischen Mädchens Madina aus dem Jahr 2013. Madina lebte seit ihrer Geburt bis zu ihrem dritten Lebensjahr mit den Hunden ihrer 23 Jahre alten alkoholkranken Mutter. Als Sozialarbeiter sie fanden, war sie nackt, lief auf allen Vieren und knabberte mit den Tieren an einem Knochen. Madina kam in die Obhut der Ämter und wurde medizinisch durchgecheckt. Dabei stellte sich heraus, dass sie geistig und körperlich trotz der Umstände völlig gesund war.

„Bei dem Projekt ging es darum, den Leuten bewusst zu machen, dass wir auf unsere Nachbarn achten müssen“, sagt Fullerton-Batten. Sie habe die Menschen durch ihre Fotos nicht ausbeuten wollen. In drei Fällen seien sogar soziale Projekte entstanden.

Genauso ging die Geschichte von Ivan Mischukow aus. Als der russische Junge mit vier Jahren weglief, entschied er sich, mit streunenden Hunden zu leben. Er teilte sein ergaunertes Essen mit den Tieren, dafür durfte er bei ihnen schlafen. Der Wissenschaftler Michael Newton schrieb zu Ivans Fall: „Die Beziehung zwischen ihm und den Tieren verlief perfekt. Besser als er es jemals aus menschlichen Beziehungen kannte.“